20. April 2020

Vier Monate auf dem Weg zu sich selbst

Stephanie Studer: Freilaufen, Driftwood,
Chur, 2019
Wir wissen es schon längst: Die USA bilden ein Land der Superlative. Im Guten wie im Schlechten. Bleiben wir beim Positiven und widmen wir uns den Fernwanderwegen, die es daselbst zuhauf gibt – allen voran die drei happigsten: der Appalachian Trail (3500 km), der Continental Divide Trail (4900 km) und der 4279 Kilometer lange Pacific Crest Trail (PCT). Letzterer, von dem in der Folge die Rede ist, führt von der mexikanischen Grenze durch die Bundesstaaten Kalifornien, Oregon und Washington bis nach Kanada. Die Begehung dieser unglaublich langen Strecke ist eine nicht zu unterschätzende Herausforderung, der sich 2017 die aus Basel stammende und heute in Chur lebende Stephanie Studer gestellt und ein Buch darüber geschrieben hat. «Freilaufen» nennt es sich und verweist so auf den hauptsächlichen Motivationsgrund der Autorin: Raus aus dem Alltagstrott und klar werden mit sich selbst.


Der PCT in der Übersicht. Quelle: Wikipedia
Kaum an der mexikanischen Grenze losgelaufen, ist der helvetische Rhythmus vergessen. Die südkalifornische Wüste wartet und macht schnell einer neuen, elementaren Routine Platz: Laufen, Essen, Schlafen. Und zwischendurch, hauptsächlich beim Gehen, bleibt jede Menge Zeit, sich über sein Leben Gedanken zu machen. Dies tut Stephanie Studer, doch, anders als es der Untertitel des Buches («… zurück zu mir selbst») vermuten lässt, gibt sie dem Leser kaum etwas davon preis. Und das ist gut so! Die Fülle an Egotrips, die als «Reiseberichte» getarnt vor Seelenstriptease nur so strotzen ist mittlerweile unerträglich geworden. Allen voran z.B. Cheryl Strayeds «Wild», das ebenfalls auf dem PCT spielt oder Shirley MacLaines «Jakobsweg».

In unaufgeregtem Plauderton nimmt uns Stephanie Studer mit auf ihren Weg, der landschaftlich und klimatisch einiges zu bieten hat. Währenddem in der Wüste die Sonne unerbittlich auf den Wanderer brennt, schneit es weiter nördlich in den höheren Lagen, und zwar derart heftig, dass einzelne längere Abschnitte umfahren werden müssen. In Oregon ist die Situation in den bis zu 4000 Meter hohen Bergen derart prekär, dass die Autorin schweren Herzens auf den Oregon Coast Trail ausweichen muss. Sie tut dies freilich nicht alleine, denn bereits in Kalifornien hat sie ein paar Jungs aus Chicago kennengelernt, an die sie sich bis zum Ende der Tour anschliesst.

Die Lektüre des unterhaltsamen Buches bringt uns mitunter ein anderes Amerika näher, als jenes, von dem täglich in den Medien zu lesen und zu hören ist; allen voran die überaus hilfsbereiten Menschen entlang des PCT. Da sind zum Beispiel die sogenannten «Trailangels», die es sich zur Aufgabe gemacht haben, den vorbeiziehenden Fernwanderern mit Unterkunft, Verpflegung oder Transportdiensten unter Arme und Beine zu greifen. Studers Bericht ist indes auch ein Mutmacher für all jene, die für eine längere Zeit, mit dem Zelt durch ziemlich entlegene Gebiete gehen möchten, sei es, um zu sich zu kommen und/oder einfach die grandiose Natur zu erleben. Am Ende des Bandes gibt die Autorin daher den einen oder anderen wertvollen Tipp mitsamt einer Liste jener Ausrüstung, die sie mit auf den Weg genommen hat.

Beenden wir diese Buchbesprechung mit einem Zitat über eine Erkenntnis Stephanie Studers sowie einer Frage des Rezensenten.

«Rückblickend wir mir klar, dass ich immer unter einer Art von Stress gestanden habe. Es war mir unmöglich, einfach nur zu sein. Erst auf dem Trail habe ich gelernt, dass man auch mal in den Tag leben kann, dass man nicht immer riesige Pläne haben muss. Diese Entschleunigung, dieses Runterfahren, das tut mir gut. Auch wenn es kein einfacher Weg war, das zu erkennen.»

In einem zwar eher nebensächlichen, aber für die Fernwanderszene der USA typischen Punkt wird der Leser von «Freilaufen» im Stich gelassen. Es ist nämlich üblich, dass jeder sogenannte «Through Hiker», also jemand, der die gesamte Strecke auf einmal absolviert, einen Trail-Namen erhält. In der Regel sagt der Name auch ein wenig etwas über die betreffende Person aus. Ja, wie war denn nun Ihr Name, Frau Studer?

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