18. September 2023

Die Familie der Beatrice

Arnaldo Alberti: Die Familie der Beatrice,
Benziger/Ex Libris, Zürich, 1986
Diese Geschichte einer Locarneser Familie vermittelt ein genaues Bild der Situation des Tessins nach dem radikalen gesellschaftlichen Wandel der letzten hundert Jahre. Die Tessiner haben ihr Land den «Kolonisatoren» aus dem Norden verkauft und damit den Zugang zu ihrer Vergangenheit, ihren Wurzeln, verloren. Ein kulturelles Vakuum ist entstanden. In Politik und Wirtschaft herrscht Korruption. Beatrice und ihre Geschwister finden in ihrem Leben verschiedene Antworten auf diese Situation: Trivina, Beatrices Schwester, verkauft sich in Zürich als Prostituierte den «Herren im Norden» und kehrt als unabhängige, erfolgreiche Geschäftsfrau zurück. Beatrice gibt sich selber auf und wird drogenabhängig. Ihr Bruder hingegen versucht, auf einem abgelegenen Bauernhof im Malcantone Lebensformen zu verwirklichen, die an archaische, bäuerliche Traditionen anknüpfen.

Die Chronik der Familie wird mit historischen Ereignissen aus dem 19. Jahrhundert konfrontiert, dem Aufstand der Liberalen in Locarno und der Ermordung des liberalen Politikers Francesco Gegiorgi. Eine überzeugende Auseinandersetzung mit dem Mythos Tessin. (Klappentext)

13. September 2023

Alpsummer

Walter Eschler: Alpsummer, Zytglogge,
Gümligen, 1983
Walter Eschler hat sich eine glückliche Synthese erarbeitet. Seine Sprache vermittelt viel von der mundartlichen Eigenart, und ist doch überraschend leicht lesbar. Eschler beherrscht aber nicht nur die Register der Sprache, sondern auch jene der menschlichen Seele, er verfügt über einen urwüchsigen Humor wie über empfindsames Einfühlen in Menschen und Gemeinschaft. Dies sind die Mittel, mit denen der Autor eine echte, innere Spannung hervorbringt und zur Teilnahme zwingt, selbst bei Gestalten, die am Rande der Gesellschaft stehen, am Rande im geographischen Sinn wie nach ihrer Wesensart. Darum darf man das Buch unbedenklich als grosse Bereicherung unserer Mundartliteratur willkommen heissen.
Erwin Heimann

Die Erzählungen sind echtestes Simmental nach Örtlichkeit, Personen, Begebenheiten, ganz besonders nach der Sprachgebung. Wie vor ihm Albert Streich in Brienz und die Frutigtalerin Maria Lauber, bemüht sich Walter Eschler, der sprachlichen Wirklichkeit auch in der Druckform so nahe als möglich zu kommen. Eine knappe Einführung in die Schreibproblematik ist besonders für den Nichtoberländer eine wertvolle Hilfe; dasselbe gilt vom Wörterverziichnis am Schluss. Wie farbig und wie lebensvoll Eschlers Palette ist, deuten schon die Titel an («der uhiimlich Fund»; «ds Lugi-Trittli»; «di alti Petrollampe»; «Chirschmues»; «ds Schattmatte Köbi» usw.). Manche Überschrift scheint schon etwas von der zu erwartenden Spasshaftigkeit, von Humor und Witz zu verraten. Man unterhält sich denn auch köstlich. Hans Sommer

3. September 2023

Aues für d Chatz

Margrit Staub-Hadorn: Aues für d Chatz,
Cosmos, Muri b. Bern, 1995
Seit drei Jahren gehört die frühere Fernsehmitarbeiterin und heutige Radiofrau Margrit Staub-Hadorn zum Team jener Autorinnen und Autoren, die sich bei Radio DRS in die Rubrik «Zum neuen Tag» teilen. Drei bis vier Mal im Jahr meldet sie sich jeweils eine Woche lang zu Wort: um fünf nach sechs, um zwanzig vor sieben, um zehn vor acht. Thematisch sind ihr keine Auflagen gemacht. Sie kann philosophieren, Geschichten erzählen, Erinnerungen beschwören, von Begegnungen berichten, Redewendungen beim Wort nehmen, Gedanken entwickeln. Sie kann sagen, was sie will. Nur kurz muss es sein, zweieinhalb Minuten, nicht mehr. Das zwingt zu Konzentration und Verknappung. Margrit Staub kann das.

Sie hat Sinn für das Kleine, das Unscheinbare und gleichwohl Bedenkenswerte. Sie packt ihre Hörerinnen und Hörer, indem sie sie direkt anspricht. Die Aufmerksamkeit ist ihr sicher, weil das, was sie sagt, in ihrer eigenen Erfahrung verwurzelt ist. Margrit Staub bürgt für ihre Gedanken, auch wenn es, wie in diesem Band, bisweilen nur «Fötzeli» sind. Sie sind so echt wie das Berndeutsch, in dem sie daherkommen: einer Sprache, so eigensinnig und unverwechselbar wie die Frau, die sie spricht.

Das meint der Titel, den sie für die Auswahl ihrer «Gedanken zum neuen Tag» und der dazwischen gestreuten «Gedankefötzeli» gewählt hat: «Für d Chatz isch au es für d Chatz.» Die Katze bezieht alles, was in ihrer Umgebung geschieht, auf sich und tut alles, was sie tut, nur für sich. Das sollte der Mensch ab und zu auch versuchen, meint Margrit Staub und wünscht uns Tage, «wo mer o öpper si, wiu aues, wo mer mache, nume für d Fröid isch. Für üs. Für d Chatz.» Klara Obermüller im Vorwort

29. August 2023

Umkehrti Täler

Guy Krneta: Umkehrti Täler, Cosmos, Muri
b. Bern, 2011
Guy Krneta entdeckt seine Geschichten in der Alltagssprache, die er dreht und wendet, bis sie zu klingen beginnt. «Vorgefundene Figuren und Motive, Trouvaillen aus dem Alltagsleben werden so lang hin und her gewendet, abgeklopft und ausgehört, bis sie in die Krneta-typische leichte Schräglage gelangen, die sie liebenswert skurril aussehen lässt», schreibt Andreas Klaeui in Theater der Zeit. «Guy Krneta schaut den Leuten aufs Maul, redet ihnen aber nicht nach dem Mund.» Klappentext

25. August 2023

Di schöni Fanny

Pedro Lenz: Di schöni Fanny, Cosmos,
Muri b. Bern, 2016
Drei Künstler und Tagediebe stolpern in dieser tragisch-komischen Geschichte durch das neblige Olten: Jackpot, der erfolglose Schriftsteller, der auf Hunde und Pferde wettet, und die beiden Maler Louis und Grunz, die das Leben und die Schönheit lieben. Ihre Hingabe zur Kunst und zu den kleinen Freuden des Alltags scheint die drei Freunde zu erfüllen. Doch dann tritt die schöne Fanny in ihr Leben. Allein durch ihre Präsenz bringt Fanny das scheinbar stabile Gleichgewicht der Männerfreundschaft ins Wanken. Mit der Leichtigkeit des Seins ist es bald vorbei. Jeder begehrt Fanny, aber keiner scheint zu verstehen, was Fanny begehrt.
(Klappentext)

20. August 2023

Das Disaster von Münchenstein

Stefan Haenni: Eiffels Schuld, Gmeiner,
Messkirch, 2023, 246 Seiten
Stefan Haennis neuster Roman «Eiffels Schuld» entführt uns in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts; nach Basel, nach Paris und nach Münchenstein. Er gibt nicht nur einen Einblick in das Wirken des weltberühmten Ingenieurs Gustave Eiffel, sondern auch in zwei Basler Familien unterschiedlicher sozialer Herkunft. Als weitere Zutaten dienen eine abrupt endende Liebe, das Verschwinden eines Bahnangestellten, ein etwas ratloser Detektiv, ein Schweizer Ingenieur in Diensten Gustav Eiffels, ein hinterlistiges Verbrechen und das schwerste Bahnunglück der Schweiz, das sich am 14. Juni 1891 an der Birs bei Münchenstein ereignete. Dabei kamen 73 Menschen ums Leben und 171 wurden verletzt.

Ein bunter Mix also, den der Autor in einem raffiniert konstruierten Plot zu einer Geschichte verdichtet hat, die nicht nur an verschiedenen Orten, sondern auch in verschiedenen Zeiten spielt. Was kompliziert klingt entpuppt sich bei der Lektüre, nicht zuletzt dank der kurzen Kapitel, als spannendes Hin und Her und somit als Pageturner, den man, wie es das Prädikat vermuten lässt, innert Kürze verschlingt. Wie schon bei seinem Kriminalroman «Brahmsrösi» ist es Stefan Haenni gelungen, historische Fakten auf gekonnte Weise mit Fiktivem zu kombinieren, so dass der Leserschaft nebst einer tragischen Liebes- und Detektivgeschichte einiges an vielleicht längst Vergessenem zuteil wird – den Recherchen des Autors und seiner subtilen schriftstellerischen Freiheit sei es gedankt. In diesem Sinne warten wir gespannt auf das nächste Werk des Thuners Stefan Haenni, in der Hoffnung, er möge die Verschränkung von Wirklichkeit und Fiktion wieder zelebrieren. 

9. August 2023

Tragödie auf einem Landfriedhof

Maria Lang: Tragödie auf einem Landfriedhof,
btb, München, 2015
Während draussen die Schneeflocken auf das beschauliche Dörfchen Västlinge rieseln, wird im Pfarrhaus der Heilige Abend gefeiert. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Einar und ihrem Vater Johannes Ekstedt verbringt die Literaturwissenschaftlerin Puck Bure die Weihnachtsfeiertage bei ihrem Onkel, dem verwitweten Pfarrer Tord Ekstedt und seiner aufgeweckten, aber auch etwas altklugen elfjährigen Tochter Lotta. Die Idylle könnte perfekter nicht sein. Bis die Nachbarin Barbara Sandell völlig aufgelöst hereinschneit. Ihr Mann Arne ist verschwunden. Gemeinsam begibt man sich auf die Suche, und schon bald ist klar: Ein Mörder ist unterwegs im beschaulichen Örtchen … (Klappentext)

6. August 2023

Ida

Susanna Schwager: Ida, Wörterseh,
Gockhausen, 2010
Ida hatte ihren Bräutigam schon früh im Auge. Doch es sollte anders kommen. Irdisch statt himmlisch. Sie zog weg aus dem schwarzkatholischen Hinterthurgau, an Johanns Seite. Ins Industriedorf Örlikon, einen Vorort von Zürich, wo sich Wanderer aus allen Himmelsrichtungen niederließen. Mit zusammengebissenen Zähnen zog lda sechs Kinder gross. Es reichte nie, und am Ende war es viel zu viel. Und dass aus nichts etwas wurde, war nicht vorgesehen, sondern eines der schönen Wunder des Lebens.

Mit «Ida» vervollständigt Susanna Schwager die Geschichte von «Fleisch und Blut» und «Die Frau des Metzgers», ihren ersten grossen Bucherfolgen. Sie erzählt von Mann und Frau in schwierigen Zeiten. Von einfachen Menschen in einer komplizierten Welt. Von der Liebe, die nicht dort ist, wo sie sein soll, sondern dort, wo sie sein will. Einmal mehr spannt sie den Bogen über ein ganzes Jahrhundert, anschaulich und sinnlich, mit grosser Sprachkraft. Und jenem feinen Humor, den das Leben erfindet.
(Klappentext)

2. August 2023

Meine «Wegrandnotizen» 1990–2010

René P. Moor: Wegrandnotizen – Wander-
tagebuch 1990–2010, Edition Wanderwerk,
Burgistein, 2023
Endlich mal wieder etwas aus eigener Feder: Soeben ist der zweite Band meiner «Wegrandnotizen» erschienen. Er vereint die Wandertagebücher aus der Zeit von 1990 bis 2010. Die zwei Dekaden waren geprägt von verschiedenen Projekten und Vorhaben. Genannt seien zum Beispiel mein Outdoor-Unternehmen «Alpentrek» oder der von den Naturfreunden Schweiz lancierte «Kulturweg Alpen», dessen Projektleiter ich war. Mit dem Aufkommen des Internets änderten sich bekanntlich die verfügbaren Informationsquellen fundamental, was sich durchaus positiv auf die Vor- und Nachbereitung meiner Wandertaten auswirkte. Da war aber auch mein Rücken, der mir nach der Jahrtausendwende immer wieder zu schaffen machte. Nichtsdestotrotz wanderte ich unermüdlich weiter und schrieb fleissig Tagebuch – mal mehr, mal weniger. 

Das hübsche Bändchen zählt 196 Seiten und ist ab sofort in der Edition Wanderwerk oder in jeder guten Buchhandlung erhältlich.

29. Juli 2023

1984

George Orwell: 1984, Ullstein, Frankfurt
am Main/Berlin/Wien, 1976
George Orwells Welterfolg wird hiermit erneut als Taschenbuch vorgelegt. Mit atemberaubender Unerbittlichkeit zeichnet der Autor in diesem visionären Roman das erschreckende Zukunftsbild einer durch und durch totalitären Gesellschaft, die bis ins letzte Detail durchorganisierte Tyrannei einer absolut autoritären Staatsmacht.

Dieses Buch entstand unter dem Eindruck unkontrollierter Willkürherrschaft, des Nazismus, des Faschismus, des Stalinismus, aber auch der wirtschaftsimperialistischen Tendenzen bei den Industriemächten während des Zweiten Weltkriegs. Pessimistischer und grimmiger noch als in seinen anderen Büchern bringt Orwell hier seine Überzeugung zum Ausdruck, dass die Machtstruktur einer Gesellschaft auch durch Revolution nicht grundlegend verändert werden kann und dass die Zerstörung des Menschen durch eine perfektionierte Staatsmaschinerie unaufhaltsam ist. Seine düstere Zukunftsvision gewinnt dadurch einen beklemmenden Wirklichkeitsbezug, dem sich auch der Leser von heute nur schwer entziehen kann.
(Klappentext)

26. Juli 2023

Nacht ist der Tag

Peter Stamm: Nacht ist der Tag, Fischer,
Frankfurt/Main, 2015
Gillian ist eine erfolgreiche Fernsehmoderatorin, sie ist eine schöne Frau, sie führt eine abgesicherte Beziehung mit Matthias, sie hat ihr Leben unter Kontrolle. Eines Nachts hat das Paar nach einem Streit einen Unfall, ihr Wagen rammt auf nasser Strasse ein Reh. Matthias stirbt, sie erwacht im Krankenhaus. Mit einem zerstörten Gesicht. Erst langsam setzt sich ihr Leben wieder zusammen und eine Geschichte aus der Vergangenheit wird zu einer möglichen Zukunft.

Eindringlich, mit leisen Worten und unausweichlichen Bildern erzählt Peter Stamms neuer grosser Roman von einer Frau, die ihr Leben verliert, aber am Leben bleiben muss – eine Tragödie, die zu einem Neuanfang wird.
(Inhaltsangabe im Buch)

GR: Scuol

23. Juli 2023

Schatten

Walter Matthias Diggelmann: Schatten,
Benziger, Zürich/Köln, 1979
Da entschliesst sich einer, gewissenhaft nichts anderes zu bedenken als das, was ihn allein auf einer bestimmten Strecke seines Weges betrifft. Das Eigenste – Krankheit und Tod – fordert ihn an. Er stellt sich: nicht meditativ ergeben, sondern energisch reagierend. Und gerade daraus ist das menschliche Gewicht dieses Tagebuches zu begründen: Für den totalen Ernst der Todeszone sind Konventionen, sind Umgangsformen zu gering. Aber welche Form des Redens und was für ein Schweigen könnten dem Anspruch genügen?

Solches Fragen nach dem jetzt gemässen Reden und Schweigen bewegt den Bericht. Der Dichter Walter Matthias Diggelmann, der Schreiber: Er überprüft seine Geschichten; er erwägt neue Geschichten; er lebt in seinen alten und neuen Geschichten. Er umstellt sich mit Geschichten: gegen den Tod. Er ahnt die eine Geschichte, in der das unteilbar-eigene Leben völlig bei sich wäre, jenseits der Angst, so, dass der Tod das Leben nicht nähme, sondern es vom beruhigten Menschen geschenkt bekäme. «Ich bin glücklich», steht da zuletzt. Ein überprüftes Glück. Das Tagebuch sagt, was das heisst. Indem einer, gewissenhaft, nichts anderes tat als das: Bedenken, was ihn allein betrifft – ebenso hat er bedacht, was jeden betrifft. (Klappentext)

21. Juli 2023

Pipe der Knecht

Albert-Louis Chappuis: Pipe der Knecht,
Verlag Mon Village, Vulliens, 1980
A.-L. Chappuis liess sich von dem berühmten Film «Les petites fugues» von Yves Yersin und Claude Muret inspirieren, um diesen Roman zu schreiben. Pipe ist der Name eines alten Bauernknechtes. Er ist ledig und steht seit vierzig Jahren im Dienst der Familie Duperrex. Er ist nicht beschränkt, aber auch kein Genie. Ein sympathischer Kerl mit seinen Launen und Grillen, seinen guten und schlechten Tagen. Sein ganzes Leben verbrachte er in bescheidenen Verhältnissen auf dem Bauernhof, hatte Kost und Logis und fühlte sich dort wohl. Mehr verlangte er nicht, umso mehr als ihn Rosa, die Meistersfrau, als einen ihrer Angehörigen behandelt. Nichts hätte eigentlich diesen monotonen Lebensablauf stören können, hätte nicht der Pösteler ihm eines Tages die AHV-Rente überbracht.

Pipe konnte kaum daran glauben. Er meinte nämlich, diese sei nur den Reichen zugedacht … Und dann was für eine Rente! Sie betrug das Doppelte seines Lohnes. Es war wie ein Geschenk des Himmels. Eben diese Ereignisse schildert der Roman. Das einfache Leben eines Bauernknechtes, der eines schönen Tages über mehr Geld verfügen kann und nun beschliesst, seine Lebensweise zu ändern.

Wie geht er dabei vor? Was passiert zum Schluss? Sie erfahren es aus diesem Roman, der in freier Nachgestaltung zum obgenannten Film entstanden ist. Er schildert zahlreiche Szenen aus dem Film selbst sowie eine ganze Reihe unbekannter Ereignisse. Ein heiterer Roman? Gewiss. Aber auch eine tiefgründige Erzählung.
(Klappentext)

17. Juli 2023

Souvenirs aus dem Waldviertel

Liebhart Paul Gregor, Schendl Johannes:
Die Waldviertelbahn, Sutton Verlag, Erfurt,
2023
Mein letzter Auslandurlaub liegt Jahre, wenn nicht Jahrzehnte zurück. Grund genug also, sich wieder einmal in ein ferner gelegenes Gefilde zu begeben. Ende Juni war es soweit: Mit dem Nachtzug ging es nach Wien und von dort ins Waldviertel, genauer nach Gmünd an der österreichisch-tschechischen Grenze. Weshalb das Waldviertel und weshalb ausgerechnet Gmünd? Nun, die Region Waldviertel ist einerseits ein wunderbares Wandergebiet in landschaftlich schönem Ambiente. Andererseits ist Gmünd Ausgangspunkt zweier Schmalspurbahnlinien der Spurweite 760 mm*: jene nach Gross Gerungs (Südast) und jene nach Litschau (Nordast), wobei in Alt Nagelberg eine dritte Linie nach Heidenreichstein abzweigt.

Die Kombination Schmalspurbahn und Wandern ist für mich per se eine unwiderstehliche. Und die Urlaubswoche in der Nordostecke Österreichs liess den kaum zu wünschen übrig: Acht Wanderungen und insgesamt sieben Schmalspurbahnfahrten an vier Tagen wurden absolviert. An den restlichen Tagen dienten die ÖBB  (Normalspurbahn) und der Postbus als Reisevehikel. Leider nahm die Linie von Alt Nagelberg nach Heidenreichstein erst nach meinem Aufenthalt ihren Betrieb auf weshalb es lediglich zu einer Bahnhofbesichtigung in Heidenreichstein reichte. Selbstverständlich war die Fotokamera stets mit dabei, so dass von der Waldviertelbahn zahlreiche Bilder in Bits und Bites festgehalten werden konnten. Eine ausführliche Bildstrecke befindet sich hier.

Weil ich zudem etwas mehr über die wechselvolle Geschichte der mittlerweile 123 Jahre alten Bahn wissen wollte, kaufte ich mir ein in diesem Jahr erschienenes Buch, das mit zahlreichen Aufnahmen aus all den Jahren glänzt. Der Klappentext sagt über das Werk: 

Am 3. Juli 1900 wurde die erste Teilstrecke der Waldviertler Schmalspurbahn eröffnet. Seitdem verbindet die Lokalbahn die Orte Gross Gerungs, Langschlag, Weitra, Gmünd, Litschau und Heidenreichstein. Nach über 115 bewegten Jahren hat sich die einst so bedeutende Güter- und Personenverkehrslinie zu einer viel besuchten Freizeitattraktion entwickelt.

Die erfolgreichen Autoren Paul Gregor Liebhart und Johannes Schendl sind profunde Kenner der Waldviertler Eisenbahngeschichte. Mit über 150 bisher unveröffentlichten und überwiegend farbigen Fotografien dokumentieren sie die Geschichte der Bahn, die Strecke und die Vielfalt der eingesetzten Fahrzeuge von ihren Anfängen bis heute. 

Dieser stimmungsvolle Bildband setzt der traditionsreichen Waldviertelbahn ein liebevolles Denkmal und lädt Bahnbegeisterte und Liebhaber des Waldviertels gleichermassen zu einer vergnüglichen Bahnfahrt, zum nostalgischen Schwelgen und Neuentdecken ein.

* Für Nicht-Ferrophile: Der Schienenabstand bei Normalspur (z.B. SBB) beträgt 1435 mm. Die in der Schweiz betriebenen Schmalspurbahnen (z.B. Rhätische Bahn) weisen eine Spurweite von 1000 mm auf.

15. Juli 2023

Mörder ohne Gesicht

Henning Mankell: Mörder ohne Gesicht,
dtv, München, 1999
Ein altes Ehepaar wird auf seinem Bauernhof brutal ermordet. Die letzten Worte der sterbenden Frau waren «Ausländer, Ausländer!» – Kommissar Wallander weiss, dass diese Information unter gar keinen Umständen an die Presse gelangen darf. Denn das Klima im Lande hat sich gewandelt, und die Möglichkeit, dass Ausländer an der Tat beteiligt waren, genügt möglicherweise, um eine Welle ausländerfeindlicher Gewalt auszulösen. Doch plötzlich gehen die Ermittlungen in eine ganz andere Richtung: Der Ermordete hat offenbar ein Doppelleben geführt …
(Inhaltsangabe im Buch)

12. Juli 2023

Der Kinderfresser

Jacques Chessex: Der Kinderfresser,
Lenos, Basel, 2004
Am Tag der Kremation seines Vaters durchströmt Jean Calmet, Lateinlehrer in Lausanne, ein Gefühl der Erleichterung, mehr noch: der Befreiung. Endlich ist der vor Leben strotzende Koloss, der seine Jugend zerstört hatte, gebannt. Doch das Gefühl ist trügerisch: Der Vater ist nicht tot. Das Bild seiner übermächtigen Gestalt verfolgt den Sohn unerbittlich überallhin und nimmt immer monströsere Züge an. (Klappentext)

VD: Broyetal, Lutry, Lausanne BE: Stadt Bern

9. Juli 2023

Zigeunerhäuptling

Willi Wottreng: Zigeunerhäuptling, Orell
Füssli, Zürich, 2010
Seine ganze Jugend stand Robert Huber unter der Vormundschaft der Stiftung Pro Juventute. Er lebte als Verdingbub in verschiedenen Familien und sass in der Strafanstalt Bellechasse unter Kriminellen ein. Schrittweise eroberte er sich den Weg zurück zu seiner Gemeinschaft. Als junger Mann nahm er teil am Widerstand der Jenischen gegen die Unterdrückung der Kultur der Fahrenden. Dann wurde er ihr Sprecher. Als Präsident der «Radgenossenschaft der Landstrasse», der Dachorganisation der Jenischen und Fahrenden, setzte er sich für ihre Rechte ein. Unter seiner Präsidentschaft fanden so wichtige Ereignisse statt wie die Sicherung der Pro-Juventute-Akten, die Entschuldigung des Bundesrates für die Zwangsbevormundungen und die Anerkennung der Fahrenden als nationale Minderheit.

Willi Wottreng zeichnet Robert Hubers dramatische Lebensgeschichte nach. Das Buch gibt erstmals Einblick in den Kampf der Fahrenden um gesellschaftliche Anerkennung. Es spann den Bogen von der Unterdrückung der «Vaganten» zu Beginn des 20. Jahrhunderts über das erwachende Selbstbewusstsein der Jenischen bis zur Problematik fahrender Lebensweise in der heutigen hoch reglementierten Gesellschaft. Willi Wottreng präsentiert mit seinem neuen Buch weit mehr als eine fesselnde Lebensgeschichte. Es ist zugleich die Geschichte einer Schweizer Minderheit, deren konkrete Lebensumstände noch immer weitgehend unbekannt sind.
(Klappentext)

6. Juli 2023

Nachtschwimmer

Hansjörg Schertenleib: Nachtschwimmer,
Aufbau Verlag, Berlin, 2012
Der siebzehnjährige Patrick fliegt aus der Schweiz nach Irland. Er besucht Fiona, seine erste grosse Liebe, um mit ihr Silvester zu feiern. Fiona lebt mit ihrer Mutter, ihren Geschwistern und dem verhassten Onkel auf einem Schrottplatz.

Schon am zweiten Tag verlangt sie von Patrick, mit ihm abzuhauen. Und so machen sie sich auf die Flucht durch ein Irland in der Krise. Schliesslich landen sie in einem Abbruchhaus in Dublin. Dort hat ein charismatischer Mann eine Handvoll Jugendlicher um sich geschart. Patrick begreift, dass Fiona ein Geheimnis hütet und dass er sie retten will – falls er dazu in der Lage ist.
(Inhaltsangabe im Buch)

4. Juli 2023

Die Kunst des Scheiterns

Konstantin Wecker: Die Kunst des
Scheiterns, Piper, München, 2007
Konstantin Wecker über die unvollendete Skizze seines Lebens, über Erfolge und Misserfolge, darüber, wie er Liebe und Gott und die eigenen Abgründe heute versteht. Eine Geschichte von Veränderung und Verwandlung, eine Meditation über die Lektionen des Lebens, eine Anleitung in der Kunst des Scheiterns. (Klappentext)

30. Juni 2023

Eine Frage der Zeit

Alex Capus: Eine Frage der Zeit, btb,
München, 2009
Drei norddeutsche Werftarbeiter werden 1913 von Kaiser Wilhelm II. beauftragt, ein Dampfschiff in seine Einzelteile zu zerlegen und am Tanganikasee südlich des Kilimandscharo wieder zusammenzusetzen. Der Monarch will damit seine imperialen Ansprüche unterstreichen. Die drei Männer fahren nach Deutsch-Ostafrika mit der Aussicht auf guten Verdienst, lassen sich bezaubern von der exotischen Kulisse und der schönen Gouverneurin, geraten aber rasch in das gewalttätige Räderwerk des Kolonialismus, aus dem es kein Entrinnen gibt. Zur gleichen Zeit beauftragt Winston Churchill den exzentrischen, aber liebenswerten Oberleutnant Spicer Simson, zwei Kanonenboote über Land durch halb Afrika an den Tanganikasee zu schleppen. Als der Erste Weltkrieg ausbricht, liegen sich Deutsche und Briten an seinen Ufern gegenüber. Keiner will, aber jeder muss Krieg führen vor der pittoresken Kulisse des tropischen Sees. Alle sind sie Gefangene der Zeit, in der sie leben, und jeder hat seine eigene Art, damit fertig zu werden. (Inhaltsangabe im Buch)