9. April 2020

Der Kopfstand auf der Kirchturmspitze

Josef Hochstrasser: Der Kopfstand auf der
Kirchturmspitze, Zytglogge, Bern, 1990
Dieser autobiografische Bericht ist die bewegende Geschichte eines Einzelfalls. Präzis und ohne Selbstmitleid dokumentiert er, wie der Mut zur Liebe zwei Menschen – einen katholischen Priester und eine in kirchlicher Lehrtätigkeit engagierte Frau – gegen ihren Willen in die Konfrontation mit der Hierarchie der Amtskirche bringt.

Josef Hochstrasser zeigt auf, wie diese Hierarchie die Liebenden mit den Mitteln der Bedrohung, des Liebesentzugs, der Strafe, Bespitzelung, Gesprächsverweigerung, schliesslich der Amtsenthebung in die Vereinsamung, in Aussenseitertum, Stigmatisierung und Leiden treibt.

Der Bericht legt aber auch dar, wie die beharrliche Verteidigung der Menschenwürde und des Menschenrechts auf selbstverantwortliche Freiheit allem kirchlichen Terror von oben zum Trotz ins Offene führt.

Und das ist die andere, bestürzende Dimension dieses Buches; sie weist über den Einzelfall weit hinaus: Dieser kirchlichen Hierarchie geht es nicht um Liebe, nicht um Solidarität; weder um Brüderlichkeit noch um Schwesterlichkeit. Es geht ihr, wie eh und je den Pharisäern, nicht um die Menschen, sondern um die abstrakten Prinzipien der allein selig machenden, der oft genug liebes- und leibesfeindlichen Lehre – hier um das seltsame Prinzip des Zölibats. Hochstrassers Zeugnis macht sichtbar, wie brutal die katholisch-kirchliche Hierarchie zuschlägt, wenn mündige Christen und Christinnen ihre eigene Überzeugung leben, verantwortlich ihrer Gewissensinstanz auch dann, wenn sie dadurch in Widerspruch geraten zu Fundamentalismus und Ortho-Doxie, dieser allein rechten Ordnung des Denkens in der Kirche. Auf erschreckende Weise geradezu spannend ist es, hier zu lesen, wie gnadenlos diese Kirche in ihrem Charakter geblieben ist – gnadenlos weit entfernt von jenem zentralen Ruf «Liebe deinen Nächsten wie dich selbst» des Rebellen vom See Genezareth. (
Aus dem Vorwort von Otto F. Walter)

Josef Hochstrasser, geb. 1947 in Luzern. Studium der Philosophie und der Theologie. 1971 Schweizergardist in Rom. 1973 zum römisch-katholischen Priester geweiht. Später wegen Heirat «laisiert». 1985 Entzug der kirchlichen «Missio canonica» durch den Bischof von Basel. Berufsverbot. Hilfsarbeiter. Austritt aus der kath. Kirche. Studium an der evangelisch-reformierten Fakultät der Universität Bern. Seit 1989 reformierter Pfarrer. Ab 1982 Mitarbeiter der Rubrik «Zum neuen Tag» beim Schweizer Radio.

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