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Erich Hackl: Abschied von Sidonie, Diogenes, Zürich, 1991 |
27. Mai 2022
Abschied von Sidonie
24. Mai 2022
Das Baby-Bambi von Grolley
Ich war gerade zwanzig Minuten unterwegs, als vor mir im Wald südlich von Grolley (FR) ein Tier in der Grösse eines Hasen über den Pfad hoppelte. Auf der Höhe des gesichteten Lebewesens angelangt, schaute ich aus lauter Gewohnheit in jene Richtung, in der es verschwand. Und siehe da: Im halbhohen Bodenbewuchs lag ein Rehkitz und schaute mit herzerweichendem Blick zu mir hoch.
Ich schoss ein paar Fotos und widerstand der Versuchung, das schnuckelige Baby zu streicheln. Wie ich mich auf die Fortsetzung meiner Wanderung machte, hörte ich hinter mir das unverkennbare Bellen eines Rehs. In der Hoffnung, dass es sich um die Mutter handelte, die ihr Junges bald finden würde, durchquerte ich anschliessend entlegene Dörfer und wunderbare Wälder, ehe ich in Payerne wieder in die Bahn stieg und nach Hause fuhr.
Nebst meiner unverhofften Begegnung, bildete der historische Turm von Montagny-les-Monts das zweite – mitunter bewusst angepeilte – Glanzlicht des Tages. Vom ehemaligen Wohnturm des Schlosses hatte ich eine prächtige Aussicht in eine Umgebung, die es weiter zu entdecken gilt.
22. Mai 2022
Weiter im Wald
Musste ich vor einer Viertelstunde entgegenrasenden Autos ausweichen, suche ich nun an der mit Brennnesseln übersäten Uferböschung einen Durchgang zum Wasser. Ein Hauch von Dschungelfeeling macht sich breit. Schliesslich finde ich eine flachere Uferpartie mit überspringbarem Bachbett. Auf der gegenüberliegenden Seite ist die Vegetation weniger dicht, so dass ich mir einen etwas besseren Überblick verschaffen kann. Dabei entdecke ich zahlreiche von Bibern gefällte Bäume. Dreihundert Meter flussabwärts staut sich das Wasser an einem Biberdamm. In welch wunderbare Wildnis bin ich hier innert Kürze geraten!
Biberburg auf der Grenze der Kantone Waadt und Freiburg. |
Ungewohnte Wegverhältnisse im Wald südlich von Villarepos (FR). |
Auf der Kantonsgrenze BE/FR mit dem Grenzstein von 1754. |
19. Mai 2022
Korea
Wie reist man durch ein so fremdes Land wie Südkorea? Simon
Winchester möchte das «echte» Südkorea erleben, also entschliesst er sich, zwei
Monate lang zu Fuss das «Land der Wunder» zu durchqueren. Auf seiner Reise trifft
Winchester amerikanische Soldaten und irische Mönche, koreanische Amazonen und
auf Flitterwochen spezialisierte Hotelbesitzer, er bekommt es mit
professionellen Heiratsvermittlern, deftigen Hundegerichten und konfuzianischen
Lebensritualen zu tun. Winchester lernt dieses Land lieben – gerne hätte er
einfach nur von der Schönheit Koreas geschrieben. Doch ist gerade die Zeit seiner
Reise, das Jahr 1987, «die bewegteste, faszinierendste und historisch vielleicht
bedeutsamste Zeit in der Geschichte des modernen Korea». Es ist die Zeit, als das
politische System Koreas in Bewegung gerät. Und so wird Winchesters Marsch auch
zu einer hautnahen Begegnung mit den politischen Konflikten des Landes: Er berichtet
von den massiven Unruhen und politischen Protesten, die durch das autoritäre Regime
ausgelöst werden und zur allmählichen Einführung demokratischerer Strukturen
beitragen. (Inhaltsangabe zum Buch)Simon Winchester: Korea, btb, München,
2006
Moors Fazit: Ein durch und durch aufschlussreicher Reisebericht, der sich in erster Linie – und das ist gut so – mit dem Land Korea und vieler seiner oft unglaublichen Facetten befasst, und der Fussmarsch erzählerisch lediglich als «Vehikel» und roter Faden dient. Wer mehr über ein Land erfahren möchte, von dem wir hier im Westen nur wenig wissen, hole sich den Winchester und tauche ein in diese unsinnigerweise geteilte Halbinsel Asiens.
14. Mai 2022
Die Spirale – Etappe 14
In Grün die bereits zurückgelegte Strecke von 235 km |
Die Vorfreude auf diese 14. Etappe der Wanderspirale war gross und berechtigt dazu. Heute stand nämlich der 2. Einsatz meines Packrafts an, stellte sich mir doch der Wohlensee in die Quere. Von Frauenkappelen, wo mich ein absolut traumhafter Frühsommertag erwartete, stieg ich ab in den Mikrokosmos Wohlensee. Surrte am Frauenkappeler Ortsrand noch ein Baukran, sang und pfiff und quakte es am wellenlosen See ohne Ende. Genau so hatte ich mir diesen gewünscht. Und weil ich unter der Woche zu Gange war, kurvten auch keine nervigen Motorboote auf dem Gewässer herum. Abgesehen von zwei Sportruderern hatte ich also den Wohlensee für mich, zumindest für die gut 300 Meter lange Strecke vom Süd- ans Nordufer.
Zugegeben, für die zehn Minuten, die ich auf dem Wasser war, benötigte ich insgesamt 50 Minuten Vor- und Nachbereitung. Mit anderen Worten, auf diesem Abschnitt war ich mit 0,3 km/h unterwegs, was für einen Fussgänger wie mich rekordverdächtig langsam ist. Positiv formuliert: Entschleunigung in Reinkultur! In der Folge erhöhte ich das Tempo um das rund 20-fache, stieg auf das Plateau am Fusse des Frienisbergs hoch, wo mir das ländlich-schmucke Möriswil besonders ins Auge stach. Das kleine Dorf scheint noch weitgehend unberührt vom unermüdlich grassierenden Einfamilienhäuschenboom, statt dessen brilliert es mit überdurchschnittlich grossen Bauernhäusern aus dem 18. und 19. Jahrhundert.
Auf dem Wohlensee, der aufgestauten Aare im Westen Berns. Das Kraftwerk ging übrigens am 23. August 1920 in Betrieb. |
Auf dem Weg nach Meikirch begleitete mich das schneebedeckte Alpenpanorama. Eigentlich hätte ich mich im Schatten eines Baumes hinsetzen müssen, um den Rest des Tages in die fernen Berge zu blinzeln. Doch mein Ziel war noch weit, und so begnügte ich mich mit dem Trost, dass ich mir den meditativen Blick auch im Alter noch zu Gemüte führen kann, wenn 0,3 km/h meine Grundgeschwindigkeit sein wird.
Ehe ich nach Schönbrunnen, dem angepeilten Etappenort, gelangte, durchstreifte ich herrliche Buchenwälder. Auch hier genoss ich die Einsamkeit und das Jubilieren der Vögel, die derzeit alle Schnäbel voll zu tun haben. Ein ziemlicher Kontrast bildeten die letzten zwei Kilometer im Tal des Lyssbachs, wo alle paar Minuten ein Zug der Strecke Zollikofen–Biel vorbeirauschte und sich einen halben Kilometer weiter nördlich die Autobahn permanent bemerkbar machte. Einen Hauch von Wildwest gab es in Schönbrunnen, wo mitten in der Ebene das abgehalftert wirkende Hotel Schönbrunnen steht. Für mich war sofort klar, dass das Etablissement seit längerer Zeit keine Gäste mehr beherbergte. Doch dann sah ich hinter einem Fenster einen älteren Herrn sitzen. Ich ging ums halbe Haus herum, um herauszufinden, ob ich mich bloss von der falschen Seite genähert hatte. Die Gebäudefassade konnte mich indes nicht vom Gegenteil überzeugen.
Abbröckelnde Fassaden, zerbröselnder Sandstein: Das Hotel Schönbrunnen bei Münchenbuchsee hat den Charme des alten Hauses von Rocky Docky. |
Ich werde garantiert wieder hierher kommen. Nicht zum Übernachten, versteht sich.
8. Mai 2022
Die Geschichte von Herrn Sommer
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Patrick Süskind: Die Geschichte von Herrn Sommer, Diogenes, Zürich, 1994 |
Herr Sommer läuft stumm, im Tempo eines Gehetzten, mit seinem leeren Rucksack und dem langen, merkwürdigen Spazierstock von Dorf zu Dorf, geistert durch die Landschaft und durch die Tag- und Alpträume eines kleinen Jungen. Erst als der kleine Junge schon nicht mehr auf Bäume klettert, entschwindet der geheimnisvolle Herr Sommer. (Inhaltsangabe zum Buch)
D: Süddeutschland
Moors Fazit: Eine wunderbar erzählte, mitunter witzig-komische Novelle, die ich mit Hochgenuss gelesen habe. Passend dazu die Aquarellbilder von Sempé. Das Bändchen wird einen Ehrenplatz in meiner Bibliothek einnehmen.
5. Mai 2022
Der verflixte Guscha
Ach, als freischaffender Turmbesteiger hat man es nicht immer leicht. Das Berner Münster, zum Beispiel, darf alleine nicht mehr bestiegen werden – das Basler Münster offenbar auch nicht, wie mir kürzlich eine Blogleserin mitteilte. Dann gibt es Türme, die es plötzlich nicht mehr gibt, wie der Prime Tower bei Olten. Oder es gibt solche, die genau dann, wenn du deren Besteigung ins Auge gefasst hast, renoviert werden oder aus Sicherheitsgründen gesperrt sind. Und dann, ja dann gibt es noch den Guschaturm über dem bündnerischen St. Luzisteig.
Einen ersten Anlauf, den zur militär-historischen Wehranlage gehörenden Turm zu besteigen, machte ich am 5. Juni 2021. Allein das vor Ort herrschende Wetter liess meinen Plan nicht zu, so dass ich mich mit der Umrundung des Fläscherbergs begnügen musste. Einen zweiten Versuch unternahm ich am 30./31. Oktober 2022. Geplant war eine Wanderung von Steg im liechtensteinischen Saminatal auf den St. Luzisteig mit einer Besteigung des Guschaturms am Ende der Wanderung. Einmal mehr hatte das Wetter etwas dagegen. Obschon ich mich in Steg (FL) auf den Weg machte, musste ich auf dem ersten Pass abdrehen, da mich ein Föhnsturm immer wieder zu Boden drückte.
Am vergangenen Sonntag unternahm ich nun einen dritten, hoffnungsvollen Versuch, diesem Turm auf den Zahn zu fühlen, ihn endlich zu besteigen. Von Balzers stieg ich den schönen Weg zur ehemaligen Walsersiedlung Guscha hoch. Das waren rund zwei Stunden Steilwald vom feinsten. Das auf 1111 m gelegene Guscha präsentierte sich im ruhigen Sonntagsmodus und glänzte mit einer formidablen Aussicht auf den St. Luzisteig, den Fläscherberg und die im Hintergrund gelegenen St. Galler Alpen. So steil der Aufstieg war, umso gemächlicher ging es auf einer breiten Forststrasse bergab, bis ich nach ¾ Stunden plötzlich vor dem runden Guschaturm stand. Ohne Federlesens fand ich den abseits der Strasse gelegenen Eingang. Ein Schild wies darauf hin, dass sich im Turm maximal 50 Personen aufhalten dürfen. Kein Problem, dachte ich, waren doch weit und breit keine Sinnesgenossen auszumachen.
4. Mai 2022
Ein Flecken Erde
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Arthur Honegger: Ein Flecken Erde, Huber, Frauenfeld, 1984 |
BE: Blumenstein, Goldiwil, Herzogenbuchsee, Krattigen ZH: Zürcher Oberland (Pfäffikon, Illnau, Seegräben, Uster) SZ: March, Lachen
1. Mai 2022
Mein Studium ferner Welten
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Alex Capus: Mein Studium ferner Welten, dtv, München, 2003 |