21. Juni 2008

Simmentaler Panoptikum

Markus Schürpf: Arthur Zeller 1881–1931, Vieh- und
Wanderfotograf im Simmental, Fotografien 1900–1930,
Limmat Verlag, Zürich, 2008
In Zeiten der medialen Bilderflut mag es seltsam anmuten, dass nach wie vor Fotobücher mit historischen Aufnahmen publiziert werden. Oder ist es genau jener Umstand, dass heute, nach der digitalen Revolution und der jederzeit verfügbaren Möglichkeit, sein Handy zu zücken, und auf die Schnelle ein paar Fotos zu schiessen, der Wert von Bildern aus längst vergangenen Tagen erst recht zum Tragen kommt? Diesen Eindruck gewinnt man freilich beim Betrachten des im Zürcher Limmat Verlag erschienenen Bandes über den Simmentaler Landwirt, Viehzüchter und Fotografen Arthur Zeller. Allein die Kombination der zwei doch sehr verschiedenen Berufstätigkeiten macht neugierig, denn Zeller betrieb die Fotografie von 1900 bis 1930 nicht etwa zum Zeitvertreib. Etwa ein Viertel seines Einkommens erwirtschaftete der in Weissenbach bei Boltigen Wohnhafte mit Fotografieren, also einem zweiten Standbein, was für damalige Verhältnisse direkt als fortschrittlich bewertet werden kann.

Der Autor Markus Schürpf vom Büro für Fotografiegeschichte in Bern vermittelt in seinem ausführlich recherchierten Begleittext unzählige Fakten über die ersten dreissig Jahre des 20. Jahrhunderts. Im Zentrum stehen dabei das Schaffen Arthur Zellers, seine Lebensgeschichte sowie seine Bedeutung als Viehfotograf während der Hochblüte der Simmentaler Fleckviehzucht. Aber auch Themen wie  Fotogeschichte, Land und Leute oder die Geschichte des Simmentaler Fleckviehs ergänzen die  dokumentarisch wertvollen Aufnahmen Zellers.

Für Liebhaber des Simmentals sind vor allem die Ansichten von Dörfern, Landschaften und Viehalpen von Interesse. Das Vergleichen der heutigen Situation mit jener vor knapp hundert Jahren bringt zum Teil Erstaunliches zu Tage: Währenddem sich beispielsweise Weissenbach punkto Siedlungsbild nur wenig gewandelt hat, blieb auf dem Kulminationspunkt des Jaunpasses kein Stein auf dem anderen (siehe nachfolgende Bilder). Kundige des Viehzuchtwesens werden gespannt auf die zahlreichen Darstellungen
von ehemals namhaften Kuh- und Stiergrössen blicken und ohne Probleme feststellen können, dass sich seither einiges gewandelt hat, was Idealmasse und Aussehen der Ware anbelangen.

Als sogenannter Wanderfotograf war Arthur Zeller logischerweise viel unterwegs, da die Fotografie noch nicht sehr verbereitet war. Nichts desto Trotz begehrten die Menschen vor allem bei besonderen Ereignissen und Anlässen abgelichtet zu werden. Konfirmationen, Hochzeitspaare, Tote, Arbeitssituationen, oder Familienporträts gehörten ebenso zum Portfolio wie etwa die Eröffnung der Erlenbach-Zweisimmen-Bahn oder die Inbetriebnahme der Montreux-Oberland-Bahn. Zellers fotografische Kompetenz wurde indes auch in Viehfachkreisen ausserhalb des Simmentals sehr geschätzt, weshalb er auch immer wieder an Viehschauen oder auf Bauernhöfen in anderen Regionen beruflich zu tun hatte.

Dass Arthur Zeller erst jetzt wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rückt, haben wir der 1995 von Paul Hugger publizierten Dokumentation über das «Berner Oberland und seine Fotografen» zu verdanken. Um den zellerschen Nachlass hatte sich bis dato bedauerlicherweise niemand gekümmert. Vor vier Jahren brachte eine Sichtung des Archivs «Erschreckendes zutage», schreibt Markus Schürpf in seinem Vorwort. «Bei Aussentemperatur gelagert, waren die Negative der eindringenden Feuchtigkeit schutzlos ausgesetzt. Bei vielen Platten war die Gelatineschicht vollständig zerstört, andere wiesen partielle Schäden auf», so der Autor weiter. Beinahe die Hälfte der Negative war bis zur Unkenntlichkeit beschädigt und musste entsorgt werden. Einige der veröffentlichten Bilder zeigen denn auch kleinere Schäden, was der Qualität des vorliegenden Buches indes keinen Abbruch tut. Etliche Abbildungen belegen gar den hohen Standard der damaligen Fototechnik. Die gestochen scharfen Bilder mit den ausgewogenen Kontrasten und der
meist geringen Tiefenschärfe lassen noch heute viele digital erzeugte Fotos alt (!) aussehen.

Markus Schürpf und der Limmat Verlag haben dem leider allzufrüh verstorbenen
Fotografen Arthur Zeller ein würdiges Denkmal gesetzt.

12. Juni 2008

Der Wegrand ist das Ziel

Sabine Joss, Blütenwanderungen in
der Schweiz,
AT Verlag, Baden, 2008
Wie oft sind wir schon in der Natur herumgestreift und haben diese oder jene sonderbare, vielleicht gar seltene Pflanze bewundert, ohne dabei zu wissen, worum es sich handelt. Kaum zu Hause nimmt man den Pflanzenführer zur Hand, um alsdann vor lauter ähnlichen Abbildungen eine eindeutige Bestimmung ratlos in den Wind zu schlagen. Für zumindest 30 besagter Pflanzen könnte nun durchaus ein neues Zeitalter anbrechen. Statt kiloweise Bestimmungsliteratur mit sich herumzutragen reichen im vorliegenden Fall 421 Gramm. Der Wanderführer «Blütenwanderungen in der Schweiz» von Sabine Joss ermöglicht auf 30 Touren im Jura und der Voralpen-/Alpenregion, das Links und Rechts des Wegrandes zu erkennen, deuten und begreifen. Das «Sortiment» reicht vom Diptam über die Walliser Levkoje bis hin zum Himmelsherold. Die oft in etwas ungelenkem Deutsch ausführlich beschriebenen Wanderungen richten sich nach der saisonalen Blütezeit der im betreffenden Kapitel ausgewählten Pflanze. Ein Kurzporträt der betreffenden Pflanze liefert spannende Hinweise über Merkmale, Lebensraum, Blütezeit, Verbreitung etc. Weil eine Pflanze pro Wanderung freilich zu wenig hergegeben hätte, macht uns die freischaffende Biologin auf unzählige weitere naturkundliche Besonderheiten und Zusammenhänge aufmerksam,die weit über die Botanik hinausreichen. Für die Planung einer Wanderung leisten eine Blühzeittabelle und Routenkärtchen mitsamt allen notwendigen touristischen Angaben gute Dienste. Der Führer ist freilich so konzipiert, dass praktisch jeden Monat mindestens eine Blütenwanderung unternommen werden kann. Der genaue Standort der Pflanzen ist im Text beschrieben, nicht aber auf den Routenkarten eingezeichnet. Ein Glossar vermittelt botanisch eher wenig Bewanderten wichtige Erklärungen zu den im Haupttext verwendeten Fachausdrücken.

Aus typografischer Sicht weist der mit zahlreichen Farbfotos bebilderte und ansprechend gestaltete Führer einen kleinen Schönheitsfehler auf. Der Text der erwähnten Kurzporträts ist in der Blütenfarbe der jeweiligen Hauptdarstellerin gehalten. Die Idee ist zwar originell und lockert die Buchseiten wohltuend auf. Sie funktioniert jedoch bei hellen Farben nicht, so dass das Lesen des Textes zu einer mühsamen Angelegenheit werden kann. Sabine Joss ist mit «Blütenwanderungen in der Schweiz» dennoch ein Werk gelungen, das manchem Wanderer die Augen für das Naheligende mit Bestimmtheit öffnen wird.

Folgende Pflanzen werden näher unter die Lupe genommen: Alpen-Akelei, Alpen-Bergscharte, Alpen-Mannstreu, Alpenrebe, Berg-Drachenkopf, Blassgelber Eisenhut, Christrose, Diptam, Frauenschuh, Frühlings-Adonisröschen, Gelber Alpen-Mohn, Himmelsherold, Jupiter-Lichtnelke, Kahle Wachsblume, Lichtblume, Moosglöckchen, Orangerotes Greiskraut, Ostalpen-Enzian, Osterglocke, Perlhuhn-Schachblume, Perückenstrauch, Pfingstrose, Safrangelber Steinbrech, Sibirische Schwertlilie, Steinschmückel, Strauss-Steinbrech, Walliser Levkoje, Weinberg-Tulpe, Weisse Berg-Narzisse, Zistrose.