2. Mai 2014

Ein nachhaltiges Urteil

Gestern ging ich eine tolle Route im Wallis. Vom Leukerbad auf dem Römerweg nach Inden und weiter talabwärts in die Nähe von Rumeling. Hier beging ich die Varner Leitern, einen 1739 in den Fels gehauenen Weg, anderthalb Meter breit und haarscharf am nicht enden wollenden Abgrund vorbei. Erbaut wurde das Kunstwerk vom Tiroler Wegemacher Bartlme Kraniger. Goethe ging am 9. November 1779 den umgekehrten Weg von Sierre ins Leukerbad und passierte die Stelle. Er berichtete in seinen Schweizer Reisen:

Wir waren nun schon drei Stunden aufwärts in das ungeheure Gebirg gestiegen, das Wallis von Bern trennet. [...] Wir sahen, als wir um die Ecke herumkamen und bei einem Heiligenstock ausruhten, unter uns am Ende einer schönen grünen Matte, die an einem ungeheuren Felsschlund herging, das Dorf Inden mit einer weissen Kirche ganz am Hange des Felsens in der Mitte von der Landschaft liegen. [...] Der Weg nach Inden ist in die steile Felswand gehauen, die dieses Amphietheater von der linken Seite, im Hingehen gerechnet, einschliesst. Es ist kein gefährlicher, aber doch sehr fürchterlich aussehender Weg. Er geht auf den Lagen einer schroffen Felswand hinunter, an der rechten Seite mit einer geringen Planke von dem Abgrunde gesondert. Ein Kerl, der mit einem Maulesel neben uns hinabstieg, fasste sein Tier, wenn es an gefährliche Stellen kam, beim Schweife, um ihm einige Hülfe zu geben, wenn es gar zu steil vor sich hinunter in den Felsen hinein musste. Endlich kamen wir in Inden an.

Eine kleine Bildstrecke zu den Varner Leitern gibt es hier.

Am Fuss der Varner Leitern die historische Inschrift, an der bereits Goethe vorbeikam. Die Bezeichnung Leitern hat übrigens nichts gemein mit den Klettersteigleitern, die es hier auch noch gibt. Der Begriff stammt aus der Vorzeit des Felsenweges, als einzelne Felsbandabschnitte miteinander durch Holzleitern verbunden wurden. Auf der gegenüberliegenden Talseite zeugen die heute noch begehbaren Albinenleitern vom ursprünglichen Sinn.

Oben an der Felskante – der von Goethe erwähnte Bildstock steht immer noch da –  wechselte die Landschaft von bedrohlicher Steilheit in sanftes Südhaldenambiente. Oberhalb von Varen schwenkte ich in die Varner Suone ein – sie wird auch Grossi Wasserleitu genannt – und folgte ihr bis in die Nähe der Fassung beim Röstigrabenbach Raspille. Die Bewässerungszuteilung fusst übrigens auf einem Urteil des Bischofs Jost von Silenen vom 14. September 1490, das heute noch Gültigkeit hat. Von der Raspille folgte ich sodann der Bisse Neuf nach Venthône. Ein wunderbares Gehen war das! Durch eine Trockenvegetation mit Föhren und Eichen, meist im Halbschatten, der mir der Maisonne wegen sehr gelegen kam. Ich empfehle die durchgehend ausgeschilderte Route dringendst zur Nachahmung (21,5 km 630 m Aufstieg, 1480 m Abstieg, 6½ Std.), nicht zuletzt aufgrund der unzähligen schönen, naturbelassenen Wegabschnitte.

Traumhaftes Wanderambiente entlang der Varner Suone, dessen Bewässerungslogistik auf ein bischöfliches Urteil von 1490 zurück geht.

4 Kommentare:

  1. Könnte man nicht bittibittibitti noch ein paar Fotos zu sehen bekommen von den Varner Leitern? Schon lange möchte ich die gern machen und dürste nach Vorab-Information der optischen Art...

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  2. Sehr geehrter Herr Widmer. Ihr berechtigter Wunsch sei mir Befehl. Der Link zu einer Bildstrecke ist eingefügt. Viel Spass beim Betrachten!

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  3. Lieber René
    Die "Varner Leitern" sind ja historisch gut belegt.
    Per Google Suche nach dem Varner Klettersteig bin ich hier gelandet.
    Leider finde ich in Ihrem Bericht diesbezüglich keine Informationen.

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  4. Guckst Du hier: https://schätti.com/varnerleitern oder http://www.hikr.org/tour/post72645.html

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