26. Dezember 2013

Wildost in Deutschlands Mitte

Fred Sellin: Wenn der Vater mit dem
Sohn,
Piper, München, 2009
1400 Kilometer zu Fuss entlang der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze: Fred Sellin erzählt von seiner siebenwöchigen Wanderung mit Sohn Robin – einer Wanderung durch unbekanntes Heimatland. Vorbei an verfallenden Grenzbauten, ehemaligen Stasi-Agentenschleusen, verwunschenen Klosteranlagen, düsteren Burgruinen und entvölkerten Orten, durch idyllische Täler und auf überwucherten Wegen erleben die beiden deutsche Mentalitäten und Landschaften. Ihre Reise wird ein großes spontanes Abenteuer zu zweit, bei dem Vater und Sohn sich immer wieder gegenseitig überraschen und neu kennenlernen. (Klappentext)

Sellin, der in der DDR aufwuchs, berichtet auch aus jener Zeit; von Einzelschicksalen, vom totalitären Regime, von den für westliche Begriffe unglaublichen Freiheitseinschränkungen, von Enteignungen etc. Und immer wieder tauchen haarsträubende Geschichten über Menschen auf, die es in ihrer Heimat nicht mehr aushielten, in die BRD flüchten wollten und hierbei von den Grenzern abgeknallt wurden:

Der Baumaschinist [Heinz-Josef Grosse] aus dem nahen Dorf Thalwenden hatte über Jahre immer wieder als Zivilist im Grenzstreifen gearbeitet. Er galt als zuverlässiger Staatsbürger, wurde zwar stets bewacht, aber gelegentlich nicht so streng wie andere. Am 29. März 1982 baggerte er einen Graben aus, in dem Kabel zu dem neu errichteten Beobachtungsturm verlegt werden sollten. Als ihn seine zwei Bewacher am Nachmittag kurz allein liessen, fuhr er mit seinem Vorderlader zum Grenzzaun, kletterte auf die Baggerschaufel, sprang hinüber und lief den Hang hinauf. In dem Moment kehrten die beiden Grenzer zurück. Aus fünfzig Meter Entfernung feuerten sie neun Geschosse auf den Vierunddreissigjährigen. Grosse verblutete. Die Todesschützen wurden, wie in solchen Fällen üblich, vom Kommandeur des Grenzregiments belobigt, erhielten hundertfünzig Mark Prämie und Sonderurlaub.

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