29. April 2016

Leben unter dem Überhang

Kürzlich bin ich auf einer Wanderung von Zollikofen nach Vechigen an den Höhlenwohnungen bei Krauchthal vorbei gekommen. Im Gegensatz zu früher, führt der Weg nun nicht mehr über den Vorplatz der in den Fels gebauten Liegenschaft, sondern in Rufdistanz dem Hang entlang. Die neuen Besitzer mögen es verständlicherweise leid geworden sein, wenn sich dauernd irgendwelche buchstäblich Dahergelaufenen vor der Haustüre tummelten und sich über diese für Schweizer Verhältnisse ziemlich einmalige Wohnform ergötzten.

Zugegeben, auch ich war beeindruckt ob der Wohnlage unter der lotrechten Sandsteinfluh, hütete mich aber, in den verbotenen Bereich einzudringen. Weil es mich wunder nahm, wie es eigentlich zu diesen Höhlenwohnungen gekommen ist, ging ich ein wenig auf Recherche und habe nachfolgenden Artikel gefunden. Er ist 1951 in der Berner Zeitschrift für Geschichte und Heimatkunde (Band 13)  erschienen (Autor: © Max Schweingruber). Ich empfehle das Ganze hiermit zur Wochenendlektüre.


DIE HÖHLENWOHNUNGEN VON KRAUCHTHAL

Obschon unsere Wohnhäuser immer wohnlicher gebaut und mit jedem möglichen Komfort ausgestattet werden, sind in unserm Lande doch noch Wohnungen anzutreffen, die als direktes Überbleibsel der vorgeschichtlichen Zeit zu werten sind. Jedem Wanderer, der das verträumte Lindental durchstreift, fallen unweit des Dorfes Krauchthal, hoch am Hang unter senkrecht abfallenden Flühen, eigenartige Wohnstätten auf. Es sind die weitherum bekannten Felsenwohnungen, oder, wie der Volksmund der Gegend sagt, die «Fluehüsli». Da solche in der Schweiz ausser in Eggiwil sonst nirgends mehr bewohnt sind , seien sie hier einer genaueren Beschreibung unterzogen.

Auf der Ostseite des nördlichen Bantigersporns finden sich in der Mitte zwischen den Dörfern Krauchthal und Lindental zwei mächtige Höhlen. In einer knappen Viertelstunde haben wir sie von der Strasse aus erreicht. Vom Gehöfte Lindenfeld windet sich ein Fussweglein mit zeitweiligen steilen Treppen mit durchschnittlich 100% Neigung (Maximalsteigung 120%, d.h. mehr als 50 Grad Neigung) die Halde hoch zu ihnen empor . Bald gleitet der leichte Schuh auf den ausgewaschenen Felsweglein aus, bald umgeht der Weg mächtige Sandsteinbrocken, die, von der Witterung angenagt, in Vorzeiten einst von den schroffen Wänden niederstürzten und im Gehängeschutt steckenblieben. Kein Ackerland unserer Gegend liegt so abschüssig wie dieses. Doch wird mit Liebe und zähem Fleiss, aber auch aus bitterer Notwendigkeit dem kargen, steilen Boden das tägliche Brot entrungen. Dank ihrer ausgesprochenen Ostlage erreichen schon die allerersten Strahlen der hinter den Krauchthalerbergen aufsteigenden Sonne die Wohnungen. Vom frühen Nachmittag an liegen sie aber bereits wieder im Schatten. Die von den türmenden Felsen aufgespeicherte Wärme lässt aber noch keineswegs Frösteln aufkommen.

Der Blick hoch vom Wanderweg.
Als der Aaregletscher während der letzten Eiszeit (vor etwa 50 000 Jahren) seine Arme vom Aare- und Worblental seitwärts streckte, hobelte er sich in den weichen Molassesandstein auch das Lindental. Schmelzwasser haben weiter an der Modellierung gearbeitet. Als sich der Gletscher bis auf die Höhe unserer Felsenwohungen eingeschnitten hatte, wusch der ihm entfliessende Strom zwei waagrecht liegende halbrunde Höhlungen in das Gestein. Ein Mensch, der in der Urzeit schon die Wälder am Bantiger jagend erforschte, entdeckte diese Balmen und erkor sie als Wohnstätte, boten sie doch Schutz vor Regen, Schnee und Kälte. Trotzdem noch andere solche Erosionsformen in der Gegend anzutreffen sind, wurden bloss diese zur Bewohnung ausgesucht, weil sie genügend Platz bieten, trocken und sonnig, nicht weit vom Verkehrsweg entfernt sind, und das Vorgelände leicht zu roden ist. Möglicherweise wurden auch andere Balmen bewohnt, z.B. die bei den «Fluhäckern» zwischen Krauchthal und Dieterswald, Spuren einer Bewohnung deuten darauf.

Gotthelf lässt in seinem Handwerksgesellen-Roman den Jakob durch das Lindental wandern und beschreibt unsere Wohnstätten: «Thorberg gegenüber sind die bekannten Felsenwohnungen des Lindentales, sie sind armer Leute Schutz und Zufluchtsort. Dort fordert der Hausherr keinen Hauszins, der Hausherr ist Gott. Dazu sind sie noch viel solider als viele Paläste der Neuzeit, es ist noch keine eingefallen, es hat aber auch kein Baumeister sie gebaut, der die Arbeit im Verding und es nötig hatte, an schlechter Arbeit reich zu werden, der Baumeister war Gott .»

Beide Höhlen sind nach Entstehung, Form und Anlage der Wohnstätte gleich, nur die Grösse ist verschieden; doch wohnt in jeder eine Familie. Während die Familie der grösseren sich fast ausschliesslich durch Landwirtschaft erhält (weil dazu der nötige Platz unter dem «Dache» vorhanden), ist der Besitzer der kleineren Höhle Handlanger und betreibt die Landwirtschaft gleichsam als Nebenerwerb. Da sich die beiden Wohnungen sehr ähnlich sind, beschränkt sich unsere Darstellung bloss auf die grössere (südliche).

Der terrassierte Garten.
In diese Höhlen sind nun die Häuser hineingestellt. Ganz aus Holz gebaut gleicht die Vorderfront der eines einfachen, ärmlichen Bauernhauses. Hintere und Seitenfront stehen am oder gegen den Felsen. Das Dach bildet ein 45 bis 50 Meter hoher Felsen, dessen Haupt mit Wald bestanden ist. So verstehen wir, dass unsere heutigen Troglodyten das Holz auf ihrem Dache schlagen können. Dieses verleiht nicht nur dem Haus den nötigen Schutz, sondern deckt mit seinem 4 Meter breiten Vorscherm noch einen schönen Teil des Vorplatzes. Es nimmt selbst dem Gaden kein Licht weg, da sich das Dachtrauf 8 Meter über dem Boden befindet. Die Fenster des Hauses sind alle nach vorne gerichtet. Freundlich blitzen die Scheiben im Morgenglanz ins Tal hinunter, abends gibt seit 1946 die elektrische Lampe Kunde, dass in den Fluhhäuschen oben die Menschen noch an der Arbeit sind, oder dass sie des Feierabends pflegen. Das Haus ist einstöckig, auf der Decke Bühne und Estrich. In der primitiven Küche denkt wohl man daran, den Rauch durch ein Blechrohr ins Freie zu fördern. Heute aber ist die Küche noch eine «Rauchküche», d.h. der Rauch entsteigt frei dem Kochherd und Ofen und findet durch die Ritzen und Spalten der Vorderfront den Weg ins Freie. Weil sich der Rauch schon seit vielen Jahrhunderten auf diese einfache Weise verzieht, ist die Decke der Höhle bis zum Vorscherm hinauf vom Russ glänzend schwarz. Wie im Bauernhaus der obere Abschluss der Küche das Dach ist, ist es in den Fluhhäuschen die nackte Fluh. Um etwas Wohnraum zu gewinnen, wurde ein Teil der Küche in Stubenhöhe unterschlagen und ein einfacher Gaden gebaut. Da die Bewohner z.T. Selbstversorger sind, ist auch für die nötigen Ställe gesorgt. Mit eigener Hände Arbeit sind diese nach Bedarf an- und umgebaut worden. Der Kuhstall bietet Platz für drei bis vier Stück, der Schweinestall für deren ein bis zwei.

Es mag noch vor den Zeiten der Industrialisierung gewesen sein, dass die Fluhhäuschenbewohner dem Weberhandwerk oblagen; der Rest eines jetzt zugemauerten Webkellers zeugt noch davon. An dessen Stelle befindet sich jetzt der Kuhstall.

Schlimm steht es heute mit dem Wasser. Während dieses bis vor kurzem der Rückwand der Höhle entquellte, ein ordentliches Brünnlein bildete, ist es seit der dürren Sommer fast versiegt. Die trockenen Jahre und vielleicht auch andere Umstände haben ihm schwer zugesetzt. Alles Wasser musste während Jahren eine Viertelstunde weit mühsam mit der Brente oder mit Kesseln bergauf getragen werden. Seit dem Sommer 1951 enthebt die elektrische Pumpe die Familie dieser Tätigkeit. Die Wasserbeschaffung ist ein schlimmes Kapitel im Leben unserer Höhlenbewohner. Viel Zeit, viel Arbeit und viel Geld wurde schon aufgewendet, um dem empfindlichen Mangel abzuhelfen.

Wenn auch die Felsenwohnungen nicht zu den komfortablen Behausungen gezählt werden können, bieten sie doch zwei ehrbaren Familien einfache, aber gesunde Unterkunft. Wer behauptet, sie seien feucht, zu wenig belüftbar, ohne Sonne und somit ungesund, kennt sie nicht aus eigener Erfahrung.
«Übrigens sind in den Höhlenwohnungen nicht ärmliche Notbehelfe, sondern Reste einer uralten Wohnweise zu sehen.» Hält diese Behauptung der geschichtlichen Tatsache stand? Wir können sie nicht nur bejahen, sondern auch beweisen, dass diese Behausungen die gleichen sind wie vor Jahrtausenden; der Mensch hat sie allerdings mit den heutigen Mitteln ausgestattet.

Sobald die Bäume ihr Laub tragen, versteckt sich die Felsenwohnung.
Ums Jahr 1907 kamen bei Grabarbeiten in einem der Häuschen in «Branderde» Knochen und ein steinzeitliches Steinbeil zum Vorschein . Die ersteren wurden leider fortgeworfen, die alte Kulturschicht nicht untersucht, das Steinbeil bewahrte aber glücklicherweise Lehrer Peter Grimm in Krauchthal auf. Im Heimatbuch Burgdorf Bd. II ist es von Bendicht Moser, Diessbach b. Büren, abgebildet. Masse und Form: 10 cm lang, 4,8 cm breit; sehr primitiver Charakter, spitznackig und nur wenig geschliffen. (Im Heimathuch Burgdorf wird der Fundort mit «Gümmel» bezeichnet; dies ist der Name einer benachbarten Flur.)

Das Fundstück stammt aus der Jungsteinzeit (Neolithikum)  und wurde demnach vor 5000–8000 Jahren vom Menschen geschaffen. Es war jene Zeit, in der an unseren Seen die Pfahlbauer wohnten. Es ist zu vermuten, dass diese günstige Lagerstätte schon in der Älteren Steinzeit (20 000? bis 6000? vor Chr.) aufgesucht worden sind.

Wenn auch die Menschen der neolithischen Zeit sesshaft geworden waren, Ackerbau und Viehzucht trieben, können wir uns leicht vorstellen, dass unsere dortigen Bewohner zum Lebensunterhalt auf die Jagd angewiesen waren. Auf den nun eisfrei gewordenen Gebieten erhob sich ein aus Rot- und Weisstanne, Pappel, Birke und Rotbuche bestehender undurchdringlicher Urwald, in welchem sich mancherlei Arten von Waldtieren entwickeln konnten. Edelhirsch, Ur (Auerochse, Stammart des Hausrindes), Wildschwein, Bär, Reh, Fuchs und Hase boten dem Menschen begehrte Nahrung. Weitere Abwechslung brachte das Einsammeln von Holzäpfeln, Beeren und Nüssen von wildwachsenden Pflanzen .

In das endneolithische Zeitalter weist auch das Kupferbeil, das auf dem «Fluhacherli», auf dem «Dach» der Höhle, gefunden wurde.

Die nächsten Funde wurden ebenfalls nicht in der Höhle selber, sondern auch auf der eben genannten Flur gemacht; doch können wir annehmen, dass der nahe Unterschlupf von Landleuten bewohnt war, während sich auf der Höhe eine römische Siedlung erhob. Man kann an eine Warte denken, die mit Thorberg in Augenverbindung stand und auf dem höchsten Platz stehend das Lindental beherrschte. In ein Meter Tiefe findet sich eine Steinsetzung; der Spaten mag über die Deutung der dortigen Gebäulichkeiten entscheiden. Auch wurden römische Ziegelreste, zwei römische Münzen und ein römischer Mühlstein gefunden . (Münzen: Faustina Pia und Claudius Gothicus, aufbewahrt im Historischen Museum in Bern. Mühlstein: Granit, Durchmesser34 cm, Höhe 18 cm, quadratische Eintiefung zur Aufnahme eines Drehhebels; im Besitze von Familie Schneider, «Löwen», Krauchthal.) Unsere Vermutung wird also kaum fehlgehen, dass die Felsenwohnungen auch zur Zeit von Christi Geburt bewohnt waren. Es führte vermutlich ja ein Strässchen von der römischen Siedlung von der Engehalbinsel bei Bern durch unser Tal (Hubgraben) in den Aargau, wo es sich mit der Hauptstrasse Aventicum–Vindonissa vereinigte.

Anderthalb tausend Jahre dauerte es, bis wir weiteres aus der Geschichte unserer Felsenwohnungen vernehmen. Der Mensch ist jetzt durch die wohnlicheren Stätten verweichlicht, das Klima zu rau, als dass er, wie in der Urzeit, in den weit offenen Höhlen hätte hausen können. Darum mögen sie bloss nur noch zeitweilig Unterschlupf geboten haben. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts will sich aber ein Familienvater in einer der Höhlen häuslich niederlassen und durch zweckmässigen Einbau vor der Kälte schützen. Da das Land ehemals Kloster- und jetzt Staatsbesitz war, musste er von der Regierung zu Bern eine Baubewilligung einholen. Der Ratsschreiber trug am 25. Mai 1565 ins Manual ein: «Alllsdann Nicli Jost begärt ime by Krouchthal in einer flu zehusen / zeverwilligen / soll sich der Schaffner zu Torberg erkundigen, ob dess Vermögens.» Die gnädigen Herren waren also einverstanden, Nicli Josts Vermögen wird den Vorschriften entsprochen haben, sodass er ein Haus in die Höhlen bauen konnte. Von jetzt an sind sie ständig bewohnt und werden als Felswohnungen bezeichnet. In den Archiven finden wir darüber nichts mehr.

Bis heute wusste man nichts genaueres, seit wann die Höhlen bewohnt sind. Johann Rudolf Wyss der Jüngere (1781–1830) war meines Wissens der erste, der sie beschrieben hat . 1812 meldet er von ihnen, dass sie «von alter Zeit her zu menschlichen Wohnungen benutzt worden». Gotthelf erwähnt sie 1864 als weitherum bekannt . Der «Bärndütsch-Pfarrer» Emanuel Friedli rühmt in seinem Band «Lützelflüh» (1905), dass unsere Fluhhäuschen malerisch seien und Leopold Rütimeyer zählt sie in seinem Werk «Ur-Ethnographie der Schweiz» I, 924 zu den «Abris sous roche».

Während Jahrtausenden lebten dort Menschen, aber nur wenige Lichtblicke erhellen das Dunkel der Vergangenheit dieser Stätten. Nach dem Gang in längst versunkene Zeiten tauchen wir wieder in die Gegenwart und fragen uns nach der Beschäftigung der heutigen Bewohner. Die heutige Zeit ist nicht vor unsern Höhlenbewohnern still gestanden. Auch sie geniessen die Errungenschaften der Zivilisation und führen ein Leben wie die anderen Dorfbewohner.

Blick von der gegenüberliegenden Talseite zu den zwei Felsenwohnungen.
Im Text ist die Rede von derjenigen links im Bild, die auch die Fotos oben zeigen.
Wenn ihnen vor wenigen Jahrhunderten noch der Wald einen grossen Teil der Nahrung spendete, sind sie heute angewiesen, neben der Bebauung ihres Landes den Erwerb anderswo zu suchen. Frühere Fluhhäuschenbewohner waren Weber, Geschirrflicker, Schuster, Feldmauser, die heutigen Maurer, Handlanger und Zimmermann. So verdienen sie, was ihnen der Boden nicht gibt. Dieser ist so steil, dass es bis vor kurzem bloss die Hacke war, womit sie ihn bearbeiteten. Dank des Benzin- und neuerdings auch des Elektromotors sind sie aus den «Hackbauern» «Pflugbauern» geworden. Die Seilwinde kann aber nicht auf das etwa eine Jucharte haltende «Fluhacherli» gestellt werden, sodass es heute noch gilt, Mist und Jauche mit Räf und Brente zu tragen, und was der Boden an Heu und Gras, Getreide und Kartoffeln hervorbringt, auf dem Rücken nach Hause zu schleppen. Wohl ist die Ernte in Jahren mit durchschnittlichen Niederschlägen eine gute, aber in trockenen Zeiten ist die Humusschicht zu dünn, um die Früchte des Feldes gedeihen zu lassen.

Der gemütvolle Wanderer und der Maler finden die Höhlenwohnungen und das Leben darin idyllisch und romantisch; wer aber das Leben der Leute kennt, weiss, dass es hart ist. «So wild und hoch, und zumal im Winter auch beschwerlich diese Wohnungen sind, so wenig scheinen doch die Bewohner Lust zu haben, sich drunten im Tale bequem und sicher anzubauen, und so tröstlich scheinen sie zu hoffen, dass auch ihre Enkel noch hier in Ruh' und Einfalt, selbst von dem Luxus des benachbarten Dorfes entfernt, ihre Lebenstage verbringen werden.» (Joh. Rud. Wyss.)

Abgeschiedenheit und Eigenart dieser Wohnstätten haben den menschlichen Geist je und je zum Erzählen von schaurigen Geschichten verlockt. Müssen wir sie in das Reich der Phantasie verweisen? Ein im Frühling 1950 bei den Fluhhäuschen in 4 Metern Tiefe gefundener prächtig erhaltener Unterkiefer eines jugendlichen Menschen mag vielleicht ein Fingerzeig sein, dass auch an der Sage etwas Wahres sein könnte.

Die Sage lautet nach Joh. Rud. Wyss wie folgt: Im Herbst 1375 hatten die Gugler das Kloster Fraubrunnen überfallen und die Nonnen vertrieben. Der brave Klosterknecht Heinz aus dem Lindental flüchtete sich mit Agnes von Waidenburg und ihrer Jüngern Schwester Berta in die Wildnis bei Krauchthal. Er wusste dort zwei versteckte Höhlen. Nach Thorberg wollten die beiden frommen Frauen nicht, denn der junge Ritter Peter war ihnen nicht nur fremd, sondern auch als hartherzig und wild verschrien. Er war eben aus dem Aargau heimgekehrt, um seinen betagten Vater und eine junge Base, Gertrud von Grünenberg, vor den Guglerhorden zu beschützen. Der alte Thorberger wünschte vor seinem Tode noch Enkel zu sehen, und Fräulein Gertrud, sanft und herzensgut, schien ihm zur Sohnesfrau wie gemacht; der Stamm der Thorberger sollte nicht aussterben. Aber Peter mochte sich nur ungern fremdem Rate fügen, und Gertrud war ihm zu fromm und zu still. Allgemach fand sich Peter mit der Base zurecht und versprach halb und halb, diese zu freien, und die Base, ob sie auch mehr sich in ein Kloster sehnte, versprach halb und halb, dem guten Vater den Willen zu erfüllen.

Da ritt Peter aus mit seinen Rüden, am Bantiger die Wolfsspur zu suchen. Dunkelheit und Regen überraschten ihn. Er stieg vom Pferd, ging sachte bergab, verlor den richtigen Pfad und stürzte über eine Fluh. Hart neben die Felshöhle der zwei verborgenen Schwestern kam er zu liegen. Agnes und Berta erbleichten vor Schrecken, fassten sich aber, da sie an den jammernden Tönen einen Menschen erkannten, und erblickten einen Mann, der sich mühte aufzustehen. Als Peter die liebliche Jungfrau Berta sah, glaubte er, ein Engel vom Himmel sei erschienen, um ihn zu retten. Peter gab sich als Jäger aus und wurde von den Schwestern aufs Beste gepflegt. Als diese Arznei und Stärkung bereiteten, glänzte das Gesicht der jugendlichen Berta im Feuer wie das Antlitz einer Heiligen, und dem Peter wurde das Herz noch kränker als der Fuss. Mit Anbruch des vierten Tages seufzte er, dass er nun endli ch gesund sei und weiterziehen müsse. Er kehrte nach Thorberg zurück, schlich aber nur noch still und trübsinnig herum.

Unterdessen wurde es Winter und in der Höhle so kalt, dass die Schwestern erkrankten. Die verschmähte Braut Gertrud von Grünenberg folgte einst heimlich ihrem Vetter, der sich längst auf gewohntem Wege befand. Sie kam in die Höhle und pflegte die Schwestern liebevoll. Agnes genas bald unter ihrer Fürsorge, Berta aber starb nach fünf schmerzensreichen Tagen. Herr Peter wollte das Totenamt der teuren Berta und ihr Leichenbegängnis mit hoher Feierlichkeit auf der Burg Thorberg halten und den im Tode noch schönen Leib in die Gruft seiner Väter legen. Auf Wunsch der beiden Frauenwurde Berta aber vor der Höhle bestattet. So wurde dem jungen Ritter seine Geliebte zum zweiten Mal entrissen. Auch Gertrud war ihm verloren. Den Peter von Thorberg fasste ein grosses Herzeleid, ein finsterer Geist kam über ihn. Wild warf er sich, ergrimmt über den Untergang seiner schönsten Hoffnung, hinein in das Kriegsgewühl und die Händel der Welt. Nach langen Jahren kehrte er zurück und beschloss, den Rest seines Lebens still als Waldbruder in der kleinen Balm zu verbringen, neben der Klause, wo Gertrud und Agnes auch jetzt noch in andächtiger Abgeschiedenheit weilten.

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