15. Oktober 2025

Strassenbaukunst zum Anfassen

Die alte Averser Strasse überquert unterhalb von Cresta den Averser Rhein.


Als ich 1982 eigenständig zu wandern begann, kümmerte ich mich noch wenig um das Dies- und Jenseits meines Weges. Vielmehr stand die Besteigung eines Gipfels, die Überschreitung eines Passes oder einfach nur die Leistung im Vordergrund. Doch bald schon reichte mir das reine Wandern von A nach B nicht mehr. Ich wollte mehr über die per pedes durchmessene Gegend wissen. Da kamen mir Wanderführer mit Titeln wie «Wandert in der Schweiz solang es sie noch gibt» (Jürg Frischknecht, Limmat Verlag, 1987) oder «Unterwegs auf Walserpfaden» (Kurt Wanner, Walservereinigung Graubünden, 1989) oder «Wanderungen auf historischen Wegen» (Inventar historischer Verkehrswege der Schweiz, Ott Verlag, 1990) gerade recht. Ich saugte den Inhalt dieser Bücher geradezu auf wie ein trockener Schwamm das Wasser.

In der Folge begann ich mich also mehr und mehr für geografische, historische, politische und kulturelle Themen zu interessieren, die sich mir als freischaffender Fussgänger en route darboten. Das reine Wandern als sinnfreie Aktivität begann mehr und mehr zu bröckeln und wich einer Betätigung mit unermesslichem Inhalt. Kurz: Der Fussgang wurde zum Vehikel, mein Heimatland vertieft zu erkunden und erforschen, aber auch kennen und lieben zu lernen. Und da ich von meiner Jugend her fotografisch tätig bin, hat sich eine Symbiose ergeben, die bis in die heutigen Tage andauert und vor 16 Jahren gar die Gründung meines eigenen Verlages bewirkte: die Edition Wanderwerk.

Wer sich also zu Fuss und mit einer tüchtigen Portion Chuzpe auf den Weg macht, dem oder der eröffnen sich auf Schritt auf Tritt kleinere und grössere Wunder, über die man sich mal mehr, mal weniger wundert. Überaus gestaunt habe ich in den vergangenen Tagen im bündnerischen Hochtal Avers, als ich mich endlich der alten Averser Strasse und somit einem historischen Verkehrsweg widmen konnte. Diese führt vom unteren Ende der Rofflaschlucht (1111 m) bei Andeer in 28 km hoch nach Juf (2126 m), der europaweit höchstgelegenen, dauerhaft bewohnten Siedlung. Der Bau dieser Strasse dauerte von 1890–1900. In den 1950er-Jahren wurde der alte Weg indes von einer komplett neu errichteten Strasse abgelöst. Diese hat in etlichen Abschnitten die alte Strasse ziemlich achtlos überprägt. 

Einige Passagen waren jedoch glücklicherweise erhalten geblieben. Kulturgeschichtlich interessierte Leute um den engagierten Forstingenieur Oskar Hugentobler aus Andeer und den Einheimischen Bruno Loi und Valentin Luzi aus dem Avers initiierten die Gründung des Vereins «Alte Averser-Strasse» zur Rettung des historischen Wegs und die Erschliessung einer durchgehenden Verbindung mit einem Wanderweg. Anno 2000 wurde der Verein alte Averser Strasse gegründet, womit die selbstauferlegte Arbeit beginnen konnte. Was daraus geworden ist habe ich neulich hautnah erleben und fotografieren dürfen. Hierbei beging ich den Abschnitt von Cresta, dem Hauptort des Avers, bis zur Abzweigung in die Val digl Uors, etwas oberhalb von Innerferrera. Und einmal mehr zeigte sich, dass die Bauingenieure und -arbeiter von damals ein unglaubliches Geschick an den Tag legten, was die Planung und Ausführung eines solchen Verkehrswegprojektes – und somit der Lebensader einer ganzen Talschaft – anbelangt.

Eine Bildstrecke zu dieser sehens- und begehenswerten historischen Strasse befindet sich hier.

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