30. September 2025

Ein anständiger Bürger hat einen Briefkasten

Raeto Meier: Ein anständiger Bürger hat
einen Briefkasten, Cosmos, Muri, b. Bern,
2005
Sommer 1975: Gemüse und Hanfstauden gedeihen prächtig in Meiers Garten. Als Arbeitnehmer in der Landwirtschaft hat Meier weniger Glück. Schon am ersten Arbeitstag wird er zum Boss bestellt, der nimmt seinen Stumpen aus dem Mund, spuckt auf den Boden und meint, Meier solle verschwinden.

November 1975: Die Kiffer nennen sich Freaks, tragen Afghanjacken, geblümte Hosen und Blusen in allen Farben und Haarbänder, damit beim Chillumrauchen die Haare nicht anbrennen. Im Café Uhu an der Speichergasse in Bern entdeckt Meier eines Abends mitten im Haschischqualm eine anmutige junge Frau mit schwarzen Locken und wunderbar klaren Augen.

3. August 1976: Zwei Fahnder der Stadtpolizei verhaften Meier in Berns Harlem am Langmauerweg. Er hat den Militärpflichtersatz von Fr. 336.60 nicht bezahlt. Weil er behauptet, er sei der Anwärter auf den Thron Israels, beendet er den Tag mit Griessköpfli und Himbeersirup in der Psychiatrischen Klinik in Münsingen.
(Klappentext)

BE: Gurbrü, Stadt Bern, Worb, Richigen, Langnau i.E., Psychiatrische Klinik Münsingen FR: Fräschels, Kerzers NL: Amsterdam D: Lörrach, Frankfurt a.M.

27. September 2025

Der Bahnwärter

Andrea Camilleri, Der Bahnwärter,
Rowohlt, Reinbek, 2012
An der abgelegenen Eisenbahnstrecke zwischen Vigàta und Castellovitrano liegt das Häuschen von Nino, dem Bahnwärter, und seiner Frau Minica. Nur zwei Mal am Tag kommt ein Zug vorbei. Sonntags gibt Nino mit seinem Freund Totò ein kleines Konzert beim Friseur des Ortes, einer auf der Mandoline, einer auf der Gitarre, um sich fünf Lire zu verdienen; oder er klemmt sich zwei Stühle unter den Arm und setzt sich mit seiner Frau ans Meeresufer. Als Minica nach vielen vergeblichen Versuchen endlich ein Kind erwartet, ist das Glück perfekt. Doch mit dem Krieg kommt die Gewalt und zerstört das Idyll. Nun muss Nino um Minicas Leben und um ihre Liebe kämpfen. (Klappentext)

Moors Fazit
Eine wunderbare, wenn auch nicht immer gewaltfreie Geschichte während der Zeit des Faschismus in Italien und insbesondere in Sizilien, an dessen Südwestküste sie spielt. Die Schmalspurbahn, bei der Nino als Bahnwärter angestellt ist, gehört leider längst der Vergangenheit an. Doch wer Bahnromantik und das Flair der Sizilianerinnen und Sizilianer liebt, wird diesen Roman buchstäblich in einem Zug verschlingen. Hier ein etwas bescheidener Wikipedia-Eintrag über diese letzte Schmalspurbahnstrecke der Ferrovie dello Stato FS.

23. September 2025

Strom und Rinnsal

Schreckhorn (4078 m) und Finsteraarhorn (4274 m) spiegeln sich im unteren Bach- oder Bachalpsee.


Die Jungfrau-Region gilt gemeinhin als touristischer Hotspot. Zoomt man ein wenig näher heran, kristallisieren sich die stark frequentierten Orte schnell heraus: Interlaken, Harder, Iseltwald, Schynige Platte, Lauterbrunnen, Mürren, Schilthorn, Wengen, Grindelwald, Kleine Scheidegg, Männlichen, Jungfraujoch, Grindelwald, First. Alles Orte, die mit dem öV sehr gut erschlossen sind und es der gehfaulen Masse ermöglicht, ohne grossen Aufwand die alpine Einzigartigkeit aus der Nähe zu betrachten.

Es gibt in der Region indes ein paar kurze Wanderungen, die bei schönem Wetter die Touristinnen und Touristen aus der ganzen Welt zu ein paar Schritten verleiten. Nebst den beiden Klassikern Männlichen–Kleine Scheidegg und Mürren–Winteregg ist es der Spaziergang von der First zum Bach- oder Bachalpsee und wieder zurück. Und ja, dieser rund zweistündige Gang ist in der Tat wunderbar, befindet man sich doch genau gegenüber von Wetter-, Schreck- und Finsteraarhorn. Das Ganze wird am Bachsee gekrönt durch die Spiegelung der Berge im See, Windstille vorausgesetzt.

Wie die Erfahrung zeigt, lohnt es sich, derartige Ziele entweder am frühen Morgen oder späteren Nachmittag aufzusuchen. Nur so ist es möglich, den unglaublichen Massen auszuweichen. Genau dies tat ich am vergangenen Freitag. Es herrschte ein Traumwetter sondergleichen, die Lufttemperatur war um 9 Uhr auf 2200 Meter auf bereits unanständige 24° geklettert, der Besucheraufmarsch hielt sich wie erhofft in einem erträglichen Mass. Beim unteren der beiden Seen angekommen, nahm ich mir eine Viertelstunde Zeit, die wirklich sagenhafte Bergkulisse trotz Gegenlicht möglichst stilvoll abzulichten. Dann ging es weiter, dem oberen Bachsee entlang in Richtung Faulhorn. Hier waren noch weniger Leute unterwegs als auf dem Weg von der First zum Bachsee. Es kamen mir aber auch erste Wanderer entgegen, die auf dem Faulhorn übernachtet haben. 

Endgültig einsam wurde es jedoch, als ich bei der Burgihitta, einer einfachen Schutzhütte, rechts abbog und mich auf schmalem Bergpfad zum Tierwang aufmachte. Beim Tierwang angekommen, stieg ich über das Sulzibiel ab, um zurück auf die inzwischen stark bevölkerte Hauptroute First–Bachsee zu gelangen. Erneut beim Bachsee angelangt, nahm ich einen Pfad unter die Füsse, der mich hinab zum Bachläger führte. Und auch auf diesem Abschnitt waren kaum Leute unterwegs. Dasselbe war dann auch auf dem durch einen imposanten Steilhang führenden Weg hoch zum First der Fall.

Einmal mehr zeigte es sich, dass der Mensch in seiner Eigenschaft als Herdentier, vornehmlich den ausgetretenen Pfaden folgt und somit dem achtsamen Individualisten die Möglichkeit bietet, nach wie vor seine Ruhe zu finden. Und das ist gut so.

Die Bildstrecke zu dieser aussergewöhnlichen Wanderung gibt es hier.

20. September 2025

Talwasser

Beat Hüppin: Talwasser, Zytglogge,
Basel, 2016
Innerthal im Jahre 1917: Vater Dobler bringt eines Abends die Nachricht nach Hause, dass es mit der Mauer nun doch ernst werden soll. Die Staumauer, über die zwanzig Jahre lang diskutiert wurde und an deren Bau niemand mehr ernsthaft geglaubt hat, wird tatsächlich gebaut. Im beschaulichen, etwas abgelegenen Voralpental entsteht die damals grösste Gewichtsstaumauer der Welt. Die Kraftwerksgesellschaft baut eine 66 Meter hohe Wand in die Schräh, um danach das ganze Tal zu fluten. Für die Bauern im Talboden des Innerthals bedeutet das, dass sie ihre Heimwesen aufgeben müssen.

Beat Hüppin erzählt auf der Grundlage von geschichtlichen Quellen und Zeugnissen die fiktive Geschichte der Bauernfamilie Dobler, deren Mitglieder ganz unterschiedlich auf die drohende Umsiedlung reagieren. Hüppin verfolgt deren Geschicke bis über den Zweiten Weltkrieg hinaus. So ergibt sich ein vielschichtiges Bild einer Gesellschaft und einer Familie im Wandel, eine Geschichte über Heimat und Fremde und letztlich über Leben und Tod.
(Klappentext)

SZ: Wägital, Innerthal, Alp Zindlen, Tuggen, Wangen, Siebnen, Einsiedeln, Euthal, Sattelegg, Bockmattli

So sah das Innere Wägital 1924 vor dessen Flutung aus: (Siegfried-Karte 1:50.000)


Mit der Flutung von 1924 wurde der Talboden und mit ihm 37 Heimwesen vom Stausee verschluckt. 336 Menschen mussten deshalb das Gebiet verlassen.


Mehr über die Flutung des Tals und dessen Folgen im Blog des Schweizerischen Nationalmuseums: https://blog.nationalmuseum.ch/2020/08/stausee-flutet-dorf/

16. September 2025

Schnapsdrosseln

Sabine Trinkaus: Schnapsdrosseln,
Emons, Köln, 2013
Eigentlich will sich Jupp Nettekoven etwas Gutes tun, als er durch das lauschige Naturschutzgebiet am Stadtrand geht. Leider hat er die Rechnung ohne Dackel Pollux gemacht, denn der führt ihn geradewegs zu einer Leiche am Bachufer. Bernd Nolden wurde erschlagen, sein ehemaliger Freund und Geschäftspartner ist auf der Flucht. Der Fall scheint klar. Und eigentlich hat Britta Brandner ohnehin die Nase voll vom Ermitteln. Trotzdem finden sie sich mit Bulldogge Louis unversehens in Undercover- Mission wieder. Sie ahnt nicht, dass sie damit Teil eines gefährlichen Spiels wird, das mit Noldens Tod gerade erst begonnen hat.

Krumme Hunde und schräge Vögel, chaotische Liebesbeziehungen und mörderischer Hass – ein Kriminalroman voller Witz, Spannung und Tiefgang. (Klappentext)

Zum Begriff «Schnapsdrossel»
Schnapsdrossel ist eine scherzhafte Bezeichnung für einen Schnapstrinker oder Alkoholiker. Auch ein Mensch, der für ein paar Schnäpse Verdächtige oder Täter verrät, wird als Schnapsdrossel bezeichnet. Der Begriff wurde vermutlich im späten 19. Jahrhundert gebildet. Schnaps entstand bereits im 18. Jahrhundert aus dem gleichlautenden niederdeutschen Wort für «Schluck». Mit Drossel ist nicht der Singvogel Drossel gemeint, sondern die Kehle, für die früher Drossel ein geläufiges Wort war (erhalten in erdrosseln). Einer anderen, wohl falschen Erklärung nach soll der Begriff dem Namen der Wacholderdrossel nachgeahmt sein. Eine vergleichbare Bezeichnung mit derselben Bedeutung ist Schluckspecht.

D: Bonn und Umgebung

13. September 2025

Eine Höhle als literarischer Schauplatz

Der unscheinbare Eingang zur Höhle


Neulich stattete ich dem Neuenburger Jura – ein wenig Waadtland kam dann noch hinzu – ein literaturgeschichtliches Besüchlein ab. Ich tat dies im Zusammenhang mit einem historischen Roman, der in absehbarer Zeit in meinem Verlag erscheinen wird. Besonders gespannt war ich auf einen kurzen Abstecher zu einer Höhle, die im Roman eine nicht unwesentliche Rolle spielt. Allein der Zugang hatte es in sich. Ein mit Ketten gesicherter Pfad führte von einem Hochplateau durch eine Steilwand hinab zum Höhleneingang. Bewaffnet mit einer Stirnlampe befuhr ich die doch recht kurze Grotte bis zu ihrem Ende, das sich als Öffnung mitten in einer Felswand entpuppte. Dementsprechend atemberaubend war hier der Tiefblick ins enge Tal.

Blick vom Höhleneingang nach draussen


Die zweitägige Wanderung, vorbei an weiteren Schauplätzen des Romans – er spielt übrigens zur Zeit des Franzoseneinfalls am Ende des 18. Jahrhunderts –, hat mir einmal mehr die Schönheit des Westschweizer Juras vor Augen geführt. Daher freue ich mich schon jetzt auf die Veröffentlichung des Titels, über den ich an dieser Stelle bewusst nicht mehr verrate.

Nach 2/3 des mit einer Kette gesicherten Höhlengangs wartet diese Säule

Die Höhle endet bei einem anderen, von aussen kaum zugänglichen Eingang

Blick von oberhalb der Höhle in die nahe Umgebung


10. September 2025

Ein harter Weg

Siegfried Joss: Ein harter Weg, Reinhardt,
Basel 1946
Ein feiner Menschenkenner schildert hier Berner Bauern, wie sie leiben und leben. Im Mittelpunkt der spannenden, handlungsreichen Erzählung steht der Hubelmattbauer, ein gescheiter, ehrgeiziger und im Ganzen nicht unebener Mann. Ein Waldfrevel führt ihn in die Schuld und in die Abhängigkeit von einem verschlagenen, nichtsnutzigen Kleinbauern. Die prächtige Frau des Hubelmattbauers, die durch das Schwere, das sie mit ihrem Mann erlebt, in ihrem Glauben vertieft wird, weist ihm den einzigen Weg, der aus Not und Schuld herausführt, den Weg nämlich, sich offen zu seinem Unrecht zu bekennen. Aber es ist ein harter Weg, und sie stirbt darüber, bis ihn ihr Mann endlich beschreitet. – In ganz schlichter, aber umso eindrucksvollerer Weise wird hier das Problem von Schuld und Sühne behandelt. Es fehlt der Erzählung bei allem Ernst keineswegs an erfrischendem Humor, und der versöhnliche Schluss ist ebenso befriedigend wie folgerichtig. (Klappentext)


Siegfried Joss
(4.2.1900–24.4.1995)

«Mit dem Jahrhundert bin ich alt geworden. Mehr als 40 Jahre lang war ich Pfarrer an einer oberaargauischen Landgemeinde. Neben meiner seelsorgerischen Tätigkeit verfasste ich einige Bücher, die z.T. auch ins Norwegische und Holländische übersetzt wurden. Aber eigentlich fing alles mit einem ‹Bäbi› und einem Arrestlokal an. Ein Internierter, der in dieser Zelle einsass, schenkte meiner kleinen Tochter eine Elsässerpuppe, die er die ganze Zeit mit sich geschleppt hatte. Das regte mich zu meiner ersten Geschichte an und dann ging es einfach weiter. An Stoff fehlte es mir in meiner Umgebung nicht.» (ca. 1994)

Siegfried Joss war der Sohn des Pfarrers Walter Joss. Selber Theologe geworden, wirkte Siegfried Joss mehr als vier Jahrzehnte in Seeberg. Seiner dichterischen Begabung und seinem wachen sozialen Empfinden hat man für eine Reihe aufrüttelnder Erzählungen zu danken. Am bekanntesten dürfte die Verdingbubengeschichte «Sämi» sein. «Der Gönner» ist eine poetische Frucht der Fürsorgetätigkeit des Verfassers, «Ein harter Weg» zeichnet die Umkehr eines Bauern aus Irrnis und Wirrnis. Die Novelle «Der goldene Schwanen» endlich geht auf eine wirkliche Begebenheit in Seeberg zur Franzosenzeit zurück.

6. September 2025

Hunkelers Geheimnis

Hansjörg Schneider: Hunkelers Geheimnis,
Diogenes, Zürich, 2015
Peter Hunkeler, inzwischen pensionierter Kommissär des Kriminalkommissariats Basel, ist nach einer Operation im Krankenhaus und teilt das Zimmer mit einem alten Bekannten: Stephan Fankhauser, einer schillernden Figur. Einst ein wilder Achtundsechziger, ist er im Laufe der Jahre durch die Institutionen marschiert und Leiter einer Bank geworden, der Basler Volkssparkasse. Nun ist er schwerkrank. Eines Nachts, Hunkeler hat bereits ein Schlafmittel erhalten, beobachtet er, wie eine Krankenschwester mit einem Rubinring an der Hand dem Zimmernachbarn eine Spritze setzt. Merkwürdig nur, dass Fankhauser sich so heftig dagegen wehrt. Und trug die Nachtschwester sonst nicht immer einen Diamantring?

Am nächsten Morgen, als Hunkeler aufwacht, ist Fankhauser tot. Hat Hunkeler alles nur geträumt? Er ist sich nicht sicher, aber er ist entschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen. (Klappentext)

BS: Stadt Basel, Riehen, Bettingen F: Knoeringe, Huningue, Hégenheim, Hésingue, Hundsbachtal

3. September 2025

Das Waldvögelein

Toni Lori: Das Waldvögelein, Eigenverlag,
Thun, 2006
Den Anstoss zum Herausgeben dieses Büchleins gab meine Freundin, die in hohem Alter anno 1995 starb. Jahrelang auf den Rollstuhl angewiesen, erzählte sie mir viel aus ihrem Leben und fügte oftmals hinzu, dass darüber ein Roman geschrieben werden könnte. Als aufmerksamer Zuhörer reifte damals in mir der Entschluss, ihre Erzählungen eines Tages zu verfassen und zu veröffentlichen. Ich wollte damit nicht nur ein ehrendes Andenken an diese liebenswerte Frau schaffen, sondern auch einige Lebensweisheiten aus vergangenen Zeiten festhalten und weitergeben. Aus diesem Grunde fanden auch bedeutungsvolle Erlebnisse von mir selbst, die sich seit ihrem Tod abgespielt haben, Eingang in dieses Büchlein.

Die Erzählungen in diesem Büchlein stützen sich weitgehend auf tatsächliche erlebte Geschehnisse. Einigen Geschichten wurden allerdings der Fantasie entnommene Höhepunkte beigefügt, die meines Erachtens aber den tief. gründigen Aussagen dieser Niederschrift keinen Abbruch tun. Erwähnt werden muss schliesslich auch, dass sämtliche Namen von Personen und Örtlichkeiten abgeändert worden sind. Es sei aber verraten, dass mit der «nahen Stadt» Bern gemeint ist.

Über Bewegungsmangel, Fettleibigkeit und Kreislaufstörungen wird heute viel gepredigt und geschrieben. Auch diese Schrift geht auf diese Themen ein und nennt wichtige Ursachen, wie sie meine Freundin klar erkannt zu haben glaubte.
(Aus dem Vorwort)