15. Mai 2016

Die Telefonnummer von Norwegen

Barockes Wechselbad der Gefühle beim Start zur 7. Etappe meines Nordkap-Projketes. Nicht himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt, sondern zu Tode betrübt und himmelhoch jauchzend. Über den Depro-Bahnhof von Zwingen habe ich mich bereits bei der letzten Etappe geäussert. Was dann heute darauf folgte war ein erstes Glanzlicht: das Schloss Zwingen. Heimatland, weshalb habe ich davon noch nie gelesen oder gehört? Ich, der immerhin vier Monate lang im benachbarten Laufen einen Teil meiner Lehrzeit verbracht habe. Gut, wer interessiert sich mit 19 schon für kulturgeschichtlich relevante Bauten?

Zwingen überraschte mich also, weshalb ich nebst der Bahnhoftristesse und der auf das Schlossareal folgenden Katastrophe entlang der Kantonsstrasse dennoch eine gute Erinnerung behalten werde. Ich erfreche mich, hier ein paar Stellen der Website des Zwingener Schlossvereins wiederzugeben:

Das Schloss Zwingen ist eine eindrückliche, einmalige Wasserburg, die auf den Felsbänken von zwei natürlichen Birsinseln errichtet wurde. Der Kernbau entstand 1248 und war früher über Zugbrücken erreichbar. Nach neueren Vermutungen war die Vorburg möglicherweise als Burgstädtchen vorgesehen.

Drei Brücken bilden noch heute die Verbindung der beiden Inseln mit der Umwelt. Am Ramsteinerturm gegen die Dorfseite war ehemals ein gedeckter Übergang mit Zugbrücke. Die heutige Steinbrücke wurde 1766 erstellt. Im Westen diente die Fallbrücke gegen Laufen hin als Verbindung. Auch dort ist die ursprüngliche Holzkonstruktion durch einen Steinbau ersetzt worden. Dagegen ist die Holzbrücke aus dem Jahre 1472 zwischen den beiden Inseln stehen geblieben. Sie ist die einzige noch bestehende Holzbrücke im Birstal. Die währschafte Zimmermannsarbeit mit den guten Proportionen ist eine Besichtigung wert. Sie wurde im Jahre 2001 renoviert.

Der Zugang zum Schloss Zwingen (BL) mit dem Ramsteinerturm.
Auf der kleinen Mittelinsel befindet sich der runde Bergfried mit dem rekonstruierten Kegeldach, dem Hexenturm. Er ist auf drei Seiten vom Palas umbaut. Ursprünglich war dieser Kernbau (Bergfried/Palas) durch einen Wassergraben abgetrennt. Der Graben wurde nach der französischen Revolution mit dem Schutt der abgerissenen Tortürme aufgefüllt. Der gegenwärtige Eingang zum Palas ist erst angelegt worden, nachdem der Graben zugeschüttet war. Über dem Eingang ist eine ursprüngliche Cheminéeplatte mit der Jahrzahl 1744 eingelassen. Sie trägt das Wappen des Bischofs Joseph Wilhelm Rinck von Baldenstein.

Der frühere Zugang führte durch einen gewölbten Gang über den Graben ins obere Geschoss. Der Palas umfasst drei Stockwerke. Die Mauern sind im Erdgeschoss sehr stark, die Räume teilweise überwölbt. Die Grundrisse geben ein übersichtliches Bild der damaligen Einteilung. Aus geschichtlichen Darlegungen ergibt sich, dass sie zu einem guten Teil nicht ursprünglich ist, sondern wiederholt verändert wurde, insbesondere noch nach der Mitte des 19. Jahrhunderts. Nicht ursprünglich ist die Befensterung. Die einst schmalen Fenster wurden später erweitert. Nur das Erdgeschoss enthält noch alle Fensternischen.

Auf der Südseite des Schlosses Zwingen, nahe der Birs in der Richtung Nord-Süd und innerhalb der Tore und Ringmauern, steht die dem heiligen Oswald geweihte Kapelle. Der heutige Bau stammt aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts und besteht aus Schiff und Chor. Darüber lag eine Wohnung für den Kaplan. Vermutlich wurde sie mit dem Schloss erbaut. Die Kaplanei war eine Stiftung der Herren von Ramstein, die in mehreren benachbarten Dörfern Zinsgüter spendeten.

Schon im Jahre 1359 erhält die Kapelle einen von 18 Bischöfen in Avignon unterzeichneten Ablassbrief. Nach diesem wurde den Besuchern und Wohltätern ein Ablass von 40 Tagen gewährt, welchen der Bischof von Basel noch 40 hinzufügte.

Das Sonderbare an der Schlossanlage: Unmittelbar nach dem Wirtschaftsgebäude beginnt ein Industrieareal und damit ein brachialer Kontrast, der mir auf dieser Wanderung gleich mehrere Male zuteil werden sollte. Wie erwähnt folgte auf das malerische Zwingen der Abschnitt entlang der Kantonsstrasse Richtung Nenzlingen. Jysk, Lidl, Coop, Sherpa, Tankstellen und Garagen, Industrie- und Gewerbebetriebe en masse und eben: jede Menge Strassenverkehr. Immerhin war da ein Trottoir, auf dem ich mich in Sicherheit wiegend aus der Zwingener Hölle befreien konnte. Kaum hatte ich in den alten Weg nach Nenzlingen eingeschwenkt, betrat ich eine andere, bedeutend friedlichere Welt. Das Schlafdorf über der Hochwasser führenden Birs läutete den letzten Jura-Abschnitt meines Vorhabens ein. In einem Vorgarten hing eine FCZ-Fahne schlaff am Mast herunter. Kein Wunder bei der aktuellen Misere. Ein Wunder indes, dass in den Stammlanden des FCB ein derartiges Religionssymbol überhaupt geduldet wird. – Stundenhalt bei der kleinen Pfarrkirche am oberen Dorfrand.

Ich stieg weiter bergan, blickte die letzten Blicke auf das Laufental, begleitet von unglaublich schönen Baumbeständen. Freistehende Eichen von mächtiger Statur dominierten die obligaten Kirschbäume, ehe die Route im Wald verschwand. Kurz vor dem Blattenpass sah ich zum ersten Mal die Basler Agglomeration. Rechter Hand das Goetheanum von Dornach, am Horizont der Antennenturm auf der St. Crischona. Auf dem Blattenpass ein grosser Rastplatz mit überdimensionierter Sitzbank, gestiftet von der Basler Kantonalbank aus Anlass des 150-Jahr-Jubiläums 2014. Mein Bänklisammlerherz schlug hoch!

Schwüle Luft trieb mir schon seit gut einer Stunde den Schweiss aus den Poren. Nach den verregneten letzten zwei Tagen dennoch eine Genugtuung, auch im Wissen darum, dass es zu Hause im Gürbetal pausenlos regnete. Vom Osthang des Blauen wechselte ich im Wald auf die Nordseite und stieg über den aussichtsreichen Amselfels, die Kantonsgrenze BL/SO überschreitend, nach Witterswil hinab. Kurz zuvor holte mich eine kühle Regenzelle ein, die mich für ¾ Stunden zwang, die Regenkluft zu montieren. Der Jura lag bereits hinter und das Birsigtal vor mir, als die Sonne wieder hervortrat und ich die Regenmontur wieder ablegen konnte. Ich näherte mich unweigerlich der komplett bebauten Basler Agglo, beginnend mit Therwil, wo es zwischen der naturbelassenen Birsig und Schrebergärten im Samstagsmodus weiter nordwärts ging. Auf Fusswegen und Quartierstrassen erreichte ich schliesslich das Wasserschloss Bottmingen. Ich war sogleich hin und weg.

Das Schloss aus dem 13. Jahrhundert gehört zu den wenigen erhaltenen Wasserschlössern in der Schweiz. Erstmalige Erwähnung fand es 1363 als Besitz der Kämmerer, eines bischöflichen Dienstadelsgeschlechts, das als mutmassliche Erbauer gilt.

Trotz der Barockisierung ist der mittelalterliche Charakter vor allem durch den Grundriss zu erkennen. Im Gegensatz zu den Wasserschlössern Schloss Hallwyl oder Hagenwil fehlt dem Schloss ein Bergfried. Daraus ergibt sich eine Verwandtschaft zu dem burgundisch-savoyischen Burgentypus mit turmbewehrtem Viereck. Johannes Deucher verwandelte 1720 das Schloss Bottmingen in einen Landsitz des französischen Frühbarocks, der beinahe vollständig erhalten blieb. Neben der Aussenarchitektur zeugt auch das Treppenhaus von diesem Baustil. Unter Martin Wenk setzte sich 1780 das Rokoko durch, das am kostbaren Stuck im Steinsaal ersichtlich ist. Wenk liess auch den Südostwinkel bis auf das Hofniveau abtragen. Er dient heute als Gartenterrasse. Heute wird das Schloss Bottmingen als Restaurant und für Bankette, Hochzeiten und andere festliche Anlässe verwendet.

Schloss Bottmingen. Stich von Daniel Meisner, 1625.


Wegen des eher zweifelhaften Wetters war der als Gartenrestaurant genutzte Innenhof komplett menschenleer, sodass ich freie Fotoschussbahn hatte. Wenig später, die Stadt Basel lag nun nur noch wenige Gehminuten entfernt, spielte eine Blaskapelle einen munteren Marsch. Wow, welch eine Begrüssung für den Nordkap-Wanderer! Nun, die Musik spielte leider nicht zu meinen Ehren. Ich war bei der römisch-katholischen Kirche von Binningen mitten in eine Hochzeitsgesellschaft geraten. Eine schräge Begegnung: Ich, verschwitzt und mit dreckigem Beinzeug; die Hochzeitler, allesamt schick gekleidet, bis auf den jungen Dirigenten. Er trug giftig-grüne Turnschuhe und eine Lederjacke aus der unten das offene Hemd hervorlugte.

Mein Ziel war nun nicht mehr weit. Am Freibad «Sonnenbad» vorbei senkte sich der Weg in einen Park hinab, nach dessen Durchquerung ich den Kanton Basellandschaft verliess und auf der Gundeldingerstrasse endgültig in der Stadt Basel angelangt war. Zum Bahnhof war es bloss noch einen Katzensprung. In der Sempacherstrasse gelangte ich an einer Kleiderreingung vorbei. An der Schaufensterscheibe las ich NORGE 061 361 74 52. Norge ist der norwegische Namen für Norwegen. Dass das Land auch über eine Telefonnummer verfügt, fand ich sehr sympathisch.

Fotos von dieser Etappe gibt es hier.

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