19. September 2020

Pestalozzis Berg

Lukas Hartmann: Pestalozzis Berg,
Ex Libris, Zürich, 1980
Lukas Hartmann, 1944 in Bern geboren, schildert lediglich eine kurze Episode aus Pestalozzis Leben: seinen sechswöchigen Kuraufenthalt im damals berühmten Gurnigelbad. Pestalozzi sucht dort Zuflucht, nachdem das Waisenhaus in Stans, das er geleitet hat, in ein Militärlazarett umgewandelt worden ist. Er wandert, in tiefen Depressionen, durchs sommerliche Gebirge und erinnert sich bruchstückweise an die Stanser Monate. Dieses Erinnern ist zunächst chaotisch; Bilder tauchen ungeordnet auf, verschwinden. Anna, die zänkische, ewig unzufriedene Frau, und Jacques, der epileptische Sohn, spielen hinein; Kindheitsszenen laufen nebenher; die Gestalt des Mädchens Kathrin zeichnet sich ab. Allmählich verdrängen präzise Gegenwarts-Wahrnehmungen die monologischen Erinnerungsfetzen.

Die Konfrontation mit den Badegästen macht klar, dass Pestalozzi sich dem Bürgertum nicht mehr zugehörig fühlt; von den Armen aber, von der ausgebeuteten Klasse, trennt ihn, allein durch seine Herkunft, eine unüberbrückbare Kluft. Er sitzt gleichsam zwischen Stuhl und Bank, heimat- und wurzellos: Der Willensentscheid, mit dem er sich den Armen zugesellen will, führt ihn letztlich in die Einsamkeit. Sein Verhältnis zur helvetischen Revolution, die er enthusiastisch begrüsst hat, ist gebrochen. Mit klarem Blick erkennt er, dass es dem Bürgertum nicht um Gerechtigkeit ging, sondern darum, sich die Privilegien des Adels zu verschaffen; an der Lage des untersten Standes hat sich wenig oder nichts geändert. Dennoch gelingt es ihm, seine Depression zu meistern; er zimmert sich eine neue Hoffnung zurecht: die Hoffnung darauf. dass ganzheitliche, alle sinnlichen und geistigen Fähigkeiten umfassende Bildung die Menschheit zunächst von innen her, dann auch in den politischen Strukturen zu revolutionieren vermöchte.
(Klappentext)

BE: Gantrischgebiet, Gurnigelbar NW: Stans

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