29. April 2015

Ibicaba

Evelilne Hasler: Ibicaba. Das Paradies
in den Köpfen, Nagel & Kimche, Zürich,
1985 (vergriffen), erhältlich bei dtv
Im Hungerjahr 1855, als die Kartoffeln im Boden verfaulten und die einheimische Textilindustrie unter dem Druck der englischen Konkurrenz litt, wanderte eine Gruppe von 265 Menschen gemeinsam nach Brasilien aus: Fabrikarbeiter, Kleinbauern, die ihr Land verloren hatten. Sie kamen aus den Kantonen Aargau und Zürich, aus Graubünden und dem Glarnerland. Als die Gemeinden die Hungernden nicht mehr ernähren konnten, hatten sie die Wälder abgeholzt, um die Reisekosten vorzuschiessen. In Hamburg schloss sich den Auswanderern ein Gruppe Thüringer an. Ihr Ziel war Ibicaba, die Kaffeeplantage des Senators Vergueiro, des «Wohlthäters der Armen». In ihren Köpfen trugen sie ein Bild, genährt von den schönfärberischen Berichten in den Auswandererzeitschriften: Palmen, eine Blockhütte auf eigenem Boden; sie würden es zu bescheidenem Wohlstand bringen. Doch die Utopie zerbrach, als sie sich nach ihrer Ankunft in Brasilien im ehemaligen Sklavenhof von Santos wiederfanden.
Präzise, bildhaft und oft voll reiner Poesie erzählt Eveline Hasler die Geschichte dieser Auswanderung. Sie konfrontiert den Leser mit einem Stück unbekannter oder verdrängter Schweizer Geschichte, mit Armut und Elend, die nur wenige Generationen zurückliegen. (Klappentext)

GL: Linthal, Glarnerland GR: Fideris, Prättigau I: Chiavenna D: Deutschland BRA: Brasilien

27. April 2015

Im Eilschritt auf dem Jakobsweg


Eveline Knyz, Ans Ende der Welt,
Tyrolia-Verlag, Innsbruck-Wien,
2003, vergriffen
Unmittelbar und authentisch berichtet Eveline Knyz von ihrer monumentalen Pilgertour von Wien nach Finisterre. Die Aufzeichnungen vermitteln die Erfahrungen dieser nicht alltäglichen Odysee auf dem Jakobsweg, erzählen von den Schönheiten der Natur und hilfreichen Begegnungen, stellen sich aber genauso körperlichen Problemen sowie den spontanen Krisen mit dem begleitenden Partner. Die beiden pensionierten Pilger wandern die sagenhafte Distanz von 3174 Kilometern in lediglich 98 Tagen ab, was einem Tagesschnitt von 32,4 Kilometern entspricht. Was Wunder, dass im Text kulturelle und historische Hintergründe ebenso zu kurz geraten wie die Gedanken der Autorin.

25. April 2015

Das Kirschwunder aus dem Kloster

In ein paar Tagen erscheint mein neues Buch Rucksacktage. Die Vorfreude ist gross! Höchste Zeit, dass ich über den Nachgang einer Episode aus meinem letzten Buch, Aargau rundum, berichte. Es geschah in Buus (BL), zwei Tagesetappen vor der Vollendung des Vorhabens, den Aargau zu Fuss zu umrunden. Beim Rigiberg schnappte der Hofhund nach meinem Hosenbein und zerfetzte sowohl Regen-, als auch Wanderhose. Gegenüber dem verantwortlichen Landwirt verzichtete ich nach reiflicher Überlegung auf Schadenersatz, nicht aber auf eine symbolische Geste in Form einer Flasche Baselbieter Kirsch, die ich mittels Brief dem Rigiberg-Bauern beliebt machte. Gekommen ist dann freilich nie etwas.

Diese bedauernswerte Geschichte veranlasste indes ein Aargau rundum-Leser, mir eine Flasche Kirsch aus dem Kloster Fahr zu schenken. Die Aargauer Exklave im Kanton Zürich bildete bekanntlich den Abschluss meines Projektes. Die unverhofft offerierte Flasche Kirsch ergibt nun einen würdig-originellen Epilog. So kam es denn diese Woche in Thun zu der feierlichen Übergabe der hochprozentigen Ware. Dem edlen Spender danke ich hiermit noch einmal ganz herzlich. 

23. April 2015

Horaa windschief


Es war am 19. Dezember 2014. Ich drehte eine lange Runde, ausgehend von Frauenfeld. Ich bestieg den Turm des Stäälibuck und machte mich hernach auf Richtung Thundorf. Hierbei gelangte ich auf dem Horaa an diesem Bänkli vorbei. Obschon das Möbel als häufig benutzt einzustufen war, getraute ich mich angesichts der windschiefen Erscheinung nicht, daselbst ein Päuschen einzulegen. Horaa ist übrigens Thurgauer Dialekt und steht für den das Deutsche Hohrain. Horaa!

19. April 2015

Zu Fuss von Köln nach Wien

Heinz Brauweiler, Mal sehn, was hinter den
Bergen haust, Verlag Andrea Sänger, 1991,
vergriffen
In seinem zweiten Band lässt uns der mittlerweile 64-jährige Rentner aus der Eifel von Wallerberg bei Bonn bis nach Wien mitwandern. Unter dem Buchtitel Mal sehn, was hinter den Bergen haust beschreibt Brauweiler nach dem bereits bekannten Strickmuster unzählige Begebenheiten entlang seiner knapp 1'500 Kilometer langen Strecke. Dabei nimmt es der Autor mit den Ess- und Trinkereien noch genauer, weshalb der vorliegende Band noch dicker ausgefallen sein dürfte, als sein Vorgänger. Speziell zu erwähnen ist der Grund dieser Weitwanderung. Brauweiler begibt sich 1988 zu Fuss nach Wien, um mit einer Chorvereinigung am 1. Advent daselbst an einem Chorsingen teilzunehmen. Dies bedeutet für den rührigen, ehemaligen Tierarzt, sich meist ausserhalb der Ferienzeit Übernachtungs- und Einkehrmöglichkeiten zu ergattern. Schliesslich gerät er wenige Tage vor Wien gar in den Winter, was den Bericht abenteuerlicher werden lässt. Leider verpasst es aber  Brauweiler einmal mehr, seine Leserschaft mit tiefergründigeren Landschaftsnotizen zu beliefern und somit Gegenden wie das Mühl-, Wald- oder Weinviertel – um nur ein paar wenige zu nennen – besser bekannt zu machen. So gesehen bleibt der Autor bei einem doch sehr persönlich gehaltenen Tagebuch.

17. April 2015

Cha os in All men ding en

Der Ort versinkt im werktäglichen Feierabendverkehr. Alle wollen sie nach Hause. Aus der Stadt hinaus. In die Stadt hinein. Auf die Autobahn rauf. Von der Autobahn runter. Keinen Moment frei für den Blick in die Berge, den Duft der erstarkenden Natur, die angenehme Wärme des Fixsterns. Die völlige Hingabe, die Konzentration auf das Vorne, das Links, das Rechts oder den Fussgänger, der sich erfrecht, den allabendlichen Exodus aus Büros, Läden und Fabriken mit dem Überqueren der Strasse zu behindern, einzugreifen in das Mantra des motorisierten Individualpendlers. Für dessen Fortbewegungsart machte sich einst eine politische Partei explizit stark. Wir erinnern uns: Autopartei nannte sie sich Mitte der 1980er-Jahre, dann Freiheitspartei und heute autopartei.ch. Von Freiheit hier und jetzt keine Spur und von der Partei? Bedeutungslos sei sie geworden, liest sich im Internet, so bedeutungslos wie die von den Rechtspopulisten proklamierte Freiheit auf vier Rädern.

Und hat sich der Autofahrer durch das Verkehrsgewühl gequetscht, erwartet
ihn am Hagacherweg in Allmendigen die nächste Herausforderung.
Es hupt. Es hupt tatsächlich und hupt aus Freude. Bruno, mein Nachbar! Der Ziegenzüchter im ganz normalen Chaos, auf der Fahrt zum Stall. Benzin wird weniger, Geissenmilch wird mehr. Ich breche aus, biege ab, verlasse das automobile Tollhaus Allmendingen an der Autobahnausfahrt Thun Süd und verschwinde in die Freiheit des Waldes.

7. April 2015

So sind die Geschmäcker verschieden

Josef Martin Bauer: So weit die Füsse tragen,
Bastei Lübbe, Köln, 2002 
Soeben zu Ende gelesen: So weit die Füsse tragen von Josef Martin Bauer. Das ist der lange Weg, den ein Kriegsgefangener vom Ostkap in der Nähe der Beringstrasse und Alaskas durch ganz Sibirien, den Ural und den Kaukasus zurücklegt. Wunden an Körper und Seele sind die Folge dieser Odysee durch Steppe und Eis. Drei volle Jahre dauert es, bis der einsame Flüchtling endlich heimkehren kann …, liest sich auf dem hinteren Umschlag des 478 Seiten dicken Taschenbuchs. Darüber: Ein Tatsachenroman, der sich spannender liest als jeder Thriller! Voller Erwartungen machte ich mich also an die Lektüre und langweilte mich von der ersten bis zur letzten Seite. Von Spannung keine Spur. 200 Seiten lang beschreibt Bauer die Deportation nach Nordostsibirien sowie die lange Zeit im Strafgefangenenlager. Dann endlich flieht Clemens Forell auf unspektakuläre Weise, nachdem ihm ein erster Fluchtversuch ebenso unspektakulär misslungen war.

In einer gewandten aber dennoch monoton klingenden Sprache weist die Geschichte bloss einen Handlungsstrang auf. Darin und in den episch langen Sequenzen liegen die Gründe der Kraftlosigkeit dieses Romans, der überdies in keiner Weise auf Tatsachen beruht, wie Geschichtsforscher nachträglich festgestellt haben.

Dass ich mit meiner Kritik ein wenig alleine in der sibirischen Weite stehe, beweisen die Verkaufszahlen. Das in 15 Sprachen übersetzte Werk hat sich bis jetzt mehrere Millionen Male verkauft und wurde 1959 und 2001 verfilmt.

RUS: Omsk, Ettal, Krasnojarsk, Tschita, Ulan Uhde, Abakan Kubzow, Kasalinsk, Uralsk IR: Täbris, Teheran.

5. April 2015

Grüningen als Entdeckung

Dauerregen gestern im Zürcher Oberland, wohin ich mein Wandergrüppli bestellte. Wir gingen von Hinwil nach Stäfa. Vorerst durch moorhaltiges Gelände, später über landwirtschaftlich geprägte Flächen und zuletzt entlang der Weinberge über dem Zürichsee. Hierbei lernte ich, dass die Gemeinde Stäfa die im Kanton Zürich flächenmässig grösste Rebbaufläche aufweist.

Zwischen Hinwil und Gossau (ZH) querte unsere Route die S-Bahn-Linie Wetzikon–Rüti (ZH).


Der Hingucker des Tages war eindeutig die Mini-Altstadt von Grüningen mit ehemaliger Burg und nachmaligem Schloss sowie der angebauten Kirche. Der in der Aabachschlaufe dreiseitig steil abfallende Nagelfluhsporn mit seinen gut zu verteidigenden steilen Abhängen bot sich als Standort einer Burg bestens an. Einzig gegen Osten hin musste der Zugang durch einen Graben geschützt werden. In welchem Jahr mit dem Bau der Burg begonnen wurde, ist nicht genau bekannt, der Zeitpunkt liegt um 1220. Im Einkünfte-Urbar des Klosters Einsiedeln taucht der Name Grüningen 1217–1222 auf. Da um diese Zeit die Grafen von Rapperswil als Kastvögte eingesetzt waren, wird heute angenommen, dass diese den Grundstein für die Burg Grüningen legten.

Um 1230 verlor das Kloster Einsiedeln seinen Grundbesitz in der Gegend an das Kloster St. Gallen, das die Gebiete vorerst dem Grafen von Kyburg verpfändete. Nach alten Urkunden sass 1243 ein kyburgischer Amtmann in Grüningen. 1253 übergab das Kloster St. Gallen die Vogteirechte über Grüningen mit seinen beiden Höfen Dürnten und Altorf dem Freiherr Lüthold VI. von Regensberg. Im gleichen Zeitraum ist die Entstehung des Städtchens vor der Burg erfolgt und der Stadtwerdungsprozess ist den Regensbergern zuzuordnen.

1370 erhielt Grüningen Stadtrechte und geriet 1408 mit der Errichtung der Landvogtei Grüningen unter die Herrschaft der Stadt Zürich. Die Vogtei umfasste beinahe den ganzen Südosten der Landschaft Zürich. Ausser Kyburg war Grüningen die einzige Landvogtei, die bis zum Untergang der alten Eidgenossenschaft 1798 im Besitze eines eigenen Blutgerichtes war. 1551 kam es zum ersten Städtchenbrand und 1610 zum Bau einer Kirche mit Bildung einer eigenen Pfarrei. 1685 brannte das Städtchen ein zweites Mal. 1802 erfolgte die Bildung der politischen Gemeinde Grüningen.

1903 fand die Eröffnung der meterspurigen Wetzikon-Meilen-Bahn (WMB) statt. Die als Überlandtram mit Güterverkehr konzipierte Bahn führte mitten durch die Grüninger Altstadt (siehe Foto).  Im Volksmund wurde die 22,5 km lange Strecke Wurst-mit-Brot-Bahn genannt. Die Bahn war lediglich 47 Jahre in Betrieb und wurde 1950 durch einen Busbetrieb ersetzt. Das malerische Altstädtchen erhielt 1976 den Wakkerpreis des Schweizer Heimatschutzes.

Schade, dass die Hauptstrasse, die Gässchen und Plätze für Autos zugänglich sind. Sie nehmen dem Flecken mindestens die Hälfte seines Charmes.

Ein Triebwagen der Überlandtrambahn Wetzikon–Meilen vor dem Gasthaus zum Bären in Grüningen (ZH). Foto: Wikipedia



4. April 2015

Der Randständige

Nachdem er das letzte Mal mit auf Wanderschaft kam, sandte mir Schreitgefährte H.U. dieses Bild zu:



Entstanden war es im luzernischen Wauwilermoos unter dem Titel der Randständige. Gutes Auge, lieber H.U. und der Beweis, dass die Lehre der Bildgestaltung getrost einmal über den Haufen geworfen werden darf, um Wirkung zu erzielen. Nun bin ich mal gespannt, was aus der heutigen Wanderung im Zürcher Oberland wird. H.U., auf jeden Fall, ist wieder mit von der Partie.