29. Dezember 2021

Das Wanderrad von Langenthal

Die Idee kam mir neulich auf meiner Spiralwanderung rund um Bern: Acht mehr oder weniger gleich lange Wanderungen von einem zentralen Punkt aus. Die Wanderrouten richten sich nach der Windrose von N, NO, O, SO, S, SW, W bis NW. Also quasi das Gegenteil einer Sternwanderung, bei der in der Regel von verschiedenen Punkten an einen zentralen Ort gegangen wird. Sofort war für mich auch klar, dass ich nicht von einer Sternwanderung sondern von einer Strahlenwanderung sprechen würde.

Wieder daheim, machte ich mich umgehend an die Planung. Von entscheidender Bedeutung war der zentrale Punkt. Dieser musste zwangsläufig im Mittelland liegen, wollte ich mich doch nicht mit unwegsamem und steilem Gelände befassen. Und auch stehende oder fliessende Gewässer sollten das Unternehmen nicht zu stark einschränken. Diese minimalen Anforderungen brachten mich bald einmal zur Lösung: Langenthal sollte den Ausgangspunkt darstellen. Die von hier ausgehenden, in die genannten Windrichtungen führenden Luftlinien bemass ich mit 10 km Länge. Am Ziel sollte selbstverständlich eine Anbindung an den öffentlichen Verkehr bestehen.

Die exakte Festlegung der acht Routen erfolgte dann mit Hilfe der digitalen Landeskarte SwissMap 25. Die Strecken sollten möglichst nahe der Luftlinie verlaufen. Mit wenigen Ausnahmen liessen sich eine Bahn- oder Bushaltestelle am Ende der jeweiligen Strecke finden. Wo dies nicht der Fall war, verkürzte oder verlängerte sich das Ganze. Am Ende hatte ich folgende Etappen elaboriert:

  1. Langenthal – Oberbuchsiten • 15,7 km
  2. Langenthal – Gländ • 14,5 km
  3. Langenthal – Richenthal • 16,8 km
  4. Langenthal – Gondiswil • 15,3 km
  5. Langenthal – Walterswil • 15,2 km
  6. Langenthal – Hermiswil • 12,6 km
  7. Langenthal – Wangenried • 11,9 km
  8. Langenthal – Niederbipp • 12,0 km

Dies ergab auf der Karte folgendes Bild:


Da fehlt noch etwas, dachte ich, als ich mir diese «Strahlen» zum ersten Mal im Gesamtüberblick besah. Und was lag näher, als die Enden noch miteinander zu verbinden, so dass aus den Strahlen Speichen und dem Ganzen schliesslich ein Rad wurde. – Also habe ich noch einmal acht Etappen geplant:

  1. Oberbuchsiten – Niederbipp • 11,2 km
  2. Niederbipp – Wangenried • 12,6 km
  3. Wangenried – Hermiswil • 12,9 km
  4. Hermiswil – Walterswil • 14,4 km
  5. Walterswil – Gondiswil • 12,0 km
  6. Gondiswil – Richenthal • 14,6 km
  7. Richenthal – Gländ • 13,8 km
  8. Gländ – Oberbuchsiten • 13,2 km

Und somit war das «Wanderrad von Langenthal» geboren!



Aus wandertechnischer Sicht fällt auf, dass alle 16 Wanderungen mehr oder weniger gleich lang sind. Zeitliche Unterschiede ergeben sich durch die unterschiedliche Topografie. In geografischer Hinsicht werden mit die Touren in die Kantone Bern, Aargau, Luzern und Solothurn führen. Hierbei durchstreife ich nicht nur die Ausläufer des Emmentals sondern auch das Mittelland und selbst ein kleines Stück Jura. Anhand der beiden Etappengruppen (Speichen und Felge) ist ersichtlich, dass sich die Reihenfolge der Speichenwanderungen (total 114 km) nach dem Uhrzeigersinn und die Felgenwanderung (total 114,7 km) gegen den Uhrzeigersinn richtet.

An einem düsteren 27. Dezember 2021 machte ich mich nun zum ersten Mal auf den Weg und ging von Langenthal nach Oberbuchsiten. Über meine optischen Eindrücke berichtet eine ausführliche Bildstrecke mit viel Schmunzel- und Kopfschüttelpotenzial.

17. Dezember 2021

Bestseller

Isabelle Flükiger: Bestseller, Rotpunkt,
Zürich, 2013
Die Ich-Erzählerin träumt davon, einen Bestseller zu schreiben, muss fürs Erste aber noch einem Job im Kulturbetrieb nachgehen. Während ihr Freund als angehender Lehrer gerade in seinem Idealismus von der harten Realität ausgebremst wird. Zusammen warten sie darauf, dass das richtige Leben beginnt – und ahnen doch, dass sie sich anpassen und fortpflanzen werden, wie alle anderen auch.

Bis Gabriel vom Himmel fällt, sprich ein reizender kleiner Hund eines Morgens in ihrem Garten sitzt. Mit seiner schier ansteckenden Lebensfreude stellt er nicht nur ihr mittelmässiges Leben infrage, sondern scheint fortan auch ihr Schicksal zu beeinflussen. Jedenfalls überstürzen sich die Ereignisse, und was mit grossen treuen Hundeaugen begann, läuft auf eine erste veritable Lebenskrise hinaus, die dem jungen Paar nicht nur ganz neue Perspektiven beschert – sondern auch ihr eigenes Leben zum Bestseller macht.

Isabelle Flükiger erweist sich in ihrem ironisch-verzweifelten Roman als Seismografin unserer Zeit. In ihrer hinreissend komischen Sprache beschreibt sie die Lebenswelt der Dreissigjährigen, die sich nichts erkämpfen mussten. Dort herrscht Panik vor dem langweiligen Dasein in einem Land, in dem nichts passiert. Aber wenn die seichte Ruhe erst einmal gestört ist, tritt deren ungeheures Potenzial zutage. (Klappentext)

13. Dezember 2021

Das Mädchen, das gehen wollte

Barbara Schaefer: Das Mädchen, das gehen
wollte, Diana Verlag, München, 2009
Als Barbara Schaefer erfährt, dass ihre Freundin Katja am Hohen Dachstein tödlich verunglückt ist, packt sie das Nötigste in einen Rucksack und verlässt Berlin in Richtung Süden. Sie geht in zwei Etappen insgesamt fast sechs Wochen, geht rund 25 Kilometer am Tag und kommt so über Dresden und Theresienstadt nach Prag und schliesslich durch Böhmen und den Bayerischen Wald in die Berge. Schon immer konnte Barbara Schaefer durch das Gehen Energie tanken, jetzt hilft es ihr, der Trauer nachzuspüren und Abschied zu nehmen.

Eine Reise, auf der die Autorin zurück ins Leben findet. Sechs Wochen im Leben einer Frau, die um einen geliebten Menschen trauert und dafür 900 Kilometer von Berlin nach Österreich geht. (Klappentext)

Moors Fazit: Ein wunderbar geschriebenes Buch über eine Fernwanderung durch drei Länder, über eine Frauenfreundschaft und nicht zuletzt über das Leben selbst.

11. Dezember 2021

Im Stillen klagte ich die Welt an

Dora Stettler: Im Stillen klagte ich die
Welt an, Limmat, Zürich, 2009
Im Sommer 1934 werden zwei Mädchen aus der Stadt Bern auf einen abgelegenen Bauernhof in Pflege gegeben. Auf dem Hof herrscht ein harsches Regiment, die beiden werden als Gratismägde ausgenutzt und wegen Kleinigkeiten verprügelt, der Bauer stellt ihnen nach.

Dann kommen die Missstände aus, die Kinder werden umplatziert. Aber wieder verrichten sie harte Arbeit, wieder werden sie geschlagen. Als der Alptraum nach vier Jahren ein Ende hat, sind die Elf- und Zwölfjährige für ihr Leben geprägt: vom Gefühl, nichts wert zu sein. (Klappentext)

Moors Fazit: Erschütternd, traurig und alles andere als die heile Schweiz darstellend. Nach der Lektüre erscheint mir das in den vergangenen Monaten zelebrierte öffentliche Gejammere und Getrychle gewisser Kreise als vergleichsweise lächerlicher Aktionismus spätpubertierender Möchtegernrevoluzger.

9. Dezember 2021

Banken, Blut und Berge

Peter Zeindler: Banken, Blut und Berge,
Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 1995
Der Schweizer Nationalrat Jean Ziegler gilt seit seinem Sachbuchbestseller «Die Schweiz wäscht weisser) als Nestbeschmutzer. Die saubere Schweiz als «Finanzdrehscheibe des internationalen Verbrechens» zu bezeichnen, bleibt auch in der helvetischen Gesellschaft nicht ohne Folgen. So sublimiert der Zürcher Peter Zeindler in seiner Anthologie das Image vom AIpenland der «Banken und Banditen»: «Nein, nichts von all dem. Keine Klischees! Das zeichnet den Schweizer Krimi aus. Seine Geschichten wachsen aus düsteren Zimmern mit tiefhängenden Decken, nisten im Ehebett unter gemütlich rot-weiss-kariertem Federbett, steigen wie Dampf aus den Suppentellern auf blankgescheuerten Tischen in der guten Stube und in Wirtshäusern, motten in Aktenschränken von Amtsräumen.» Denn diese eidgenössischen Autoren loten nicht die Abgründe des Bankgeheimnisses, sondern die Untiefen seelischer Deformationen aus.

Neben einer Geschichte von Friedrich Glauser vereinigt diese Anthologie Erzählungen von Roger Graf, Paul Lascaux, Jürg Acklin, Ulrich Knellwolf, Felix Mettler, Peter Höner, Christa Weber, Werner Schmidli, Milena Moser, Verena Wyss, Marcus P. Nester, Cristina Achermann, Peter Zeindler und Jürg Weibel. (Inhaltsangabe zum Buch)

7. Dezember 2021

Die Spirale – Etappe 9

Die Route der 9. Etappe der Wanderspirale.
18,3 Kilometer lang war sie, diese von etwas Sonne und mehrheitlichem Nassschneefall geprägte Etappe von Bern-Brünnen Westside nach Münchenbuchsee. Und einmal mehr entpuppte sich eine vermeinlich unspektakuläre Wanderung als äusserst zufriedenstellendes, geistiges und körperliches Unterfangen.

Es begann um 8.10 Uhr mit der dadaistischen Düsterstimmung auf dem menschenleeren, mit mickrig wirkenden Designersitzen ausgestatteten Vorplatz des vorweihnächtlich beleuchteten Konsumtempels «Westside». Auf der Westseite von «Westside» wurde die Szenerie noch skurriler: Die Autobahn, die vom Gebäudekoloss verschluckt wurde, daneben quellte aus der Fassade ein dickdarmartiges Röhrengebilde in provozierendem Rot hervor. Der weit und breit einzige Farbtupfer in einer von Menschenhand brutal umgekrempelten Landschaft.

Das Grauen dauerte indes nicht lange. Über eine Hügelkuppe gelangte ich auf den Wohleiberg. Rechterhand ragten die Antennenmasten der 2016 stillgelegten Sendeanlage der einst einzigen Küstenfunkstelle eines Binnenstaates in den Himmel. Auf leicht vereistem Strässchen schritt ich vorsichtig-gemütlich hinab zum Wohlensee, wo urplötzlich die Sonne durch die Wolken schien. Ich frohlockte. Allerdings nur bis etwas oberhalb von Oberwohlen, also eine gute halbe Stunde. Vom inzwischen bleiern gewordenen Himmel fielen die ersten Schneeflocken.

In einem Waldstück setzte ich meinen Regenhut auf, trank einen Schluck und stopfte mir ein paar Datteln in den Mund. Das Schneetreiben wurde dichter. Glücklicherweise blieb es auf der gesamten Etappe windstill, was mir, der perfekten Winterbekleidung sei es gedankt, ein wohliges Voranschreiten ermöglichte. Die Gemütlichkeit erlitt indes einen zeitweiligen Dämpfer, als vor mir ein grösseres Waldstück auftauchte, wo eigentlich kein Waldstück hätte auftauchen sollen. Kurz: Ich hatte in Schüpfenried einen falschen Weg eingeschlagen und ging statt nach Osten Richtung Norden. Der Fehler entpuppte sich jedoch als wenig gravierend. Die «falsche» Route war problemlos zu korrigieren und zudem gänzlich mit einem Naturbelag versehen, was an diesem Tag eher die Ausnahme darstellen sollte.

Im Weiler Weissenstein war ich dann wieder auf Kurs und pflügte mich durch hügeliges Gelände weiter durch den fallenden Nassschnee. Beim Hof Husmatte landete ich mitten in einem Weihnachtsbaumverkauf. Ein etwa sechs Meter hoher, aufgeblasener Samichlaus machte die vorbeifahrenden Fahrzeuge auf den Anlass aufmerksam. Wer kauft denn jetzt schon ein «Bäumli», fragte ich mich. Zum Glück nicht mein Problem, sind wir doch zu Hause seit Jahren mit einem künstlichen Baum zufrieden.

Vom nahen Jetzikofen stieg ich den sanft geneigten Hügel hoch. Oben angekommen verschwand ich für längere Zeit in einen Wald. Auf einer grösseren Waldlichtung gelangte ich am Hof Kohlholz vorbei. Dieser hiess vor ein paar Jahren noch Herrencholholz. Natürlich würde mich interessieren, was es mit dieser Verkürzung auf sich hat, und ob nun auch Flurbezeichnungen gendermässig einer Korrekur – oder, wie im vorliegenden Fall, einer Zensur – unterzogen werden.

Als ich oberhalb von Diemerswil aus dem Wald trat, liess der Schneefall nach und machte innerhalb von zehn Minuten ein paar Sonnenstrahlen Platz. Ich blickte hinab nach Münchenbuchsee und war erstaunt, wie schnell ich die Strecke von Berns Westen in Berns Norden zurückgelegt hatte. Spannend dann auch der Wechsel vom äusserst ländlichen Weiler Diemerswil – Diemerswil bildet mit 203 Einwohnern nach wie vor eine eigene politische Gemeinde, derzeit sind Fusionsverhandlungen mit der Gemeinde Münchenbuchsee im Gange – in das dicht bevölkerte Münchenbuchsee. Dabei beträgt die Distanz zwischen den beiden Siedlungen lediglich 500 Meter. 

Die letzte Viertelstunde ging ich also durch dieses Münchenbuchsee, gelangte am Geburtsort des Malers Paul Klee vorbei, bestaunte die etwas überdimensioniert wirkende Kirche und machte am Ziel eine Foto des im Laubsägelistil gebauten, aber längst nicht mehr mit Bahnpersonal besetzten Bahnhofgebäudes, ehe ich mich – vorfreudig auf die nächste Etappe – mit der Bahn nach Hause chauffieren liess, wo ich mich genüsslich über die geschossenen Fotos hermachte.

Die Wanderspirale von Bern: In Grün die absolvierte und in Rot die geplante Route.



5. Dezember 2021

400 Kilometer Heimat

Charly Wehrle: 400 Kilometer Heimat, Panico,
Köngen, 2018
In 12 Tagen ist Charly Wehrle um seine oberschwäbische Heimat gewandert und hat dabei seine Erlebnisse, Eindrücke und Gedanken aufgeschrieben. Mit spannenden Einschüben zu Wissenswertem und Unterhaltsamem rund um Oberschwaben hat er die einzelnen Wegabschnitte untermalt. Eine eigenwillige Wanderung zum Lesen, Nachmachen und selber Erleben. (Klappentext)

3. Dezember 2021

Wallanders erster Fall

Henning Mankell: Wallanders erster Fall,
dtv, München, 2004
Als Kurt Wallander seinen ersten Fall löst, ist er Anfang Zwanzig, ein junger Polizeianwärter und bis über beide Ohren in Mona verliebt. In einer Zeit, da die Polizei mit Schlagstöcken gegen Demonstranten vorgeht, wird seine Berufswahl nicht nur von seinem Vater kritisiert. Eines Abends findet er seinen Nachbarn Hålén erschossen auf dem Küchenboden. Die Kriminalpolizei tippt auf Selbstmord, doch Wallander zweifelt an dieser Erklärung, umso mehr, als Håléns Wohnung in Flammen aufgeht und man wenig später auf eine weitere Leiche stösst. Am Ende dieser Ermittlung hat Wallander eine Menge Fehler gemacht und leichtsinnig sein leben riskiert, doch sein ausserordentliches kriminalistisches Talent gilt als erwiesen. – Von Wallanders erstem Fall bis zu einem ausgewachsenen Kriminalroman, «Die Pyramide», reicht das Spekrum dieser Geschichten, die alle vor dem 8. Januar 1990, dem Beginn der Wallander-Romane, spielen. (Klappentext)

Moors Fazit: Henning Mankell hätte auch das Telefonbuch von Stockholm in Prosa verfassen können, seine Leserinnen und Leser hätten Seite um Seite gierig verschlungen.