8. Dezember 2007

Saisongerechte «Kulturtechnik»

Thomas Widmer, Zu Fuss, Echtzeit Verlag,
Basel, 2007
Wer mit pragmatischem Wanderführerblick an das Werk des Shooting Stars der Schweizer Wanderszene geht, reagiert vorerst leicht irritiert. Dort, wo sich normalerweise Impressum, Titel, Inhaltsverzeichnis und Vorwort befinden, erblickt man über mehrere Seiten hinweg grossformatige Fotos spezieller Prägung. Genau so verhält es sich mit den letzten 14 Seiten: Landschaftsaufnahmen eines Fotografen (in diesem Falle heisst er Raffael Waldner), der den Blick für das unspektakulär Faszinierende hat. Schlägt man das Buch jedoch in seiner vorderen Hälfte auf: nur Text. Aber wo sind die obligaten Routenskizzen? Die gibt's erst ab Buchmitte, dafür umso deftiger. Der kleine Echtzeit Verlag hat offenbar keine Mühen gescheut und sich die Abdruckrechte von 52 Kartenausschnitten der 50 000er Karte der Schweiz erkauft. Dem alleine gebührt schon grosses Lob, denn die Ausschnitte sind gut und nicht zu knapp gewählt, so dass man in der Regel seine Kartensammlung unangetastet zu Hause lassen kann. Und als der Rezensent schon meinte, aus wanderbuchtechnischer Sicht das Haar in der Suppe gefunden zu haben, wurde er erneut von der unkonventionellen, aber durchaus handhabbaren Kapiteleinteilung überrascht. Vergeblich sucht man auf einer der inneren Klappenseiten eine Übersichtskarte der Schweiz mit all den 52 Wanderungen, die uns Thomas Widmer schmackhaft machen will. Eine solche lässt sich letztlich auf den Seiten 86/87 finden, just vor dem Abschnitt mit den besagten Landestop-Karten. Logisch, nicht?

Nun aber zum textlichen Inhalt. Der als Appenzeller geborene und in Zürich lebende Journalist Widmer hat mit «Zu Fuss» seine seit 2004 in der Weltwoche wöchentlich erscheinende, gleichnamige Kolumne zum Buch umfunktioniert. Die 52 Wanderungen decken nicht nur weite Teile unseres Landes ab (wobei die Westschweiz und das Wallis markante Lücken aufweisen, Thurgau und Schaffhausen fanden ebenfalls keine Gnade). Zudem nimmt der Autor Rücksicht auf die jahreszeitlichen Gegebenheiten, was in der Tat ermöglicht, dass man beispielsweise Wanderung 9 effektiv in der Kalenderwoche 9 (also gegen Ende Februar) unternehmen kann, ohne gleich im Oeschinensee zu ersaufen. Da die Kolumne in der Regel die Eigenschaft der arg beschränkten Länge besitzt, musste auch Widmer die Kürze mit der Würze paaren, was bei ausgedehnten Wanderungen von 6 und mehr Stunden nicht immer einfach gewesen sein kann. Unserem Genusswanderer ist es aber vorzüglich gelungen, Kulturhistorisches, Anekdotisches, Kulinarisches und Wegtechnisches miteinander in sprachlichen Einklang zu bringen, ohne den redaktionell vorgegebenen Rahmen zu sprengen. Widmers Sprache ist witzig, humorvoll, manchmal hart an der Grenze zum Sauglattismus, aber nie darüber hinaus. Die beschriebenen Wanderungen zeugen von einem sanftmütigen, besonnenen Wandergenossen, der sein Publikum gut einzuschätzen vermag. Einzig die Länge der Wanderungen gibt in wenigen Fällen zu Fragezeichen Anlass. Wer fährt, um ein Beispiel zu nennen, schon extra von Tägertschi oder Wünnewil oder Arlesheim nach Rorschach, um in 2½ Stunden nach Rheineck zu tippeln? Lobenswert aber dennoch, dass all das Zelebrierte mit öffentlichen Verkehrsmitteln bewerkstelligt werden kann. Obschon dieses Wanderbuch einmalig ist, sei die Frage gestellt: «Wird es einen zweiten Widmer geben?»

PS. Was es mit dem im Titel zitierten Begriff «Kulturtechnik» auf sich hat, lese man am besten im Vorwort der Autors.