18. August 2014

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«Lieber Domenico
Es wird Zeit, dass ich Dir schreibe. Wir haben uns lange nicht mehr gesehen. Sind es fünf Jahre oder sechs? Ich zähle sie nicht. Mir ist es unwichtig, in welchem Tempo die Zeit vergeht. Meinen Lebensrhythmus bestimmen Wind und Wetter, das Licht und die Tiere.
Wie geht es Dir in der Stadt? Du wohnst doch noch in Zurigo? Was macht der Beruf? Arbeitest noch bei dieser Versicherung? Als Du das letzte Mal bei mir oben warst, erzähltest von Schwierigkeiten im Büro. Und wie geht es mit den Frauen? Bist immer noch mit der Genferin zusammen? Ich habe den Namen vergessen. Seit dem Tod von Anna bin ich alleine, verbringe so etwas wie ein Zölibat. Frauen kommen ja kaum an meinem Haus vorbei. Wenn, dann sind es Touristinnen, Pilzlerinnen oder alte Weiber aus dem Dorf. Wären da nicht die Tiere und Rufus, mein Dasein hätte vermutlich längst eine andere Wendung genommen.
    Bitte entschuldige, wenn ich sentimental werde, manchmal fällt mir halt das Steindach auf den Kopf. Das Alleinsein hat viel Gutes, doch damit auf die Dauer fertig zu werden ist nicht einfach. Moment, ich muss vors Haus, Rufus bellt ohne Unterlass. Ich will nachschauen gehen. Vielleicht ist's der Fuchs oder der Wolf. Seit ein paar Wochen streift er herum, der Wolf, und verängstigt Wanderer und Hirten. Dabei ...
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