8. August 2014

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Nach zweieinhalb Stunden die erste Bahnstation: Audemars. Das Dorf lag ausser Sichtweite. Das Bahnhofgebäude musste sich ein Künstler unter den Nagel gerissen haben. Überall standen skurrile Figuren aus Beton herum. Kälber mit drei Schwänzen, gehörnte Katzen, Männer mit üppigen Brüsten oder Giraffen mit einem Rüssel in T-Form, einem sogenannten Trüssel. Einzelne Objekte wurden bestimmt vor längerer Zeit hier draussen platziert. Dort, wo sich die Feuchtigkeit länger halten konnte, gediehen Moose. Ich sah liegende Weiblichkeiten mit unzweideutiger Vegetation im Schambereich. Die Absicht des Künstlers war offensichtlich. In einer Zeit des hemmungslosen Epilierens, des Weg-mit-den-Haaren, egal in welcher Zone, setzte der Skulptör mit Hilfe der Natur einen unübersehbaren Kontrapunkt.
    Zwischen den Figuren wucherten Blumen. Klatschmohn, Margriten, Disteln, Weidenröschen, Hortensien. Mittendrin stand ein kapitaler Holunderbaum, dessen Beeren sich langsam vom Grün ins Blau verfärbten. An einer gelben Kunststoffgiesskanne klebte eine Bänderschnecke. Zwischen Brause und Tragergriff glänzte ein Spinnennetz, an dem unzählige kleine Fliegen vom Wind hin und her bewegt wurden. Gerne hätte ich den Künstler kennen gelernt, doch das Haus schien im Moment verlassen. Ich wechselte auf die Strassenseite. Auf dem Türschild stand Suzanne Granget, Artiste. Dabei hätte ich gewettet, die Erschaffung von Männern mit Frauenbrüsten könne nur aus dem Geiste eines Mannes entspringen. Tja.

2 Kommentare:

  1. Interessant, interessant! Was mich aber besonders interessiert: Wie heisst der Trüssel auf Französich?

    PS
    Hätte der Schreibende Haare auf den Zähnen, wäre er ein Haargauer.

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  2. Tja, lieber Anonymus, Ihre Frage ist berechtigt, aber aus bestimmten Gründen nicht einfach zu beantworten. Eine Gegenfrage sei daher erlaubt: Wie nennt sich denn der Haargauer auf Französisch?

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