31. August 2014
30. August 2014
33
«Ich schweife wieder ab. Also, um es kurz zu machen. Es geht mir um ein Wiedersehen und um das Vergessen. Die Sache mit Anna. Vielleicht hilft mir die Reise nach Zurigo. Wann würde es Dir passen? Wenn ich von Reise spreche, meine ich eine Wanderung. Zu Fuss würde ich den Weg gehen. Über die Bassa di Nara in die Leventina, den San Gottardo hoch und hinüber in das Urnerland. Dann möchte ich das Rütli sehen, bevor ich die Richtung nach Zurigo einschlage. Ich rechne mit drei Tagen bis Airolo. Wie viele Tage dann noch bleiben, kann ich Dir nicht sagen. Hast Du eine Ahnung?»
Die Piercing-Frau kramte, nachdem sie mich unanständig lange gemustert hatte, ihr Telefon hervor, drückte so lange darauf herum, bis sie offenbar eine Gesprächspartnerin gefunden hatte. Diese non-chalante Hemmungslosigkeit einem lesenden Mitmenschen gegenüber, vertrieb mich ohne zu zögern in mein Zimmer. Selbstverständlich nahm ich den Thürknauf mit.
Die Piercing-Frau kramte, nachdem sie mich unanständig lange gemustert hatte, ihr Telefon hervor, drückte so lange darauf herum, bis sie offenbar eine Gesprächspartnerin gefunden hatte. Diese non-chalante Hemmungslosigkeit einem lesenden Mitmenschen gegenüber, vertrieb mich ohne zu zögern in mein Zimmer. Selbstverständlich nahm ich den Thürknauf mit.
29. August 2014
28. August 2014
32
«Bitte entschuldige, wenn ich Dich mit solchen Geschichten behellige. Ich hause gar einsam in meinem Valle, habe selten Besuch und nur die Tiere, mit denen ich reden kann. Du fragst Dich vielleicht, weshalb ich Dir schreibe. Der Grund ist ein simpler. Ich möchte Dich in Zurigo besuchen kommen! In meinem bescheidenen Leben war ich erst einmal in der Deutschschweiz. Das war vor dreissig Jahren etwa, damals mit der Schule, als wir den Rheinfall besuchten und mich Antonio beinahe vom Touristenboot gekippt hatte. Nun will ich sehen, was sich ennet dem San Gottardo getan hat in all den Jahren. Ich meine, mich noch an viele Kleinigkeiten zu erinnern. An das enge Tal von Uri mit der Chiesa von Wassen, die der Zug dreimal umkreiste; an die Fahrt auf dem Batello von Flüelen nach Brunnen und wie der Föhn über den See tobte; an den Bahnhof von Zurigo, wo wir umsteigen mussten, Romano plötzlich spurlos verschwunden war und wir erst nach zwei Stunden weiterfahren konten, nachdem man ihn im Zug nach Arth-Goldau gefunden hatte. Der gute Romano stieg in seiner Verzweiflung in den Express nach Chiasso, wollte also zurück in den Tessin, nach Hause zu Mama. Was haben wir Romano ausgelacht, als ihn der uniformierte Bahnbeamte Lehrer Orelli übergab.»
27. August 2014
Ausgelatscht
Gestatten, mein Name ist Furka. Etwas sonderbar für einen Wanderschuh, nicht wahr. Ich entstamme der Familie Meindl und wurde vermutlich in Tschechien gezeugt. Vor ein paar Jahren gelangte ich in einer Schachtel in die Schweiz, wo ich monatelang in einem Regal meine Dienste anbot, bis mich Anfang August 2009 ein Mann käuflich erwarb, dem offenbar meine Masse zusagten.
Mei, nun konnte ich endlich beweisen, was ich drauf hatte. Mein Herrchen führte mich regelmässig spazieren, bis zu meinem Ableben im August 2014 insgesamt 141 Mal. Und wo ich meine Fähigkeiten überall unter Beweis stellen konnte! In nicht weniger als 24 Kantonen war ich unterwegs, in Frankreich, Italien, Deutschland, Österreich – ja, selbst durch das Fürstentum Liechtenstein schritt ich. Am meisten gelitten habe ich bei der Besteigung der Schafnase im Kanton Obwalden. Das unwegsame Gelände mit den scharfkantigen Steinen setzte meinen Nähten arg zu. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits 1228,7 km auf dem Buckel. Weil auch die Profilsohle Abnützungserscheinungen aufzuweisen begann, gelangte ich in der Folge nur noch auf Wanderungen im einfacheren Gelände zum Einsatz. Mit der Zeit litt ich zudem an Innenfutterschwund. War's der Fussschweiss meines Chefs?
Neulich trat ich die letzte Wanderung an. Es ging von Wiler über Gerlafingen und Luterbach nach Solothurn. Alles in allem schaffte ich in den fünf Jahren 2303,3 Kilometer. Hierbei bewältigte ich 100'820 Meter bergauf und 91'310 Meter bergab. Nicht schlecht, oder? Am besten haben sich meine Schnürsenkel gehalten, sehen sie doch aus wie neu. Wenn ich meinen Chef richtig verstanden habe, werden sie noch einmal zum Einsatz gelangen.
26. August 2014
31
«Es habe dann doch drei Wochen gedauert, bis der Bescheid aus Bellinzona gekommen sei, der Wolf sei zum Abschuss frei gegeben worden. Natürlich hatte sich in der Zwischenzeit auf Pianèzza nichts mehr ereignet, und so ist es bis heute geblieben. Man munkelt, Fausto sei nach seinem Auftritt auf dem Jagdinspektorat direttamente auf die Alpe gestiegen und habe dem Treiben ein Ende gesetzt. Seither ist Ruhe dort drüben, aber wenn Du mich fragst, ist es eine Frage der Zeit, bis es wieder los geht.»
Die Salontüre ging auf. Herein tänzelte eine junge Frau mit Kopfhörern in den Ohren, gepiercten Lippen, gepierctem Nasenflügel, gepiercten Ohren und einem Tatoo rund um den Hals. Oh, du mein lieber Himmel, dachte ich und versuchte mich trotz des zischenden Kopfhöhrer-Sounds auf Thürknaufs Roman zu konzentrieren.
Die Salontüre ging auf. Herein tänzelte eine junge Frau mit Kopfhörern in den Ohren, gepiercten Lippen, gepierctem Nasenflügel, gepiercten Ohren und einem Tatoo rund um den Hals. Oh, du mein lieber Himmel, dachte ich und versuchte mich trotz des zischenden Kopfhöhrer-Sounds auf Thürknaufs Roman zu konzentrieren.
25. August 2014
24. August 2014
30
«Ein paar Wochen später war es dann soweit. Der Wolf – waren es gar mehrere? – hatte erneut zugeschlagen. Selbst die Zeitungen hätten darüber berichtet, erzählte mir Giuseppina, als sie, die Achtzigjährige, den Berg hochröchelte, um mir ein wenig Gesellschaft zu leisten. Die gute, alte Seppina. Auf einem grossen Bild habe man den grimmig dreinblickenden Fausto gesehen, dahinter, ziemlich unscharf, die Sauerei mit den zerfetzten Schafen. Der Jagdinspektor prüfe nun, ob er den Wolf zum Abschuss freigeben könne, sei in dem Artikel zu lesen gewesen. Mann müsse zuerst abklären, ob es sich überhaupt um einen Wolf handle, oder ob nicht allenfalls doch ein wildernder Hund sein Unwesen treibe. Daher seien genauere Abklärungen notwendig, sie habe den Namen – oder war es eine Abkürzung? – vergessen, habe der Inspettore den Journalisten gesagt. Fausto sei fuchsteufelswild geworden, fuhr Seppina fort. Ob es denn eine Rolle spiele, welche Bestie die Tiere massakriere? Er, Fausto Groppi, verlange den unverzüglichen Abschuss des blutrünstigen Phantoms, ansonsten würde er höchstpersönlich Hand anlegen und zwar subito. Dies solle er besser bleiben lassen, habe ihm der Inspettore geraten und versprochen, die Angelegenheit höchstpersönlich an die Hand zu nehmen und so schnell, wie es das Gesetz zulasse, zu handeln.»
23. August 2014
Die Mischung aus der Steinzeit
Ja, ja, ich weiss, das hier abgebildete Buch dürfte nun wirklich keinen mehr gross interessieren, ist es doch bereits 1996 als spezielle Mischung zwischen Trekkingbericht und Trekkingführer erschienen. Leider bin ich aber erst jetzt zum Lesen gekommen und ich finde, dass es eine post hume Erwähnung verdient hat. Der Autor, Alwig Derstvenscheg, schildert uns also 21 Trekkingtouren im schönen Norwegen. Eine davon als Fahrradtour von der Südspitze bis zu den Lofoten, eine andere als Kanufahrt auf dem Telemarkkanal. 12 Touren beschreibt Derstvenscheg aus der Sicht des Trekkers, wie er sich mit den Verhältnissen vor Ort arrangiert. Seine Eindrücke sind richtiggehende Appetitanreger auf das wohl abwechslungsreichste Land Skandinaviens. Besonders beeindruckt hat mich die Tatsache, dass der Autor meist tagelang mit dem Zelt über das Fjell zog – und zwar zu beinahe jeder Jahreszeit. Das Buch liefert nebst den allernotwendigsten Angaben zu jeder Tour auch eine zusammenfassende Einführung in die für den Wanderer relevanten Gegebenheiten Norwegens, dies ohne eine einzige E-Mail- oder Web-Adresse. Kein Wunder, 1996, das war internetmässige Steinzeit. Wie schnell man doch vergisst.
22. August 2014
29
Ich nahm einen Schluck Kaffee, schob mir ein Kissen hinter den Rücken und las weiter.
«Die Schafe zu bewachen, komme nicht in Frage, hat er mir einmal gesagt. Zu teuer sei dies und die Tierhaltung so erst recht ein Verlustgeschäft. Das Patriziato müsse froh sein, gehe überhaupt noch jemand auf diese vermaledeiten Alpen; ebenso der Kanton, dem es ein Anliegen ist, solche Täler vor der totalen Verwilderung zu schützen. Daher sei er, Fausto, in Bellinzona vorstellig geworden. Unzählige Fotos, grausige Bilder seien es gewesen, habe er den Beamten vorgelegt. Verstreut herumliegende Schafsköpfe, die Augen von den Raben herausgepickt. Halboffene Bäuche, aufgebläht, mit hervorquellendem Gedärm. Überall Fliegen, herumkrabbelnde Ameisen und ein bestialischer Gestank, den die Fotos leider nicht wiedergaben. Eine Sekretärin habe sich im Sitzungszimmer übergeben müssen und auf den Spannteppich gekotzt. Sie seien dann ins Büro des Inspektors gegangen, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Er könne den Wolf leider nicht zum Abschuss freigeben, sagte ihm der Jagdoberst, die Anzahl der gerissenen Schafe sei zu gering. Einen dicken Hals habe er daraufhin bekommen, erzählte mir Fausto. Wie viele massakrierte Wollknäuel es denn noch bedürfe, habe er wissen wollen. Die Fotos sprächen doch eine deutliche Sprache. Schliesslich betreibe er den ganzen Aufwand nicht, um dem Wolf das Schlaraffenland auf dem Silbertablett zu servieren. Dann könne er gerade so gut die Schafzucht an den Nagel hängen. Mit den lächerlich kleinen Bundesbeiträgen könne sowieso kein Schäfeler grosse Sprünge machen, redete sich Fausto in Rage. Er solle sich jetzt erst einmal beruhigen, habe man ihm gesagt und versprochen, die Angelegenheit mit dem zuständigen Wildhüter unter die Lupe zu nehmen. Und wegen der Subventionen, da könnten sie auch nichts dafür. Sie selber, ja, der ganze Kanton, seien in permanentem Clinch mit denen in Bern oben, er kenne die Problematik doch selber auch. Der Tessin leide bekanntlich seit den Vögten an dem Machtgefüge ennet dem Gotthard. Das sei eben ihr Los, vesuchte der Inspektor zu beschwichtigen, sie hier hätten die Sonne und die dort drüben das Sagen. Basta. Und, meinte er abschliessend, Fausto solle sich doch wenigstens über die Entschädigung für jedes getötete Schaf freuen. Einen Dreck habe ihn das gefreut, gestand mir Fausto. Die hätten doch keine Ahnung. Weder die beim Kanton, noch die in Berna. Die sowieso nicht. «Was wissen denn die Bürokraten von der Schafzucht? Ist je einmal einer dieser Beamten ins Tal gekommen und hat sich die Alpe angeschaut?», ereiferte sich Fausto nach seiner Rückkehr aus Bellinzona. «No, no, no!» Er beruhigte sich erst wieder, nachdem ich ihm drei Grappa eingeschenkt hatte.»
«Die Schafe zu bewachen, komme nicht in Frage, hat er mir einmal gesagt. Zu teuer sei dies und die Tierhaltung so erst recht ein Verlustgeschäft. Das Patriziato müsse froh sein, gehe überhaupt noch jemand auf diese vermaledeiten Alpen; ebenso der Kanton, dem es ein Anliegen ist, solche Täler vor der totalen Verwilderung zu schützen. Daher sei er, Fausto, in Bellinzona vorstellig geworden. Unzählige Fotos, grausige Bilder seien es gewesen, habe er den Beamten vorgelegt. Verstreut herumliegende Schafsköpfe, die Augen von den Raben herausgepickt. Halboffene Bäuche, aufgebläht, mit hervorquellendem Gedärm. Überall Fliegen, herumkrabbelnde Ameisen und ein bestialischer Gestank, den die Fotos leider nicht wiedergaben. Eine Sekretärin habe sich im Sitzungszimmer übergeben müssen und auf den Spannteppich gekotzt. Sie seien dann ins Büro des Inspektors gegangen, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Er könne den Wolf leider nicht zum Abschuss freigeben, sagte ihm der Jagdoberst, die Anzahl der gerissenen Schafe sei zu gering. Einen dicken Hals habe er daraufhin bekommen, erzählte mir Fausto. Wie viele massakrierte Wollknäuel es denn noch bedürfe, habe er wissen wollen. Die Fotos sprächen doch eine deutliche Sprache. Schliesslich betreibe er den ganzen Aufwand nicht, um dem Wolf das Schlaraffenland auf dem Silbertablett zu servieren. Dann könne er gerade so gut die Schafzucht an den Nagel hängen. Mit den lächerlich kleinen Bundesbeiträgen könne sowieso kein Schäfeler grosse Sprünge machen, redete sich Fausto in Rage. Er solle sich jetzt erst einmal beruhigen, habe man ihm gesagt und versprochen, die Angelegenheit mit dem zuständigen Wildhüter unter die Lupe zu nehmen. Und wegen der Subventionen, da könnten sie auch nichts dafür. Sie selber, ja, der ganze Kanton, seien in permanentem Clinch mit denen in Bern oben, er kenne die Problematik doch selber auch. Der Tessin leide bekanntlich seit den Vögten an dem Machtgefüge ennet dem Gotthard. Das sei eben ihr Los, vesuchte der Inspektor zu beschwichtigen, sie hier hätten die Sonne und die dort drüben das Sagen. Basta. Und, meinte er abschliessend, Fausto solle sich doch wenigstens über die Entschädigung für jedes getötete Schaf freuen. Einen Dreck habe ihn das gefreut, gestand mir Fausto. Die hätten doch keine Ahnung. Weder die beim Kanton, noch die in Berna. Die sowieso nicht. «Was wissen denn die Bürokraten von der Schafzucht? Ist je einmal einer dieser Beamten ins Tal gekommen und hat sich die Alpe angeschaut?», ereiferte sich Fausto nach seiner Rückkehr aus Bellinzona. «No, no, no!» Er beruhigte sich erst wieder, nachdem ich ihm drei Grappa eingeschenkt hatte.»
21. August 2014
20. August 2014
28
«Es war nichts. Kein Knacken im Wald, kein Geheul, kein Geruch. Nichts. Seit Anna nicht mehr ist, bellt Rufus oft grundlos. Vermutlich seine Art, die Trauer zu bewältigen. Mich beschäftigt der Wolf in keiner Weise. Was sind schon ein paar gerissene Schafe, eine Handvoll zerfetzter Ziegen? Die sollen ihn doch gewähren lassen und besser auf die Herden aufpassen. Neulich sind ihm zwei Jäger drüben im Val Madra aufgelauert. Vergeblich! Drei Tage und zwei Nächte im Zelt auf der Alpe Pianèzza. Auf Geheiss des Jagdinspektors, bloss weil der Wolf den Bogen überspannt hatte, zuviel Beute machte. Ist ja kein Wunder, wie der Fausto seit Jahren – seit Jahrzehnten! – seine Tiere auf dem Berg hält. Im Juni treibt er sie jeweils hoch, über Schneefelder, durch den hochgehenden Bach, auf zerfallenden Wegen, bis ihm selber die Puste ausgeht. Dann überlässt er das Vieh seinem Schicksal, um alle paar Wochen nach dem Rechten zu schauen, mit dem Feldstecher um den Hals und etwas Gleck im Militär-Rucksack. Ich seh die Herde von meiner Capanna aus und die Raben, wenn sie im Schwarm über einem toten Tier kreisen. Fausto bleiben dann nur das Gejammere, die Knochen und herumliegende Fellfetzen.»
19. August 2014
Staub im Schnee
Ernst Solèr: Staub im Schnee, Grafit, Dortmund, 2008 |
sondern war auch bekannt für seine Kokain- und Spielsucht und befand sich in ernsten finanziellen Schwierigkeiten. Fred Staub, Hauptmann der Zürcher Kantonspolizei, und sein Team können den Fall binnen kürzester Zeit als klassische Beziehungstat lösen. Die Öffentlichkeit ist voll des Lobes angesichts der raschen Aufklärung – nur Staub ist unzufrieden, ihm geht das Ganze eine Spur zu schnell. Zu Recht, wie sich herausstellt: Denn bei seinen Nachforschungen deckt er einen Skandal auf, der die ganze Nation erschüttert … (Verlagswebsite)
AG: Spielcasino Baden BS: Stadt Basel SG: Jona ZH: Chäferberg, Zürich, Schweizer Fernsehen Leutschenbach, Wasterkingen bei Rafz, Oerlikon, Nassenwil bei Niederhasli, Klinik Hard Embrach D: Hohentengen
18. August 2014
27
«Lieber Domenico
Es wird Zeit, dass ich Dir schreibe. Wir haben uns lange nicht mehr gesehen. Sind es fünf Jahre oder sechs? Ich zähle sie nicht. Mir ist es unwichtig, in welchem Tempo die Zeit vergeht. Meinen Lebensrhythmus bestimmen Wind und Wetter, das Licht und die Tiere.
Wie geht es Dir in der Stadt? Du wohnst doch noch in Zurigo? Was macht der Beruf? Arbeitest noch bei dieser Versicherung? Als Du das letzte Mal bei mir oben warst, erzähltest von Schwierigkeiten im Büro. Und wie geht es mit den Frauen? Bist immer noch mit der Genferin zusammen? Ich habe den Namen vergessen. Seit dem Tod von Anna bin ich alleine, verbringe so etwas wie ein Zölibat. Frauen kommen ja kaum an meinem Haus vorbei. Wenn, dann sind es Touristinnen, Pilzlerinnen oder alte Weiber aus dem Dorf. Wären da nicht die Tiere und Rufus, mein Dasein hätte vermutlich längst eine andere Wendung genommen.
Bitte entschuldige, wenn ich sentimental werde, manchmal fällt mir halt das Steindach auf den Kopf. Das Alleinsein hat viel Gutes, doch damit auf die Dauer fertig zu werden ist nicht einfach. Moment, ich muss vors Haus, Rufus bellt ohne Unterlass. Ich will nachschauen gehen. Vielleicht ist's der Fuchs oder der Wolf. Seit ein paar Wochen streift er herum, der Wolf, und verängstigt Wanderer und Hirten. Dabei ...»
Es wird Zeit, dass ich Dir schreibe. Wir haben uns lange nicht mehr gesehen. Sind es fünf Jahre oder sechs? Ich zähle sie nicht. Mir ist es unwichtig, in welchem Tempo die Zeit vergeht. Meinen Lebensrhythmus bestimmen Wind und Wetter, das Licht und die Tiere.
Wie geht es Dir in der Stadt? Du wohnst doch noch in Zurigo? Was macht der Beruf? Arbeitest noch bei dieser Versicherung? Als Du das letzte Mal bei mir oben warst, erzähltest von Schwierigkeiten im Büro. Und wie geht es mit den Frauen? Bist immer noch mit der Genferin zusammen? Ich habe den Namen vergessen. Seit dem Tod von Anna bin ich alleine, verbringe so etwas wie ein Zölibat. Frauen kommen ja kaum an meinem Haus vorbei. Wenn, dann sind es Touristinnen, Pilzlerinnen oder alte Weiber aus dem Dorf. Wären da nicht die Tiere und Rufus, mein Dasein hätte vermutlich längst eine andere Wendung genommen.
Bitte entschuldige, wenn ich sentimental werde, manchmal fällt mir halt das Steindach auf den Kopf. Das Alleinsein hat viel Gutes, doch damit auf die Dauer fertig zu werden ist nicht einfach. Moment, ich muss vors Haus, Rufus bellt ohne Unterlass. Ich will nachschauen gehen. Vielleicht ist's der Fuchs oder der Wolf. Seit ein paar Wochen streift er herum, der Wolf, und verängstigt Wanderer und Hirten. Dabei ...»
17. August 2014
Ist sie nicht süss?
16. August 2014
26
Angesprochen auf ihre Namensvetternschaft mit einem Schweizer Uhrenhersteller, winkte Madame Tissot ab. Ihr Exmann sei ein Tissot gewesen und im fünften Grad ein Abkömmling von Charles Félicien Tissot, dem Firmengründer aus dem schweizerischen Le Locle. Bis zum Tag ihrer Scheidung habe sie tatsächlich eine Tissot getragen, diese dann, zusammen mit dem Ehering, einem Bijoutier verkauft. Mit dem Geld habe sie sich dann eine teure Handtasche erstanden, die ihr aber noch am selben Tag, im Bistro unweit der Boutique, abhanden gekommen sei.
Das Abendessen war auf 19 Uhr angesetzt. Währenddem ich mir einen opulenten Fünfgänger einverleibte, trocknete in meiner Kammer die nasse Biwakware. Die Salle à manger wirkte mit den wenigen Gästen ein wenig überdimensioniert. Auf der Längsseite befanden sich zwei Türen. Toilettes stand über der linken, Salon über der rechten. Ich bestellte einen Kaffee und als er gebracht wurde, verschwand ich damit im Salon. Auf einem bordeaux-roten Teppich standen in Hufeisenform angeordnete Plüschsofas. Dahinter, ein Wandregal mit Büchern. Die Kaffeetasse in der Hand, schritt ich die Hausbibliothek ab, zupfte da und dort einen Band heraus, stöberte in den Seiten herum und schob ihn wieder zurück. Als mir nach unzähligen französischen Titeln plötzlich das deutsche Eigenbrot von Balz Thürknauf ins Auge stach, war ich nicht wenig erstaunt. Ich schnappte mir das Buch, liess mich in den Plüsch fallen und begann zu lesen.
14. August 2014
25
Alle paar hundert Meter folgte nun ein Tunnel. Zweimal überspannten gemauerte Viadukte Seitenarme der Schlucht. An einigen Stellen war die Trasse zur Hälfte abgerutscht. Zahlreiche, verstreut herumliegende Gesteinsbrocken verdeutlichten die latente Steinschlaggefahr. Ich hütete mich daher, stehen zu bleiben. Am sichersten fühlte ich mich jeweils auf den Brücken. Besonders mühsam waren die verbuschten Abschnitte, wo ich mich regelrecht durchkämpfen musste. Aufgrund der extremen Topografie hatte ich keine andere Wahl, als den Dickichten die Stirn zu bieten. Ich versuchte, mir vorzustellen, mit welchem Aufwand die Linie erbaut worden war und was für ein Genuss es einst gewesen sein musste, im Zug sitzend durch die Schlucht zu reisen.
Laramy-les-Sauts erreichte ich am späten Nachmittag. Wie tags zuvor, entlud sich ein Gewitter über dem Land und nahm mir für einmal die Lust am Campieren. Das einzige Hotel im Ort hatte noch ein Zimmer frei. Der alte Kasten mit dem nicht mehr passenden Namen Au Lion d'Or musste indes bessere Zeiten gesehen haben. Davon zeugten unter anderem der grosse Esssaal mit Kronleuchtern und halbtoten Wandspiegeln in kunstvoll geschnitzten Holzrahmen. Der Parkettboden hätte längst eine Auffrischung verdient. Das mit einem roten Teppich belegte Treppenhaus führte bis in den vierten Stock. An den Wänden hingen Schwarzweiss-Fotos aus den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts. Sie zeigten Szenen aus dem Dorf. Auf einem Bild fuhr ein mit Blumen geschmückter Dampfzug im Bahnhof von Laramy ein. Die mit Schreibmaschine verfasste Bildlegende titelte: Arrivée du train présidial lors de la visite des sauts de Laramy en 1936. Auf einem anderen Bild sah ich dann die Wasserfälle, welche dem Ortsnamen einst den speziellen Zusatz bescherten. Auf die Sauts angesprochen, meinte die energisch wirkende Hotelbesitzerin nur: «Oh, savez-vous, depuis la mise en marche de l'usine électrique, les sauts sont morts». Die Ableitung des Wassers zur Stromgewinnung liess die berühmten Kaskaden praktisch versiegen. Fünf Jahre nach Kriegsende habe kein Hahn danach gekräht, wie es um die touristische Zukunft von Laramy bestellt sei. Es grenze daher an ein Wunder, dass der Lion d'Or, wenn auch schlecht als recht, überlebt habe, sagte Madame Tissot nicht ohne Stolz. «Savez-vous, les autres etablissements ont fermé leur portes peu après l'inauguration de l'usine», ergänzte sie.
Laramy-les-Sauts erreichte ich am späten Nachmittag. Wie tags zuvor, entlud sich ein Gewitter über dem Land und nahm mir für einmal die Lust am Campieren. Das einzige Hotel im Ort hatte noch ein Zimmer frei. Der alte Kasten mit dem nicht mehr passenden Namen Au Lion d'Or musste indes bessere Zeiten gesehen haben. Davon zeugten unter anderem der grosse Esssaal mit Kronleuchtern und halbtoten Wandspiegeln in kunstvoll geschnitzten Holzrahmen. Der Parkettboden hätte längst eine Auffrischung verdient. Das mit einem roten Teppich belegte Treppenhaus führte bis in den vierten Stock. An den Wänden hingen Schwarzweiss-Fotos aus den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts. Sie zeigten Szenen aus dem Dorf. Auf einem Bild fuhr ein mit Blumen geschmückter Dampfzug im Bahnhof von Laramy ein. Die mit Schreibmaschine verfasste Bildlegende titelte: Arrivée du train présidial lors de la visite des sauts de Laramy en 1936. Auf einem anderen Bild sah ich dann die Wasserfälle, welche dem Ortsnamen einst den speziellen Zusatz bescherten. Auf die Sauts angesprochen, meinte die energisch wirkende Hotelbesitzerin nur: «Oh, savez-vous, depuis la mise en marche de l'usine électrique, les sauts sont morts». Die Ableitung des Wassers zur Stromgewinnung liess die berühmten Kaskaden praktisch versiegen. Fünf Jahre nach Kriegsende habe kein Hahn danach gekräht, wie es um die touristische Zukunft von Laramy bestellt sei. Es grenze daher an ein Wunder, dass der Lion d'Or, wenn auch schlecht als recht, überlebt habe, sagte Madame Tissot nicht ohne Stolz. «Savez-vous, les autres etablissements ont fermé leur portes peu après l'inauguration de l'usine», ergänzte sie.
13. August 2014
Eine Wanderung, die ich nicht empfehle
Gestern schrittelte ich im Rahmen meines Gemeindebewanderungsprojektes von Dompierre via Missy und Gletterens nach Grandcour. Und was ich gelegentlich bereits bemängelt habe, bewahrheitete sich in der Region Broyetal-Neuenburgersee einmal mehr: Die Freiburger und Waadtländer sind Weltmeister im Verbetonieren und Verteeren ihrer Feld-, Wald- und Wiesenwege. Die Nachahmung dieser Wanderung kann ich wahrlich nicht empfehlen.
Typisches Bild im Broyetal: Gütersträsschen mit Hartbelag, daneben gedeiht subventionierter Tabak. |
12. August 2014
24
Nach ungefähr vier Kilometern der erste Tunnel. Ein Schild verbot das Betreten des Lochs. Die Stirnlampe erhellte eine feuchte Halle. Von der Decke tropfte es unablässig. Alle paar Schritte glänzte eine Pfütze auf. Wegen des Kurvenverlaufs zeigte sich das Tunnelende erst spät. Am Boden lagen Geröllbrocken unterschiedlicher Grösse herum. Der Lichtkegel der Lampe streifte kurz ein paar Fledermäuse, die kopfüber von der Decke hingen. Wieder draussen, präsentierte sich eine komplett andere Umgebung. Die sanfthügelige Landschaft war einer wild anmutenden Schlucht gewichen. Tief unten das Rauschen des Flusses. Auf der gegenüberligenden Seite reihten sich zerklüftete Felsformationen aneinander. Darüber kreisten Kolkraben in schwüler Thermik. Zusammen mit der üppigen Waldvegetation erinnerte die Szenerie an das Dekor eines Western-Films. Die ehemalige Bahntrasse klebte als schmales Band auf der rechten Seite der Gorges und senkte sich mit moderatem Gefälle Richtung Laramy-les-Sauts.
11. August 2014
Da da da!
Früher als erwartet, aber dennoch keine Frühgeburt: Mein neustes Werk Aargau rundum ist kürzlich erschienen, umfasst 212 Seiten und beschreibt meine Zu-Fuss-Umrundung des Kantons Aargau entlang seiner Gemarkung. Mehr noch: Das Büchlein beinhaltet die Kantonsgeschichte von der Steinzeit bis DJ Bobo. Zudem gebe ich einen repräsentativen Abriss über die Aargauer Literaturszene von Heinrich Zschokke bis Ina Haller. Und das ist freilich noch nicht alles. 20 Exkurse berichten unter anderem über die Geschichte bedeutender Aargauer Firmen, über das Rüebli, die Erfindung des Birchermüeslis, das Aargauer Lied, den Salm, die Bahnhofsuhr von Aarau und natürlich auch über Kernkraftwerke. 19 Etappen benötigte die insgesamt 367,7 km lange Expedition. Als Zugabe kam dann noch eine Achterschleife rund um die Exklave Kloster Fahr hinzu. 21 Karten haben Eingang in diese Art Liebeserklärung an meinen Heimatkanton gefunden, bei der auch die Nachbarkantone nicht zu kurz kommen. Gibt es Gründe, dieses Werk nicht zu kaufen? Vielleicht hier?
10. August 2014
9. August 2014
Eine signaletische Rarität
Was hab ich in meiner Wanderkarriere schon alles an Wegweisern gesehen. Unglaublich! Ein Novum ist mir indes vor ein paar Tagen am Neuenburgersee begegnet. Die Beschilderung eines Wanderwegs, den es noch gar nicht gibt. In der angegebenen Richtung versperren Zaun und Dickicht jegliches Durchkommen. Ich war irritiert und kam zum Schluss, dass es sich vermutlich um eine politisch motivierte Aktion der Neuenburger Wanderwegorganisation handeln könnte. Gut möglich, dass sich einer oder mehrere Grundstückbesitzer weigern, den von Gesetzes wegen öffentlichen Zugang ans Seeufer zu gewährleisten, weshalb sich die Signaletiker die Freiheit ausbedungen haben, den zukünftigen Weg vorsorglich zu beschildern.
In Marin-Epagnier (NE) gibt's Wegweiser für Pfade, die es noch gar nicht gibt. |
8. August 2014
23
Nach zweieinhalb Stunden die erste Bahnstation: Audemars. Das Dorf lag ausser Sichtweite. Das Bahnhofgebäude musste sich ein Künstler unter den Nagel gerissen haben. Überall standen skurrile Figuren aus Beton herum. Kälber mit drei Schwänzen, gehörnte Katzen, Männer mit üppigen Brüsten oder Giraffen mit einem Rüssel in T-Form, einem sogenannten Trüssel. Einzelne Objekte wurden bestimmt vor längerer Zeit hier draussen platziert. Dort, wo sich die Feuchtigkeit länger halten konnte, gediehen Moose. Ich sah liegende Weiblichkeiten mit unzweideutiger Vegetation im Schambereich. Die Absicht des Künstlers war offensichtlich. In einer Zeit des hemmungslosen Epilierens, des Weg-mit-den-Haaren, egal in welcher Zone, setzte der Skulptör mit Hilfe der Natur einen unübersehbaren Kontrapunkt.
Zwischen den Figuren wucherten Blumen. Klatschmohn, Margriten, Disteln, Weidenröschen, Hortensien. Mittendrin stand ein kapitaler Holunderbaum, dessen Beeren sich langsam vom Grün ins Blau verfärbten. An einer gelben Kunststoffgiesskanne klebte eine Bänderschnecke. Zwischen Brause und Tragergriff glänzte ein Spinnennetz, an dem unzählige kleine Fliegen vom Wind hin und her bewegt wurden. Gerne hätte ich den Künstler kennen gelernt, doch das Haus schien im Moment verlassen. Ich wechselte auf die Strassenseite. Auf dem Türschild stand Suzanne Granget, Artiste. Dabei hätte ich gewettet, die Erschaffung von Männern mit Frauenbrüsten könne nur aus dem Geiste eines Mannes entspringen. Tja.
Zwischen den Figuren wucherten Blumen. Klatschmohn, Margriten, Disteln, Weidenröschen, Hortensien. Mittendrin stand ein kapitaler Holunderbaum, dessen Beeren sich langsam vom Grün ins Blau verfärbten. An einer gelben Kunststoffgiesskanne klebte eine Bänderschnecke. Zwischen Brause und Tragergriff glänzte ein Spinnennetz, an dem unzählige kleine Fliegen vom Wind hin und her bewegt wurden. Gerne hätte ich den Künstler kennen gelernt, doch das Haus schien im Moment verlassen. Ich wechselte auf die Strassenseite. Auf dem Türschild stand Suzanne Granget, Artiste. Dabei hätte ich gewettet, die Erschaffung von Männern mit Frauenbrüsten könne nur aus dem Geiste eines Mannes entspringen. Tja.
7. August 2014
Ostfriesen Killer
Klaus-Peter Wolf: Ostfriesen Killer, Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt, 2012 |
D: Ostfriesland, namentlich: Norden, Süderneuland, Norddeuch, Nessmersiel, Eversmeer, Ewiges Meer, Aurich, Leer
6. August 2014
22
Schweissgebadet wachte ich auf. Noch immer klatschte der Regen aufs Zelt. In der Nachbarschaft schnarchte jemand unverschämt laut. Die Uhr zeigte halb vier. Meine Blase trieb mich auf die Toilette, wo ein junges Pärchen herumschmuste. Als ich mich entschuldigend an den beiden vorbei in den Eingang drückte, hielten sie inne und blickten verlegen zu Boden.
Um sieben piepste die Armbanduhr. Der Regen hatte aufgehört. Auf dem Weg zum ehemaligen Bahnhof kaufte ich in einer Boulangerie zwei Baguettes, die ich aussen am Rucksack befestigte. Das Gehen auf dem Bahnschotter bereitete mir anfänglich etwas Mühe, dafür musste ich mir bis morgen Abend keine Gedanken über die Wegfindung machen. Die aufgehobene Bahnlinie war das Ziel.
Die Strecke führte vorerst an einem erst kürzlich errichteten Einfamilienhausviertel vorbei und beschrieb hernach einen weiten, dem Gelände angepassten Bogen. Es folgte ein längerer, schnurgerader Abschnitt durch kultiviertes Land. Weil ich keine Verankerungen für Strommasten erkennen konnte, nahm ich an, dass den Zügen einst Diesellokomotiven vorgespannt waren. Ab und zu ragten Telegrafenmaste in bedrohlicher Schieflage aus dem Boden. Und immer wieder ging ich durch ein seitlich begrenztes Meer von Weidenröschen.
Um sieben piepste die Armbanduhr. Der Regen hatte aufgehört. Auf dem Weg zum ehemaligen Bahnhof kaufte ich in einer Boulangerie zwei Baguettes, die ich aussen am Rucksack befestigte. Das Gehen auf dem Bahnschotter bereitete mir anfänglich etwas Mühe, dafür musste ich mir bis morgen Abend keine Gedanken über die Wegfindung machen. Die aufgehobene Bahnlinie war das Ziel.
Die Strecke führte vorerst an einem erst kürzlich errichteten Einfamilienhausviertel vorbei und beschrieb hernach einen weiten, dem Gelände angepassten Bogen. Es folgte ein längerer, schnurgerader Abschnitt durch kultiviertes Land. Weil ich keine Verankerungen für Strommasten erkennen konnte, nahm ich an, dass den Zügen einst Diesellokomotiven vorgespannt waren. Ab und zu ragten Telegrafenmaste in bedrohlicher Schieflage aus dem Boden. Und immer wieder ging ich durch ein seitlich begrenztes Meer von Weidenröschen.
5. August 2014
Die Koordinate
Auf «Querschnitt Schweiz» folgt «Die Koordinate». Ging ich von 2006 bis
2008 in einem Zwei-Kilometer-Korridor von West nach Ost, so werde ich
mich in der kommenden Zeit mit derselben Hartnäckigkeit vom
Pruntruter Zipfel südwärts ins Unterwallis durchschlagen. 17 Etappen,
302 Kilometer zu Fuss, 4½ Kilometer mit dem Boot, saloppe 17'000 Meter bergauf und beschwingte 15'735 Meter
bergab.
Die Etappen
1 Bonfol – Porrentruy > 17.9 km
2 Porrentruy – St. Brais > 23.5 km
3 St. Brais – Cortébert > 18.3 km
4 Cortébert – La Neuveville > 19.3 km
5 La Neuveville – Murten > 16.3 km + 4.5 km mit Boot
6 Murten – Matran > 20.1 km
7 Matran – Hauteville > 23.3 km
8 Hauteville – Grandvillard > 19.9 km
9 Grandvillard – Rossinière > 18.1 km
10 Rossinière – Les Aviolats > 19.1 km
11 Les Aviolats – Les Plans-sur-Bex > 21.0 km
12 Les Plans-sur-Bex – Cabane de la Tourche > 10.2 km
13 Cabane de la Tourche – Branson > 17.9 km
14 Branson – Bovernier > 11.2 km
15 Bovernier – Praz de Fort > 16.5 km
16 Praz de Fort – Gîte de la Léchère > 12.5 km
17 Gîte de la Léchère – Ferret > 16.1 km
Die Koordinate 574 misst von Grenze zu Grenze 180 Kilometer. Zu Fuss sind es deren 302. |
Die Etappen
1 Bonfol – Porrentruy > 17.9 km
2 Porrentruy – St. Brais > 23.5 km
3 St. Brais – Cortébert > 18.3 km
4 Cortébert – La Neuveville > 19.3 km
5 La Neuveville – Murten > 16.3 km + 4.5 km mit Boot
6 Murten – Matran > 20.1 km
7 Matran – Hauteville > 23.3 km
8 Hauteville – Grandvillard > 19.9 km
9 Grandvillard – Rossinière > 18.1 km
10 Rossinière – Les Aviolats > 19.1 km
11 Les Aviolats – Les Plans-sur-Bex > 21.0 km
12 Les Plans-sur-Bex – Cabane de la Tourche > 10.2 km
13 Cabane de la Tourche – Branson > 17.9 km
14 Branson – Bovernier > 11.2 km
15 Bovernier – Praz de Fort > 16.5 km
16 Praz de Fort – Gîte de la Léchère > 12.5 km
17 Gîte de la Léchère – Ferret > 16.1 km
4. August 2014
Die Vivi Kola-Runde
Am Samstag wanderten wir, ausgehend von Eglisau und daselbst wieder endend, ein unförmiges Oval im Rafzerfeld. Wasterkingen, Hüntwangen, Wil, Rafz und Buchberg waren die wichtigsten Stationen am Weg. Das hübsche Rheinstädtchen Eglisau verfügte einst über eine florierende Mineralwasserfabrik. Nebst dem beispielsweise bekannten Orangina wurde hier seit 1938 das legendär gewordene Vivi Kola hergestellt. Weil unter anderem der Druck der Weltmarktbeherrscher Coca Cola und Pepsi Cola zu gross wurde, verschwand das Produkt 1986 von der Bildfläche. 2008 war es, als der Eglisauer Grafiker, Christian Forrer, die Markenrechte von Vivi Kola erwerben und in der Folge das Getränk zum Leben erwecken konnte. Mit Erfolg! 2010 wurde die dunkle Brause zum ersten Mal nach beinahe 25 Jahren wieder abgefüllt und entwickelte sich im Nu zum Renner.
Zurück in Eglisau, steuerten wir in der Untergass auf das nett gestylte Vivi Café zu, wo wir das exklusive Gebräu an einem der drei Trottoir-Tischchen die Kehlen runterfliessen liessen. Im Gegensatz zur omnipräsenten Konkurrenz ist Vivi Kola weniger süss, weniger kohlesäurenhaltig und etwas dezenter im Geschmack. Ich fand Gefallen an diesem mit viel Liebe vermarkteten Kultgetränk und empfehle den Besuch des Vivi Cafés wärmstens. Zur Produktelinie gehört auch Kaffee, den die Firma an Dienstagen jeweils röstet. Man beachte die Öffnungszeiten!
Lecker, lecker: Das 2010 wieder auferstandene Vivi Kola aus Eglisau (ZH). |
Zurück in Eglisau, steuerten wir in der Untergass auf das nett gestylte Vivi Café zu, wo wir das exklusive Gebräu an einem der drei Trottoir-Tischchen die Kehlen runterfliessen liessen. Im Gegensatz zur omnipräsenten Konkurrenz ist Vivi Kola weniger süss, weniger kohlesäurenhaltig und etwas dezenter im Geschmack. Ich fand Gefallen an diesem mit viel Liebe vermarkteten Kultgetränk und empfehle den Besuch des Vivi Cafés wärmstens. Zur Produktelinie gehört auch Kaffee, den die Firma an Dienstagen jeweils röstet. Man beachte die Öffnungszeiten!
3. August 2014
21
In der Nacht setzte der Regen erneut ein. Ich lauschte dem Tropfengetrommel über mir, das mich irgendwann einlullte und in einen wirren Traum entführte: Aus dem Rocky-Tocky-Haus am Bahnhof schaute ein bärtiger Typ mit Glatze und einer Sonnenbrille im Gesicht. Er trug ein rotes T-Shirt mit dem Porträt von Ernesto «Che» Guevara. Darüber stand «Pippi» und unter dem Konterfei «Vainceur». In der rechten Hand hielt Pippi eine Banane, mit der er wild herumfuchtelte. Mit der linken Hand stützte er sich auf den Fenstersims. Aus Pippis Kehle drang unablässig die Parole: «Le train pour demain, rien pour la merde!» Auf dem Bahnhofplatz rannte eine Meute wild gewordener Hunde herum. Aus einem Robidog-Kasten wummerte dumpfer Techno. Von irgendwoher näherte sich eine Polizeisirene. Pippi skandierte jetzt nur noch «merde, merde, merde!». Statt der Polizei rückte die Feuerwehr an. Der Einsatzleiter, ein langhaariger Typ mit Tatoos an den Unterarmen, erteilte lautstark unverständliche Befehle. Nach fünf Minuten richteten die Löschtrupps ihre Wasserstrahlen auf Pippi. Die Hunde verzogen sich auf die Rückseite des Bahnhofgebäudes. Pippi verschwand vom Fenster. Die Spritzen versiegten und die Löschmänner ihrerseits skandierten nun: «Va chier, Pippi!» Aus dem Robidog erklang Beethovens fünfte Symphonie.
Der Stammbaum
Piero Bianconi: Der Stammbaum, Werner Classen, Zürich, 1971, vergriffen |
Erschütternd die Briefe, die über den Ozean hin und her gingen. Warnend und beschwörend die Berichte der Heimgekehrten, die dennoch nicht verhindern konnten, dass die Jugend weiterhin die Armut und Kargheit ihrer Dörfer floh, um das Abenteuer zu suchen.
Bianconi schreibt diese Geschichte eines Dorfes, eines Tales, einer Familie stellvertretend für viele andere Tessiner Bergdörfer und zugleich eine zeitgeschichtlich und menschlich bedeutsame Chronik, die sich wie ein Roman liest – nur dass das wahre Leben dahinter steht. (Klappentext)
TI: Valle Verzasca
1. August 2014
20
Sie kam dann doch noch auf die Bahnlinie zu sprechen. Zweimal hätten ein paar Idealisten versucht, den Betrieb wieder in die Gänge zu bringen. Vergeblich. Eines Tages seien grosse Baumaschinen angerückt und hätten die Schienen herausgerissen und auf lange Bahnwaggons verladen. Es habe ihr sehr imponiert zu sehen, wie sich die Bahn selber abtransportierte. Seither wuchere die Trasse vor sich hin. Dem Schotterbett seien schon nach kurzer Zeit wilde Pflanzen entwachsen. Die Strecke sei zu einem Strich in der Landschaft geworden, um den sich niemand mehr kümmert. Die Zwischenstationen seien alle in einem desolaten Zustand. Manchmal würden dort ausufernde Partys gefeiert. Im Bahnhofgebäude von Laurent-en-Redoute fand die Polizei einmal sogar die Leiche eines baskischen Terroristen. In den Gorges de la Chaux seien mehrere Tunnels engestürzt, wusste die etwa fünfzigjährige Frau zu berichten.
Währenddem sie erzählte reifte in meinem Gehirn ein Plan.
Währenddem sie erzählte reifte in meinem Gehirn ein Plan.
Abonnieren
Posts (Atom)