7. Juli 2014

Zunehmendes Heimweh

Die Welt, die in diesem Roman abgebildet wird, ist geographisch wie historisch eindeutig auszumachen: sie wurzelt in einer Landschaft, dem katholischen Freiamt, einem fruchtbaren Hügelland im südöstlichen Teil des schweizerischen Kantons Aargau, die wie kaum eine andere innerhalb der Grenzen der Eidgenossenschaft von Raubzügen, Unterdrückung, Religionszwist und Krieg heimgesucht worden ist.


Silvio Blatter: Zunehmendes Heimweh,
Suhrkamp, Frankfurt/Main, 1978,
vergriffen
«Zunehmendes Heimweh» wird zum sinnlichen Leitmotiv einer äusseren und gemeinsamen Geschichte von Personen, die mehr oder weniger zufällig während einer kalten Januarwoche des Jahres 1976 miteinander beziehungsreich verknüpft werden. Sieben Tage, von Sonntag bis Samstag, geht diese äussere Geschichte und erzählt von einer jungen Frau, die ihr erstes Kind erwartet, von Einsamkeit und Tod einer älteren Frau, vom Ausbruch eines Rockers aus dem Gefängnis, seiner Flucht und seiner neuerlichen Verhaftung, und von einem jungen Lehrer, der an einer historischen Arbeit schreibt.

Margrit Fischer, eine junge Frau, erwartet ihr erstes Kind und bereitet sich in Gedanken intensiv auf die unmittelbar bevorstehende Geburt vor. Dabei ertappt sie sich immer wieder, dass sie der Zukunft des noch nicht geborenen Kindes ihre eigene Vergangenheit, ihre Kindheit und Jugend beistellt. In Gesprächen mit ihrem Mann Herbert, dessen vordergründiges Lebenshziel der berufliche Aufstieg und das Weiterkommen ist, versucht Margrit ihrer Ehe eine tragende Heimat zu geben, ihn von rücksichtslosem Karrieredenken abzubringen und sich mit ihm zusammen, ohne dass einer seine Eigenständigkeit aufzugeben braucht, auf ein Leben zu Dritt einzurichten.

Anna Villiger, Margrits Tante, ist eine 62jährige, alleinstehende Frau. Sie lebt, eingeschlossen in ihre Einsamkeit, mit sehnsüchtigen Erinnerungen an ihr Elternhaus: Erinnerung wird ihr immer mehr zur Wirklichkeit, und aus solchem Erinnern wächst ein eigenständiger innerer Erzählstrang in ihre Geschichte, der die Zeit des Ersten Weltkriegs erstehen lässt. Grenzbesetzung, das heisst für den Vater Anna Villigers, einen Bauern und einfachen Soldaten, Hof und Familie zurücklassen, Wachtdienst irgendwo an der Grenze schieben, militärischer Drill und endlose Ertüchtigungsmärsche; das heisst aber auch Konfrontation mit menschlichen, mit sozialen Problemen und mit sozio-politischen Entwicklungen.

Hans Villiger, ein 30jähriger Lehrer, wohnt abseits von grösseren Ortschaften in einem alleinstehenden Bauernhaus. Hier sitzt er über einer historischen Arbeit, die den «Freiämtersturm von 1841» zum Thema hat. Hans Villiger wird, ohne dies zu wollen, zur Kontaktperson und einbezogen in die Schicksale der übrigen Romanfiguren: von ihm erwarten sie Ruhe und hoffen auf Antworten, die immer auch Lösungen ihrer Probleme sein sollen.

Lur, Pep und Anita, das sind die jungen, kaum 20jährigen Menschen, die sich mit sich selbst und der Zeit, mit der kleinbürgerlichen Gesellschaft nicht zurechtfinden können.

Was sich während sechs Tagen aufeinander zubewegt hat, findet am siebten Tag, in der Nacht von Samstag auf den Sonntag, seine Lösung. (Klappentext)

AG: Freiamt, namentlich: Bremgarten, Fischbacher Moos, Merenschwand, Muri, Murimoos, Oberentfelden, Waltenschwil, Wohlen

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