11. April 2014

Stimmen aus dem Onsernone

Stef Stauffer: Steile Welt, Lokwort,
Bern, 2012
Etliche Wege bin ich schon gegangen in diesem Onsernonetal. Schmale Pfade in steilen Flanken, Steinplattenwege und Teile des alten Saumpfades aus der Zeit, bevor die Talstrasse gebaut wurde. Und selbst auf dieser Talstrasse bin ich lange Abschnitte gewandert, habe all die unzähligen Kurven durchmessen, stets hart am Abgrund. Die wilde Schönheit der Talschaft lässt im Touristen vorschnell romantisierende Gefühle aufkommen. Dabei kämpft die Region seit Jahrhunderten ums wirtschaftliche und ökologische Überleben.

Dieser Tatsache ist die 1965 geborene Bernerin Stef Stauffer vor Ort nachgegangen und hat mit Einheimischen und Zugewanderten gesprochen. Entstanden ist Steile Welt, ein feinfühliges Buch in poetisch anmutender Sprache. Zu Wort kommen Menschen, meist ältere Männer und Frauen. Sie erzählen von früher, aus ihrer Kindheit und Jugend. Sie vergleichen das Damals mit dem Jetzt, berichten von der Schule, vom Verliebtsein, von der Landwirtschaft, der Strohflechterei, über die Gefährlichkeit der Wege. Und immer wieder ist der Tod ein Thema. Kindstod, Muttertod, Unfalltod, aber nie der Hungertod, wenn auch der Speisezettel bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts alles andere als abwechslungsreich und ergiebig  war. Es erzählt ein junger Mann, im Onsernone aufgewachsen und dort immer noch wohnhaft, weshalb er im Tal wohnhaft geblieben ist und dafür die nicht ungefährliche Strasse als Arbeitsweg in Kauf nimmt. Spannend auch, was der Postautochauffeur zu berichten weiss. Er, der beruflich mehrmals täglich das Tal hoch und wieder runter fährt. Eingeflochten in die Aussagen der Onsernonesi sind die subtilen Beobachtungen der Autorin, die so den Leser ein wenig die Sicht der Geschichtenforscherin einnehmen lassen.

Alles in allem ein sehr zu empfehlendes Buch, sei man nun Tessin-Liebhaber, vermeintlicher Onsernone-Kenner oder generell am Leben von einst und jetzt interessiert.

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