|
Andreas Altmann: 34 Tage/33 Nächte,
Von Paris nach Berlin zu Fuss und ohne
Geld, Frederking & Thaler, München,
2004, neu aufgelegt bei Piper, München |
Betteln hat immer etwas Zwiespältiges. Als Schnorrer offenbare ich mich als ein menschliches Exemplar der minderen Sorte, als Angebettelter weiss ich nie so recht, ob ich Mitleid haben und etwas geben soll, oder ob ich doch nicht einem Lügner aufsitze und mich übers Ohr hauen lasse. Besonders heikel wird es, wenn einer die Bettelei im Sinne eines Projektes ausführt, nur um zu sehen, wie die Menschen reagieren, und, wir ahnen es, darüber ein Buch zu schreiben. Nun, Andreas Altmann, um den es hier geht, hat sich zusätzlich das Ziel gesteckt, von Paris nach Berlin ausschliesslich zu Fuss zu gehen, was die Sache zwar sympathischer macht, aber nicht unbedingt sympathisch genug. Unklar ist jedoch, wen die grössere Schuld an diesem sehr süffig und mit viel Ironie geschriebenem Reisebericht trifft: Den Verlag, der Altmann vertraglich an sich gebunden hat, oder den Autor selber, der sich auf ein derartiges Abenteuer einlässt?
So lernt man zwar während der Lektüre unzählige spendable und geizige Franzosen, Luxemburger, Wessis und Ossis kennen, aber das zwiespältige Gefühl dieser Unternehmung wird man nicht los, denn unser Protagonist muss zwangsläufig jeden, den er anpumpt anlügen, um überhaupt an etwas Ess,- Trink- oder, im wahrsten Sinne des Wortes, Bares zu kommen. Für einmal stimmt die Weisheit «Lügen haben kurze Beine» nicht, ganz im Gegenteil, denn wer würde einem Bettler etwas spendieren, der erklärt, dass ihn ein Verleger dafür bezahlt, zu Fuss und ohne Geld über 1200 Kilometer durch Mitteleuropa zu wandern und darüber zu berichten?
Bei allem Hinterfragen und Zweifeln sei bemerkt, dass die körperliche und mentale Leistung des Autors nicht zu unterschätzen ist, denn oftmals hungernd und nur mit dem bisschen erbettelten Geld meist auf asphaltierten Strassen mit mehr oder weniger gefährlichem Verkehr zu gehen, ist nicht ohne. Hinzu kommen ungemütliche Biwaknächte an allen möglichen und unmöglichen Orten, von den Obdachlosenheimen in grösseren Ortschaften nicht zu sprechen. Besonders erwähnenswert ist, dass Altmann, der das Abenteuer 2003 unter die Füsse nahm, mit keinem Wort über irgendwelche Handytelefonate berichtet, vielmehr nimmt er sich die Mühe, an kostenlosen Internetzugängen seinen elektronischen Briefkasten zu leeren und auch mal seiner Freundin ein Lebenszeichen zukommen zu lassen.
Was indes wiederum zu denken gibt sind Altmanns Hosen. Betrachtet man die Farbfotos in der Buchmitte genauer, so fällt auf, dass unser Bettelwanderer stets saubere und kaum abgewetzte Hosen trägt. Kann das sein? Einer, der durch den Wald geht, am Strassenrand und bei Regen unterwegs ist, kriegt doch auch mal eine Portion Dreck ab. Von seiner Ankunft in Berlin schreibt Altmann, dass er mehrmals auf seine übel riechende Ausdünstung angesprochen wird, so zum Beispiel von einem Schaffner an einer Tramhaltestelle: «Halten Sie Abstand, Sie verpesten ja die Gegend!» Wie kann da jemand noch saubere Hosen haben?