28. Februar 2017

Auf den Spuren meiner selbst mit viel Neuland

Die 7. Etappe entlang der Koordinate 574 führte mich neulich von Murten nach Matran. Auf den ersten gut zwei Kilometern ging ich jene Strecke, auf der ich im Juni 2015 mit Sabine Dahinden vom Fernsehen SRF und einem Kamerateam unterwegs war. Wir drehten dabei einen Nachmittag lang zum Thema Fussgänger Moor und die A1.

An der Autobahn angelangt, verabschiedete ich mich von der Vergangenheit und beschritt jungfräuliches Wandergelände. Es ging quer durch die freiburgische Pampa, einzig unterbrochen von der bernischen Exklave Clavaleyres. Daselbst wehte mir der Duft von frisch geröstetem Kaffee aus der Nespresso-Fabrik in Avenches entgegen und vermengte sich mit dem penetranten Gestank von Jauche und «gezettetem» Mist. Es folgten Gemeinden mit klangvollen Namen wie Meyriez, Courgevaux, Courlevon, Wallenried (ja, ich ging mitten durch den Röstigraben), Misery-Courtion, La Sonnaz, Belfaux und Corminboeuf. Auch hier, in der einst durch und durch landwirtschaftlich geprägten Gegend, schiessen die Einfamilienhaussiedlungen wie Pilze aus dem Boden. Kein Wunder weist der Kanton Freiburg schweizweit die höchsten Zuwachsraten an Einwohnern auf. An jedem noch betriebenen Bauernhof bekläffte mich mindestens ein Hund. Aus vielen Karrwegen sind in den letzten Jahren betonierte Strässchen geworden, was meine Füsse und auch ein wenig der Rücken unliebsam zu spüren bekamen. Dafür sind freistehende Bäume oder Hecken zunehmend Mangelware. Es ist fürwahr bedenklich, wie sich das schweizerische Mittelland unvermindert weiter zubaut. 

Immerhin war mir in der sanft gewellten Topografie eine ungehinderte Sicht zum Jura hin und in die Berner und Freiburger Voralpen gegönnt. Die Fortsetzung meines Unternehmens zeigte sich kurz vor Matran als breites Tal zwischen La Berra und Moléson. Ich freue mich, in dieses Greyerzerland einzutauchen, dem Lac de Gruyère zu folgen und nach Überquerung einiger steiler Bergflanken im waadtländischen Pays d'en Haut mit dem Col des Mosses die Fortsetzung zu finden. 

Murten–Matran entlang der Koordinate 574 (Bildmitte). Grün die Begrenzung des Wanderkoridors.



27. Februar 2017

Wandern im Geiste eines Phantasten

Manfred Hummel: Wege zum Märchenkönig,
Verlag Berg & Tal, München, 2011
Was hatten die Bayern, was wir Schweizer nie hatten? – Könige! Und wenn einer aus der royalen Dynastie der Wittelsbacher hervor sticht, dann König Ludwig II. Man nennt ihn auch den Märchenkönig, weil er unter anderem das legendäre Schloss Neuschwanstein bauen liess. Ludwig liebte die Einsamkeit und war ein grosser Naturfreund. Bereits als Kind lernte er das Gebirge kennen und lieben. Von seinem Vater Maximilian II. übernahm er junge König mehr als 19 Jagd- und Berghütten. Sie wurden für ihn zum Zufluchtsort. Auch seine berühmten Schlösser standen in engem Bezug zu den geliebten bayerischen Bergen. Der im Münchner Verlag Berg & Tal erschienene Wanderführer «Wege zum Märchenkönig» folgt den Wegen, die der Monarch einst beschritt. Dazu zitiert das Buch Bemerkungen des Königs und Berichte von Zeitgenossen. 35 genau beschriebene Touren geben Auskunft über Einkehrtipps, An- und Rückreise, Varianten, Öffnungszeiten etc.

Als einer, dem Bayernlande bislang fern Gebliebener, frage ich mich, was die dortige Tourismusindustrie ohne den mitunter wahnwitzigen König machen würde. Alleine die Besucherzahlen von Schloss Neuschwanstein imponieren: Insgesamt 1,3 Millionen Touristen wollen das Schloss jedes Jahr sehen. Im August erreicht die Besucherspitze 7500 Personen an einem einzigen Tag! Und im Januar kommen bei schlechtem Wetter immerhin noch 500 Schaulustige. Als Aussenstehender lässt sich nur erahnen, was dies für die Schlossbetreiber bedeutet. Allein schon die Toilettenreinigung ...

PS. Selbstverständlich hatten und haben auch wir Schweizer Könige: Dorfkönige, Schwingerkönige, Schützenkönige, Lottokönige, Jasskönige, etc. Nur, mögen die dem Wittelsbacher das Wasser reichen?

26. Februar 2017

Neulich in 6343

Rotkreuz (ZG), wo im reichsten Kanton der Schweiz selbst die Fische (hier speziell reserviert für den Barsch) über eigene Parkplätze verfügen.

25. Februar 2017

Horriwil, Hüniken, Deitingen und ein Findling

Kompliziert-verwinkelte Route gestern von Utzenstorf (BE) nach Deitingen (SO). Ich widmete mich nach der nächtlichen Windorgie drei bislang noch unbegangenen Gemeinden im Kanton Solothurn. Der Temperatursturz von 15 Grad innert weniger als 12 Stunden machte mir zu schaffen, zumal zeitweise ein unangenehmer West blies. Horriwil, Hüniken und Deitingen fügten sich also in meine Liste der begangenen Gemeinden ein. Von den insgesamt 2395 Kommunen (Stand 31.12.2012) warten noch 442 auf meinen pedestrischen Besuch.

Mein Gang durch das sogenannte Wasseramt war arm an Höhepunkten. Das flache Land ist geprägt von ehemaligen Bauerndörfern, die heute zu Agglomerationsgemeinden Solothurns verkommen sind. Mitten hindurch führt die Autobahn A1. Dementsprechend geräuschvoll geht es dies- und jenseits der stark frequentierten Haupttransversale zu und her. In jedem Dorf stehen, wie für das gesamte Mittelland mittlerweile typisch, Einfamilienhaussiedlungen zuhauf. Schlafgemeinde reiht sich an Schlafgemeinde, es ist ein Jammer.

Es brauchte indes ein Mitbringsel des Rhonegletschers, das meine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken vermochte. Im Wald östlich von Subingen, einer Stelle mit dem schönen Namen «Erdberi Ischlag» liegt in einer Mulde die Steinflue. Der markante Findling besteht aus Hornblendegneis und musste ausgegraben werden, damit die ungefähre Grösse des Steins überhaupt sichtbar wurde. Ich gehe davon aus, dass der «Chemp» aus einem Seitental des Rhonetals stammt.


Der Standort der Steinflue, wo sie der Rhonegletscher vor rund 20.000 Jahren deponiert hat

24. Februar 2017

Liebesarchiv

Urs Faes: Liebesarchiv, Suhrkamp,
Frankfurt, 2007
«In Urs Faes’ Prosa glüht die Liebe dunkel und melancholisch wie bei einem García Márquez. Ein Roman voller Schönheit und Trauer.» So urteilte Der Spiegel über die Geschichte eines Mannes, der sich auf Spurensuche begibt und dabei nicht nur seinen Vater neu für sich entdeckt – sondern auch dessen grosse Liebe.

Ein Foto und eine Telefonnummer sind alles, was Thomas von der alten Dame erhält, die ihm in einer Kleinstadt am Rhein begegnet. Zunächst voller Unwillen, dann mit wachsender Faszination beginnt er dem Vergangenen nachzugehen, dem Sommer des Jahres 1954, in dem der Vater für mehrere Monate verschwunden war. (Klappentext)

AG: Suhretal SO: Mariastein, Rotburg

23. Februar 2017

Bääääh auf der Kantonsgrenze

Die fünfte Etappe auf meinem Weg rund um den Kanton Zug führte mich von Mühlau (AG) nach Meierskappel (LU). Gut drei Stunden ging ich der Reuss entlang, ehe ich von der doch ziemlich monotonen Strecke – die Kantonsgrenze verläuft in der Flussmitte – zum Rooterberg abschwenkte, wo sich der Grenzverlauf ziemlich kompliziert durch die meist bewaldete Hügellandschaft zieht. Nach der ersten Waldpartie erreichte ich offenes Gelände. Auf der weitläufigen Weide stiess ich auf eine stattliche Schafherde. Ein Tier hatte sich ganz offensichtlich von seinen Genossinnen abgesondert und lag ziemlich leblos am Boden. Erst als ich auf wenige Meter an das Schaf herangekommen war, sah ich den Grund: Vor wenigen Minuten hatte die Schafdame Nachwuchs zur Welt gebracht. Dieser lag ebenso leblos, aber gut sichtbar atmend, zwei Meter neben seiner Mutter. Unweit davon, in blutigem Rot, die Nachgeburt. Dass sich die Geburt mitten auf der Kantonsgrenze Luzern–Zug ereignet hatte, fand ich bemerkenswert und war eindeutig mein Glanzlicht des Tages.

Sie hob nur kurz den Kopf für den Fotografen, ...

... derweil die Herde über dem Industriemoloch Rotkreuz (ZG) friedlich am Grasen war. Oben rechts der Zugersee.

22. Februar 2017

Nach Santiago – wohin sonst?

Peter Lindenthal: Nach Santiago – wohin
sonst!
Tyrolia, Innsbruck + Wien, 2002 
Peter Lindenthal ist seit seiner ersten Pilgerfahrt nach Santiago im Bann des Jakobsweges. Er wählte die südlichste der vier grossen Routen, die «Via Tolosana» von Arles über Toulouse und den Col de Somport nach Puente la Reina jenseits der Pyrenäen, wo sich die Jakobswege vereinen.

Nach den ersten Tagen in angenehmer Frühlingssonne holt Lindenthal der Winter ein mit Regen und Schnee, ungeheizten Unterkünften und verschlammten Böden. Nach Wochen einsamer Pilgerschaft – aber stets herzlich aufgenommen von der hilfsbereiten einheimischen Bevölkerung – trifft er in Puente la Reina auf andere Jakobspilger. Der Weg durch den Norden Spaniens verspricht Geselligkeit in den Pilgerherbergen, doch da erkrankt Ajiz, der vierbeinige Begleiter des Autors, schwer. An ein Weiterwandern kann vorerst nicht gedacht werden.

Der spannende Pilgerbericht des österreichischen Jakobsweg-Pioniers mit vielen interessanten Hintergrundinformationen. (Inhaltsangabe zum Buch)

21. Februar 2017

In memoriam J.V. Widmann

Schöne Rezension auf www.bergliteratur.ch von Daniel Anker. Es geht um die Neuerscheinung «Du schöne Welt» von Josef Viktor Widmann, der gestern vor 175 Jahren das Licht der Welt erblickte.

Screenshot der Website www.bergliteratur.ch vom 20. Januar 2017

20. Februar 2017

Eines Wanderers Motto

Auf den Bergen wohnt die Freiheit;
Auf den Bergen thront das Licht!
Menschenbrust wird leichter droben,
Was sie drückte, fühlt sie nicht.
Hin drum zu den blauen Höhen,
Wo die frischen Lüfte wehen;
Fern die Erdmisere du,
Und der Sternenhimmel nah!

Aus: Wilhelm Blumenhagen, Wanderung durch den Harz, 1838

18. Februar 2017

Über die Berge zu mir

Rudolf Wötzel: Über die Berge zu mir
selbst,
Integral, München, 2009
März 2007. Die internationalen Finanzmärkte sind in glänzender Verfassung. Rudolf Wötzel, Deutschlandchef der Sektion Mergers & Acquisitions bei der globalen Investmentbank Lehman Brothers, nimmt aus freien Stücken seinen Hut. Sein Grund: Sinnkrise, Burnout, Zweifel am System. Seine Absicht: die Hochgebirgs-Kämme der Alpen zu Fuss zu überqueren, von Salzburg bis Nizza. 
Ein Mensch, der das durchhält, ist ein Leistungsjunkie. Aber auch einer, der auf der Suche nach sich selbst ist. Ein Bergpilger. Ein Mensch, der in unendlich vielen Stunden der Einsamkeit seine persönlichen Prägungen und seine schillernde Vergangenheit verarbeitet. Der durch intensive Begegnung mit der wilden Natur und mit den Menschen der Berge endlich zu sich selbst findet.

Die packende Geschichte einer radikalen Neuorientierung – vom Abenteuer, alles hinter sich zu lassen und ein neues Leben zu beginnen. (Klappentext)

15. Februar 2017

Nimm nur mit, was du tragen kannst

Achill Moser: Nimm nur mit, was du
tragen kannst,
Hoffmann und Campe,
Hamburg, 2008
Auf einer Strecke von 250 Kilometern hat Achill Moser einen alten Weg neu entdeckt. Er durchstreift bekannte und fast vergessene Regionen, erzählt von magischen Orten, grandiosen Landschaften und trifft auch die Gespenster der jüngsten deutschen Vergangenheit, als Stacheldraht und Mauerwerk Deutschland in zwei Teile trennte.

Im Herbst 1824 unternahm Heinrich Heine eine grosse Wanderung durch den Harz, die zur Niederschrift seiner berühmten Harzreise führte, jenes humoristischen Büchleins, in dem er sich an der Schönheit der Natur berauschte und über die Engstirnigkeit der bürgerlichen Welt amüsierte. Achill Moser ist Heines Harzroute nachgegangen, zusammen mit seinem fünfzehnjährigen Sohn. Vier Wochen tauchte er ein in das Land der Wälder und Moore, Burgen und Hexen. Von Göttingen über den Brocken und Wernigerode bis zur Burg Falkenstein. Ein Reise-Essay, der auch Entdeckungsreise, literarische Spurensuche sowie liebevolles Porträt eines grossen Dichters ist - und ein Wegweiser aus der Schnelllebigkeit unserer Zeit. Das Buch enthält alle Stationen der Heine-Wanderung von 1824: Nur wo man zu Fuss war, war man wirklich. (Klappentexte)

Eine lehrreiche Lektüre, nicht nur für Heine-Fans. Moser verwebt gekonnt Hein'sches Schreibgut mit dem auf der Wanderung selbst Erlebten. Die Landschaftsbeschreibungen über den Harz erwecken die Lust, das einst geteilte Mittelgebirge auf eigene Faust zu entdecken. Zu Fuss, versteht sich!

14. Februar 2017

Am Tiefpunkt

Vergangenen Sonntag widmete ich mich zum vierten Mal dem Verlauf der zugerischen Kantonsgrenze. Ich startete nördlich von Baar, nahe dem Zürcher Dorf Uerzlikon und hielt westwärts, bis ich plötzlich an der Lorze stand. Dieser nach Norden folgend, gelangte ich ans Nordkap des Kantons Zug, an den nördlichsten Punkt des reichsten Kantons der Schweiz. Hier, wo Lorze und Reuss sich vereinigen, war ich am tiefsten Punkt des Zugerlandes angelangt. Gleichzeitig war es aber auch ein Höhepunkt, denn die als Rüssspitz bezeichnete Landzunge ist wunderschönes Riedland, das den Zugern eine fürwahr notwendige Grünfläche beschert, wo strikte Verhaltensregeln gelten. Und so sieht es an diesem Northern Top of Zug aus:

Links die Reuss und rechts die einmündende Lorze. In der Bildmitte das Dreiländereck Aargau, Zürich, Zug.

13. Februar 2017

Neues aus der Edition Wanderwerk

Josef Viktor Widmann: Du schöne Welt,
Edition Wanderwerk, 2017
Am 20. Februar 2017 jährt sich zum 175. Mal der Geburtstag des Schweizer Reiseschriftstellers, Dichters und Journalisten Josef Viktor Widmann. Die Edition Wanderwerk nimmt diesen Umstand zum Anlass, das kommende Jahr zum Josef Viktor Widmann-Jahr zu proklamieren und drei Werke seines umfangreichen Schaffens neu herauszugeben.

Den Anfang macht «Du schöne Welt – Wanderungen und Reisen in Italien und der Schweiz», beinhaltend sämtliche Texte der 1. und 2. Auflage sowie Ergänzungen des Herausgebers. Das Buch ist ab sofort bei der Edition Wanderwerk erhältlich. Im Sommer wird die amüsante Erzählung «Wilds Hochzeitsreise» veröffentlicht und im Herbst «Rektor Müslins italienische Reise».

12. Februar 2017

München – Paris im Winter

Werner Herzog: Vom Gehen im Eis,
Carl Hanser Verlag, München/Wien, 1978,
erhältlich im Fischer Verlag, Frankfurkt
Ein Anruf aus Paris im Winter 1974, Lotte Eisner, die grosse Historikerin des deutschen Stummfilms liege im Sterben: Werner Herzog macht sich auf den geradestmöglichen Weg zu Fuss von München nach Paris, mit leichtem Gepäck und einem Notizbuch, in dem er seine Reise festhält. Was zunächst wie ein exzentrischer Spaziergang anmutet, entwickelt sich im Spiegel dieses Logbuches zu einer Reise, in der die Details der Landschaft und der Menschen, die dort leben, exakt beobachtet und nachgezeichnet werden.

Werner Herzog wurde als Werner H. Stipetic am 5.9.1942 in München geboren, wuchs in einem abgelegenen Dorf in Bayern auf. Als Kind kannte er weder Film, Fernsehen oder Telefon. Mit 14 begann er zu Reisen, telefonierte zum ersten Mal mit 17. Während des Studiums arbeitete er als Schweisser, um seinen ersten Film zu produzieren, was ihm mit 19 gelang. Seitdem hat er mehr als 40 Filme gedreht, produziert oder in ihnen mitgespielt. Daneben inszenierte er Opern und veröffentlichte mehr als 12 Bücher.

11. Februar 2017

Von Herford nach Berlin

Arthur Groh: 400 Kilometer zu Fuss von
Herford nach Berlin, Frieling, Berlin, 1998
Ein rüstiger Rentner macht sich im Herbst 1990 zu Fuss auf den Weg von Herford nach Berlin und erlebt als Höhepunkt und Abschluss seiner Wanderung das Freudenfest zum Tag der Deutschen Einheit. Mit seiner Reise auf Schusters Rappen löst er ein Versprechen ein, dass er sich 1948 gab, als er nur unter Lebensgefahr die damalige Zonengrenze überwinden und in seine Geburtsstadt gelangen konnte. «Zu Fuss von Herford nach Berlin» ist der bebilderte und mit Anekdoten gewürzte Bericht eines laufbegeisterten Mannes, der sich seinen grossen Traum erfüllt hat.

Artur Groh, 1913 in Berlin geboren, war als Bäcker, Briefträger und technischer Zeichner tätig. Seit 1959 lebte er in Herford und widmete sich in seiner Freizeit dem Wandern und der Schriftstellerei.

10. Februar 2017

Das gefrorene Meer

Judith Giovanelli-Blocher: Das gefrorene
Meer, Pendo, Zürich, 1999 (vergriffen)
Lore wächst mit zehn Geschwistern in einem Pfarrhaus auf. In leuchtenden Farben wird ihre Welt beschrieben. In bester Absicht werden die Kinder zu einem gottgefälligen Leben und zum Dienst am Nächsten erzogen. Doch Lore hat Fragen und entdeckt Widersprüche. Die Elter tragen selbst schwer an der Strenge. Der Vater ringt mit Zweifeln, die arbeitsame Mutter bricht für Stunden aus, um sich dann wieder klaglos in den Dienst der Familie und Gemeinde zu stellen. Doch gerade diese Risse ermöglichen Momente von grosser Vertrautheit, und die intensiven Kinderspiele sind für die Kinder eine rettende Insel.

So, wie die Füsse die normale Gangart verweigern und mit festgeschnürten Riemen in die richtige Position gebracht werden müssen, so widerspenstig gebärdet sich Lore. Immer wieder tut sie Unterlaubtes, um zu prüfen, ob Gott wirklich alles sieht. Manchmal zögernd, manchmal fest entschlossen sucht sie ihren Weg.

«Das gefrorene Meer» ist ein Buch von ungewöhnlicher Intensität, und die eigenwilligen Bilder, mit denen Lores Erleben geschildert wird, sind von faszinierender Kraft.

ZH: Laufen, Rhein, Uhwiesen, SH: Neuhausen AI: Alpstein

9. Februar 2017

Dem Zeitgeist verfallen

Paulo Coelho: Auf dem Jakobsweg,
Diogenes, Zürich, 1999
So sehr ich den Diogenes Verlag schätze, mit diesem Paulo Coelho kann ich weder hinten noch vorne etwas anfangen. Sein Buch «Auf dem Jakobsweg» erliegt denn gleich einem doppelten Zeitgeist: 1. Der vermeintlichen Wiederentdeckung dieser Pilgerroute, die mittlerweile zum modischen Wanderziel für jedermann verkommen ist. Und 2. dem esoterischen Gehabe einer Welt, die sich besser an der Realität orientiert als an der Beliebigkeit des Unsichtbaren. Mehr habe ich aus meiner Warte zu diesem Bericht nicht zu sagen. (Es spricht der Agnostiker.)

8. Februar 2017

Bis bald

Markus Werner: Bis bald, dtv, München,
1992, heute im Fischer Taschenbuchverlag
erhältlich
Am hellen Himmel des Denkmalpflegers Lorenz Hatt geht plötzlich ein Unstern auf. Der zwingt ihn, als Gefesselter zu leben. Hatt sitzt und hofft und wartet auf die Rettung. Und sässe nicht an manchen Tagen ein stiller Gast bei ihm, so wäre seine Zeit noch trüber. Ihm nämlich erstattet Hatt Bericht und macht dabei aus seinem Herzen keine Mördergrube. Wer zuhört, spürt, dass hier von uns die Rede ist, von unserem Warten, unserem Hinken, von Weltsucht, Lebensdrang und Atemnot. So begleiten wir ihn bis zu einem Ende, das wir nicht ahnen wollten. (Inhaltsangabe zum Buch)

GR: Seewis (Reha-Klinik) D: Lübeck FIN: Finnland TN: Tunesien

7. Februar 2017

Eine literarische Entdeckung

Werner von der Schulenburg: Artemis
und Ruth, Piper, München, 1947
Seit der Publikation des Literaturwanderführers «Das Klappern der Zoccoli» (Rotpunktverlag) führe ich eine Liste mit Romanen und Erzählungen, die gänzlich oder teilweise im Tessin angesiedelt sind. Neulich habe ich das Verzeichnis wieder hervor geholt und mich im Web auf die Suche nach längst vergriffenen Werken gemacht. Hierbei erstand ich unter anderen drei Büchlein eines gewissen Werner von der Schulenburg (1881–1958). Allein seine Biografie ist bemerkenswert. Meine erste Lektüre galt der Erzählung «Artemis und Ruth». Und ich war begeistert! Von Schulenburg verstand es, den Plot so zu konstruieren, den den Leser von Anbeginn nicht mehr loslässt. Und die Sprache! Schnörkellos und präzise. Schade ist diesem Schriftsteller kein nachhaltiger Ruhm beschieden. Seine Werke dümpeln heute in irgendwelchen Antiquariaten herum. Nun denn: Ich freue mich auf das Lesen der zwei anstehenden Geschichten «Briefe vom Roccolo» und «Tre Fontane». Und sollten sich diese ebenfalls als Leckerbissen herausstellen, werde ich mir weitere von Schulenburgs geistig einverleiben.

Interessantes Detail am Rande: Die Erzählung entstand am Tegernsee (Bayern) in der Zeit vom 23.3. bis zum 25.5.1945, also in den letzten Tagen des 2. Weltkriegs. Veröffentlicht wurde das Taschenbuch 1947. Im Impressum liest sich kleingedruckt: «Military Government Information Control License Nr. US-E-125».

TI: Lugano, Muzzano (Hauptschauplatz), Tesserete I: Venedig, Brescia

5. Februar 2017

Der Gehülfe

Robert Walser: Der Gehülfe, Bertelsmann
Lesering, 1955. Das Buch ist erhältlich im
Suhrkamp Verlag, Frankfurt
Ein halbes Jahrhundert ist vergangen, seit Robert Walser in Berlin nach zigeunerhaften Jugenderlebnissen diesen Roman geschrieben hat. Inzwischen haben ungeheure Stürme die Welt und die menschliche Gesellschaft erschüttert. Aber noch immer strahlt von dieser Prosaschöpfung, die ihr Verfasser als eine Darstellung des schweizerischen Alltagslebens aufgefasst haben möchte, der zeitlose Zauber eines Meisterwerkes aus. Es besteht aus einer nur Walser eigenen Mischung von nüchterner Rücksichtslosigkeit und sublimer Zartheit, von geistreichem Humor und dunkel beschattetem Ernst, durch den in unvergesslichen Farben und Nuancen der auch von Klopstock und Goethe besungene Zürichsee glitzert.

Thematisch mag der «Gehülfe» als die Geschichte des Zerfalls einer bürgerlichen Familie und eines geschäftlichen Unternehmens gelten, wobei sich der Dichter in der Figur des Gehilfen ironisch selbst porträtiert. Aber dahinter verbirgt sich der Mensch von gestern, heute und morgen in seiner ganzen Schäbigkeit, doch auch Möglichkeit zum Grossen, Schönen – erkannt, mitgelitten und belacht von einem Sprachkünstler, der überall dort, wo er sein Auge und Herz hinwendet, neue Entdeckungen in der Arktis der Wahrheit macht. (Klappentext)

ZH: Wädenswil (v.a. Villa Abendstern an der Bürglistrasse 37)

4. Februar 2017

Spezielle Rast dank Wetterkapriolen

Mein Erstaunen war gross, als sich immerhin sechs Leute zu einer Wanderung anmeldeten, die im unteren Emmental bei angesagtem Regen, Schnee und starkem Westwind über die Bühne gehen sollte. Der aufgebrachte Mut, die Überwindung des inneren Schweinehundes und die in Kauf genommenen Strapazen haben sich durchaus gelohnt, wie ich resümierend feststellen darf.

Wir gingen von Grünenmatt durch Gotthelf'sches Literatur-Territorium am Schloss Trachselwald vorbei in den Heimisbach, dem von Simon Gfeller, der nebst Rudolf von Tavel zur Haute Volée der Berner Mundartdichterszene gehört, mit seinem gleichnamigen Roman ein Denkmal gesetzt worden ist. Eine Stunde nach Wanderstart setzte feiner Schneefall ein, der bald in groben Nassschnee über ging. Wie wir aus dem Heimisbach auf einen Hügelzug aufstiegen, kamen die angekündigten Windböen herangebraust. Und Nassschnee wurde zu Regen. Gruusig!




Zufälligerweise erfuhr ich wenige Tage vor dieser Wanderung, dass unsere Route am Haus von eben diesem Simon Gfeller vorbeiführen würde, der daselbst geboren wurde und seine Kindes- und Jugendjahre verbracht hat. Als wir auf dem Zugut, so der Name des Hofes, anlangten, schien die Sonne. Weil eine Rast anstand, suchten wir Schutz vor dem Wind und fanden ihn beim gedeckten Hofbrunnen. Da öffnete sich die Haustür und eine Frau bat uns, doch in den Schopf zu gehen, dort habe es einen Tisch und Bänke. Und so kam es, dass wir bei der Grossnichte von Simon Gfeller, am Schärme pausieren konnten. Schöni Gschicht!

Auf dem Hof Zugut wuchs der Mundartdichter Simon Gfeller auf



Bei Sonne gingen wir weiter und umrundeten den oberen Talabschluss des Heimisbachs. Von Westen zog eine neue Wolkenfront heran, die uns nicht etwa neues Schneegestöber brachte: Es begann zu nebeln. Die Sicht schränkte sich zeitweise auf gut 100 Meter ein. Was für ein Wetterkino! Dass wir dann wenige Minuten vor unserem Ziel Sumiswald bei einem Hof über eine Baustelle gehen mussten, hätte nicht sein müssen. Bis dahin waren nämlich unsere Schuhe sauber geblieben. Hernach sahen sie aus, als wären wir zwei Wochen durch die schlimmsten Sümpfe Sibiriens gegangen. Dazu passte, dass im Sternen gerade kein Wasser verfügbar war. Ich gehe jedoch davon aus, dass in der Zwischenzeit der Gaststubenboden von unserem Dreck befreit worden ist.

1. Februar 2017

Klo des Monats


Nein, für einmal keine Schüssel und kein Pissoir. Oben stehende Anleitung entdeckte mein Wanderkumpel T. im Örtchen eines fahrenden Zuges der Zentralbahn. Auf die Idee, während der Fahrt auf eine Klobrille zu stehen, um sein Geschäft zu verrichten, muss erst einer kommen. Bleibt zu hoffen, dass das Verbot keine schlafenden Hunde weckt ...