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Ernst Halter: Urwil (AG), Artemis,
Zürich, 1975 (vergriffen) |
Urwil, irgendwo im aargauischen Mittelland, einst Bauerndorf, heute von Industriebauten und Wohnblöcken geprägt, der Dorfbach brav in seiner Zementröhre fliessend: scheinbar ein durchschnittlicher Ort – Schauplatz dieses Buches. Urwils Bewohner: sie würden so durchschnittlich wie ihr Dorf wirken, beobachtete man sie nur von aussen. Der Autor ernst Halter (* 1938) aber bildet nicht bloss ab, sondern er durchleutet seine Menschen, schlüpft gewissermassen in ihre Haut, schaut mit ihren Augen, erlebt mit ihren Sinnen, teilt ihre Ängste und Lüste: er wird Zeuge von Geburt und Sterben, beobachtet ein Verbrechen und seine Aufklärung. Aus einem harmlosen Dorf mit harmlosen Leuten wird, so erlebt, ein mächtiges Stück Welt. Wie viele Möglichkeiten menschlicher Existenzformen werden in Urwil gelebt: da ist der in heiterer Dumpfheit vegetierende Landstreicher und Mauser Mispelhahn, der im Wald die grosse Entdeckung macht, welche die Polizei auf den Rothänsel Bolli, seine Tochter Brige und ihren Freund, den Mittelschüler Roman Clavadetscher, aufmerksam werden lässt; oder das Pfarrerehepaar Lüthi, dem beim gemeinsamen Abwasch zuzuschauen ergötzliche ist; da sind die Lehrer um ihren amtsältesten Kollegen Berner, der – ebenso wie Gemeindepräsident Steiner – beschlagen ist in den Methoden biedermännisch verkleideten Terrors; da ist der Musiker Bert May, Herr im Schloss Roosegg; da sind die Klatschbasen des Dorfes, die Arbeiter aus den Betrieben von Urwil, oder Vre, die Kellnerin aus der unnachahmlich gezeichneten Wirtschaft …
Ernst Halter spricht eines jeden Sprache, beobachtet mit Präzision und nie nachlassender Intensität des Erlebens und beweist beim scharfsichtigen wie mitleidenden Blick auf Oberflächen und in Tiefenschichten menschlichen Daseins eine Kunst, die seinem Buch einen festen Platz in der deutschschweizerischen Romanliteratur sicher.
AG: Fiktives Dorf im Aargauer Mittelland
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