30. Mai 2015

Wursthimmel

Paul Lascaux: Wursthimmel, Gmeiner,
Messkirch, 2008
Bern, im Sommer. Der Detektiv Heinrich Müller und seine Partnerin Nicole Himmel werden zu einem Grillfest des Künstlers F. K. Swiss eingeladen. Auf der Party wird ein surreales Kunstobjekt vorgestellt, das als Bratwurstgrill dient. Zur Gaudi des Publikums findet außerdem die Wahl einer Wurstkönigin statt. Als Müller die Siegerin abholen will, findet er sie erstochen in einem Schrebergartenhäuschen. Am nächsten Morgen entdeckt die Polizei eine zweite Leiche: den Vertriebschef einer Großmetzgerei. Es beginnen hektische Ermittlungen, an denen neben der Polizei auch die Detektei Müller & Himmel beteiligt ist. Eine heiße Spur führt die beiden Detektive in die dubiose Singleagentur «Happy Future» ... (Klappentext)

BE: Stadt Bern, namentlich Marzilibahn, Käfigturm, Matte, Kleine Schanze, Gerechtigkeitsgasse, Kunsthistorisches Museum, Wabern (Gemeinde Köniz)


28. Mai 2015

Wandern macht verdächtig

Karl Philipp Moritz: Reisen eines
Deutschen in England,
Insel Verlag,
Frankfurt/Leipzig, 2000
«Ein Fussgänger scheint hier ein Wundertier zu sein, das von jedermann, der ihm begegnet, angestaunt, bedauert, in Verdacht gehalten und geflohen wird, wenigstens ist es mir auf meinem Wege von Richmond bis Windsor so gegangen», schrieb Karl Philipp Moritz am 13. Juni 1782 in sein Reisetagebuch. Über 200 Jahre später haben sich die Verdachtsmomente gegenüber dem Fussgänger nicht grundlegend verändert. Man lese zum Beispiel Arnold Küblers Paris–Bâle à pied, wie er mehrere Male von der französischen Gendarmerie aufgegriffen wird, bloss weil er auf Departementsstrassen vor sich hin tippelt. Diese sonderbare Skepsis schwappt auch mir ab und zu entgegen, wenn ich beispielsweise nach Feierabend durch die Wohnquartiere der Gemeinde Thun wandere. Das ist man sich nicht gewohnt, dass da einer zu Fuss umherstreift, wo sich doch das pendelnde und einkaufende Volk in der Regel motorisiert durchs Quartier bewegt. Henu, solange ich nicht polizeilich oder von Bürgerwehren angehalten werde, fröne ich weiter meiner Gangart.

25. Mai 2015

Durch das «Zentralmassiv des deutschen Gefühls»

Johannes Schweikle: Westwegs,
Klöpfer&Meyer, Tübingen, 2014
Schritt für Schritt gewinne ich Abstand. Ich gehe in die Unabhängigkeit. Keine Termine zerhacken den Tag, der ohne Wecker begonnen hat. ich kann Pause machen, wann ich will. Muss keinen Fahrplan studieren und keinen Flug erreichen. Der Rückweg zum Parkplatz kümmert mich nicht, weil ich kein Auto brauche. Falls das Wetter umschlägt, habe ich meine Regenjacke.

Johannes Schweikle ist vor ein paar Jahren den Westweg durch den Schwarzwald gegangen. Nicht an einem Stück, sondern in längeren Teiletappen. Darüber hat er ein Buch verfasst: Westwegs nennt es sich und zählt in meinen Augen zum besten, was ich in letzter Zeit an Wanderliteratur vertilgt habe. Schweikle erzählt im Reportagestil nicht nur über Gesehenes und Erlebtes, er kramt auch in der Geschichte. Er lässt Dichter zu Worte kommen, Einheimische und Auswärtige; berichtet über die Industriegeschichte, über wahnwitzige Bunker des Führers und letztlich – als scharfer Beobachter – über witzige Details und lustige Dialoge von Schwarzwaldbesuchern. Kurz: Schweikle hat mit seinem Text ein äusserst lesenswertes Werk geschaffen und dem «Zentralmassiv des deutschen Gefühls» ein Denkmal gesetzt.

Vor allem aber: Am Ziel stellt sich eine tiefe Befriedigung ein. Dieses Gefühl ist viel intensiver als das abstrakte Glück, das man Erfolg nennt, weil der Körper massgeblich an der Arbeit beteiligt war. Wandern strengt entspannend an.

22. Mai 2015

Retro- und Future-Blogging

Das Schöne am Bloggen ist, dass man auch Texte posten kann, die längst passé sind. Ist doch logisch, werden Sie jetzt denken, das virtuelle Papier ist freilich genauso geduldig, wie das echte. Was ich indes meine ist, dass ich meine Tourentagebucheinträge chronologisch betrachtet an genau jenem Datum publizieren kann, von dem der Bericht handelt. Also in eine Zeit zurückdatieren, als das Internet noch in den Babyschuhen steckte. Diese Möglichkeit hat mich dazu verleitet, meinem Blog ursprünglich den Zusatz Since 1982 beizustellen (neu Seit 1982). So bin ich denn seit ein paar Monaten daran, meine pedestrischen Abenteuer (und sprachlichen Verbrechen) von damals nach und nach publik zu machen. Für mich heisst dies, meine Twen-Jahre und was darauf folgte noch einmal Revue passieren zu lassen. Ein spannendes Unterfangen. Ich nenne es Retro-Blogging. Es lohnt sich deshalb, ab und zu die Jahrgänge auf der linken Navigationsseite meines Blogs auf neue Retro-Beiträge zu durchforsten.

Aber auch das Gegenteil ermöglicht mir die schöne neue Welt. Seit geraumer Zeit erscheint auf der Blogseite oben links die Zahl des Tages. In Tat und Wahrheit verfällt hier laufend mein Guthaben an Tagen bis zu meiner Pensionierung. Am 22. Dezember 2014 waren es genau 5000 Tage, so denn die Politik dereinst nicht noch korrigierend eingreift.

Und weil ich diesen Post hier, also diesen, den Sie gerade lesen, gerne am 23. Dezember 2014 geschrieben hätte, um das mit den 5000 Tagen kundzutun, tue ich es halt erst heute. Ganz im Sinne des Retro-Bloggings.

20. Mai 2015

Jakobsweg für Egoisten

Inka Ehrbar, Der Jakobsweg: mein Weg –
unser Weg, 700 km zu Fuss, Ferber-
Verlag, Köln, 2000
Sie sei nicht aus religiösen Gründen während 25 Tagen auf dem Jakobsweg von Pamplona (Spanien) bis nach Santiago de Compostela zu Fuss unterwegs gewesen, schreibt die Autorin am Ende ihres Berichtes. Immerhin war sie aber «auf der Suche nach sich selbst und den Spuren der eigenen Sehnsucht ...». Besagte Sehnsucht besteht dann oft darin, ihren zu Hause gebliebenen Freund per Handy anzurufen oder ihn, der per Sportflugzeug innert 14 Tagen zweimal von der Schweiz nach Spanien fliegt, in Burgos und Santiago zu treffen. Und einer der Höhepunkte des – excusez l’expression – Egotrips von Inka Ehrbar ist auf Seite 64 zu lesen: «Es klingt banal, aber heute versuche ich ein Bonbon zu lutschen. Ja, wirklich, ich lutsche es. Normalerweise bin ich ungeduldig und zerbeisse es sofort. Diesmal bewege  ich das Bonbon bewusst im Mund hin und her und lasse es allmählich zergehen. Dass es mir gelingt, führe ich auf meine innere Ausgeglichenheit zurück. Ich staune, wie sahnig es schmeckt und wie lange der Genuss anhält.»

So bleibt denn dem Leser nur die bange Frage, ob sich ausser dem engsten Freundeskreis der Autorin auch noch andere für die (banalen) «Erfahrungen der wochenlangen Wanderung in Tagebuchform» interessieren (Rezensent einmal ausgenommen)? Über den Jakobsweg an und für sich erfährt man herzlich wenig. Bis auf ein paar wenige – vermutlich aus dem Wanderführer entnommene – Häppchen, weiss die Schreibende nichts Informatives zu erzählen. Umso eingehender beschreibt sie ihre Probleme, mit ihrer Hündin Tila eine Unterkunft zu finden, oder wiedereinmal in ein mobiltelefonisches Funkloch geraten zu sein oder nur noch über leere Handyakkus zu verfügen. Man merke: Die Lösung eines Problems – in diesem Falle die Möglichkeit, im Notfall Hilfe herbeizuholen – ruft unweigerlich ein oder mehrere neue Probleme hervor.

Ein weiteres Dauerthema: das Wetter. Ob man mitunter deswegen den Jakobsweg aufsuchen und darüber seitenweise in Buchform schreiben muss? Fazit: Ein missratener Wanderbericht, dem es auch nicht gelungen ist, die vermeintlich originelle Idee, die Reise gleichzeitig aus der Sicht der Hündin zu beschreiben, in die Tat umzusetzen. Unglücklich sind zudem Typografie und der zum Teil nicht nachvollziehbare Seitenumbruch.

15. Mai 2015

Panachés, Kleiderbügel und «Gute Nacht!»

Heinz Brauweiler, Wenn die Sonne erwacht,
Verlag Andrea Sänger, 1995
Was um beinahe alles in der Welt bringt ein wandernder Schreiberling von 69 Jahren dazu, in seinem mittlerweile dritten Fernwandererlebnisbericht lückenlos über die konsumierten Panachés sowie das Vorhandensein von Kleiderbügeln in billigen Hotels zwischen Bonn und dem Mont Blanc zu berichten? Unklar ist auch, weshalb er seiner Leserschaft jeweils am Ende eines Wandertages «Gute Nacht!» wünscht. Mein Lieber Herr Brauweiler, so geht das nicht! Nichts gegen Ihre Leistung, Ihre Abenteuer und Erlebnisse (auch wenn diese für meinen Geschmack zeitweilig zu oft in heroischem Zweiteweltkriegspathos ausufern), aber über Ihren Panaché- und weiteren, hochprozentigeren Alkoholkonsum dürfte sich nun definitv niemand mehr interessieren. Doch damit nicht genug. Auf den stattlichen 392 Seiten, die ich von A bis Z gelesen habe, schleichen sich immer wieder kleine Unwahrheiten ein. Zwei Beispiele gefällig? – Der Glacier-Express fährt nicht über Davos nach St. Moritz. Oder: Der Bahnhof von St. Cergue liegt nicht an einer von den Schweizerischen Bundesbahnen betriebenen Strecke. Ich hoffe, dass Sie Ihre Leser nicht allzuoft in die Irre leiten, denn auch der Rezensent muss ihm weniger bekannte Gegenden so zur Kenntnis nehmen, wie Sie sie beschreiben. Gerne würde ich aber Ihren damaligen Verleger kennen lernen, ist es mir doch schleierhaft, wie ein Verlag dazukommt, eine Trilogie mit zum grössten Teil belangloser Wanderduselei dem sachkundigen Publikum unter die Augen zu reiben. Ich will mein Geld zurück!

12. Mai 2015

Mein Pilgerweg nach Rom

Edith A. Weinlich: Mein Pilgerweg
nach Rom.
Auf dem historischen
Frankenweg zu Fuss durch Italien,
Tyrolia Verlag, Innsbruck, 2008
Edith A. Weinlich ging vom Grossen Sankt Bernhard entlang des historischen Frankenweges nach Rom. Ihre Weg-Erfahrung hat sie in einer Reiseerzählung verdichtet, die zu eigenen Aufbrüchen beflügelt und dafür auch eine erste praktische Orientierung an die Hand gibt. Der Weg ruft!

«Es ist keine romantische Fussreise, die ich hier unternommen habe. Es ist eine praktische Reise, mit Anfang und Ende, mit Vorbereitung und Ausrüstung, mit Konsequenz, Anforderungen und Ausdauer. Es ist eine notwendige Reise, um endlich anzukommen – bei meinen Wünschen, meinen Zielen. Das ist der Gewinn. Doch das Risiko liegt überall, Schritt für Schritt, dazwischen.» (Klappentext)

Für mich ist Weinlichs Werk ein sprachlich gekonnt umgesetzter Reisebericht. Poetisch formulierte Beobachtungen der Autorin wechseln sich ab mit historischen Fakten und persönlich-berührenden Erlebnissen. Lesenswert!


8. Mai 2015

Höllenfeuer

Rolf von Siebenthal: Höllenfeuer,
Gmeiner, Messkirch, 2014
Qualvoll stirbt der angesehene Arzt Dr. Michael Brunner beim Brand seiner Villa in Liestal. Schnell findet die Polizei Baselland heraus, dass sie es mit Mord zu tun hat. Personalmangel in den Sommerferien und zugeknöpfte Zeugen behindern die Ermittlungen von Kripo-Chef Heinz Neuenschwander. Zudem steckt auch noch der Journalist Max Bollag seine Nase überall hinein. Doch die beiden Männer müssen sich zusammenraufen, wenn sie Schreckliches verhindern wollen. Klappentext

BE: Stadt Bern: Bundeshaus, Regionalgefängnis, Marzilibad, Marzilibahn BL: Liestal: Sichternstrasse, Widmannstrasse, Kantonsspital, Ergolz, Arisdörferstrasse, Altstadt, Polizeikaserne; Muttenz, Birsfelden, Birschöpfli, Ricola Laufen, Reigoldswil, Wasserfallen, Ehemaliges Kloster Schönthal, Langenbruck, Dreispitz Münchenstein, Liesberg, Oltingen, Sissach, Gelterkinden, Ermitage Arlesheim, Auhafen Birsfelden BS: Stadt Basel, Novartis Campus in Basel, Fondation Beyeler in Riehen SO: Balsthal, Klus von Balsthal, Oensingen, Brunnersberg, Bergwirtschaft Güggel F: Leymen

6. Mai 2015

Rauschend und berauschend

Am Samstag entführte ich mein Wandergrüppchen Rumpel und die Stilzchen in den baselstädtischen Zipfel. In Riehen startend, schlugen wir uns Richtung St. Chrischona durch edles Agglomerationsgebiet. Der Wenkenpark überraschte uns mit seiner gepflegten, öffentlich zugänglichen Erscheinung. Für Momente wähnten wir uns in englischen Gefilden. Auf der Erhebung St. Chrischona gefiel mir das sakrale Ambiente mit dem gothischen Kirchenbau aus dem 17. Jahrhundert. Vom höchsten Punkt des Kantons Basel Stadt hatten wir zudem eine umfassende Panoramaschau gen Süden in die Hügelwelt der Nachbarkantone. Anschliessend folgten wir in knackig grünen Wäldern der Landesgrenze. Im Abstand von geschätzten 50 Metern ragten die Grenzsteine aus dem Boden. Währenddem wir die staatlichen Hoheitsgebiete im Minutentakt wechselten, näherten wir uns dem Rhein, einer braunen Masse im Hochwassermodus.

Schwedisch, Norwegisch? In Riehen (BS).

Aha! In Riehen (BS).


Am Südufer angelangt, strebten wir der Birsmündung, dem sogenannten Birschöpfli, zu. Der an der Pierre Pertuis im Berner Jura entspringende Fluss führte ebenfalls viel Wasser. So viel, dass zu Beginn der nun folgenden Uferwanderung der Fussweg grössten Teils überschwemmt war. Die starke Strömung machten sich prompt ein paar Wellenreiter und kurz vor dem St. Jakobspark zwei Kanuten zu Nutze. Wildwasserfreuden mitten in der Stadt, ein nicht alltägliches Bild!

In Birsfelden (BL), auf dem Weg zum Birschöpfli.


Unser Ziel, den Bahnhof Dornach-Arlesheim, erreichten wir nach einer einstündigen Abschreitung des 30–50 Meter breiten Auenwaldgürtels dies- und jenseits der Birs. Dieser zeigte sich im vollen Frühlingsornat. Die blühenden Bärlauchfelder hatten es mir besonders angetan. Romantik pur am hochgehenden Fluss. Eine als vermeintlich unspektakulär geplante Route entpuppte sich als wahre Wanderperle, wie die Fotos der Bildstrecke verdeutlichen.

3. Mai 2015

Die Rucksacktage sind da

Soeben ist mein achtes Buch erschienen! 50 Wanderreportagen aus allen Gegenden Schweiz. 48 davon sind in der Zeitschrift Tierwelt als Wanderkolumnen erschienen, die restlichen zwei schafften es in die Schweizer Familie und das VCS-Magazin. Weil ich finde, dass Bücher über eine längere Halbwärtszeit verfügen als Heftli, packte ich das Buchprojekt kurzentschlossen an. Eine besondere Freude sind mir die 50 ganzseitigen Fotos, die ich meist mit meiner kleinen Kompaktkamera geschossen habe. Alleine die Qualität der Bilder ist der Kauf des Büchleins wert. Als erstmalige Dreingabe stehen zudem die GPS-Files sämtlicher Wanderungen zur Verfügung.

So bleibt mir an dieser Stelle nichts anderes übrig, als Rucksacktage wärmstens zum Kauf zu empfehlen. Es lebe das gedruckte Buch!