13. März 2015

Hybride Pilgerin

Brunhilde Schierl, Zu Fuss und ohne Geld,
Books on Demand, Norderstedt, 2013
Brunhilde Schierl machte sich 2013 in Deutschlands Norden auf den Jakobsweg. Ihr Ziel war es, von Flensburg nach Konstanz zu pilgern. Hierbei trug sie ein T-Shirt mit der Aufschrift Gottvertrauen stärkt. Am Rucksack prangte ein Band mit demselben Spruch. Geld trug die Pilgerin keines auf sich, denn sie ging getreu der Bibelstelle im Lukas-Evangelium:

Jesus rief die zwölf Jünger zusammen und gab ihnen Kraft und Vollmacht, alle Dämonen auszutreiben und die Kranken zu heilen. Er sandte sie aus mit dem Auftrag, die Botschaft vom Reich Gottes zu verkünden und die Kranken gesund zu machen. «Nehmt nichts mit auf den Weg», sagte er zu ihnen, «keinen Wanderstab, keine Vorratstasche, kein Brot und kein Geld; auch soll keiner zwei Hemden bei sich haben …»

Mit anderen Worten: Brunhilde Schierl war auf die Barmherzigkeit ihrer Reisebegegnungen angewiesen. Sprich: Betteln war angesagt. Und zwar nicht um Geld, denn dieses lehnte die selbstbewusste Frau mit Jahrgang 1951 konsequent ab. Sie sah sich auch nicht als Bettlerin, sondern als Pilgerin mit einer Botschaft.

Das eigentliche Zu-Fuss-Pilgern stand also nicht so sehr im Mittelpunkt, verging doch kaum ein Tag, an dem sich die eigenwillige Autorin eines 480-seitigen Erlebnisberichts nicht mit dem Auto herumchauffieren liess. Brunhilde Schierl machte sich so zur hybriden Pilgerin und oft auch gar zur wählerischen Beschenkten. Passte ihr kostenlos angebotene Unterkunft, Lebensmittel oder Mitfahrgelegenheit nicht, hielt sie nach einer besseren Alternative Ausschau. Ein simples Dach über dem Kopf reichte der Frau auch nicht. Eine Matratze mit Bettzeug musste jeweils her, da sie weder Liegematte noch Schlafsack im Rucksack mitführte.

Dennoch staunt der Leser über die meiner Meinung nach mit einer gewissen Ambivalenz behafteten Unternehmung Brunhilde Schierls, und dass sie täglich mehrere Menschen angetroffen hat, die ihr logistisch und verpflegerisch unter die Arme gegriffen haben. Dass die Autorin zu Hause über genügend finanzielle Mittel verfügt, macht die Geschichte erst recht zur fragwürdigen Angelegenheit. Schierl sammelte unterwegs zusätzlich Unterschriften für ein Gesetz zum Schutz von Frauen im Sexgewerbe, was prinzipiell zu begrüssen ist, es macht den Zwiespalt freilich nicht kleiner. Bei Seite 400 angelangt, hatte ich plötzlich die Idee, dass die Gratis-Pilgerin am Ende gar das während der Reise eingesparte Geld einem wohltätigen Zweck zukommen lassen würde. Doch von einem originellen Sponsoring-Modell à la Schierl war auf den letzten 80 Seiten leider nichts zu lesen. 

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