20. Januar 2017

Starke Sätze aus den Achtzigern

Soeben mit viel Interesse und Begeisterung gelesen: Hansjörg Schneiders Wüstenwind. Es sind Notizen aus der Zeit von November 1982 bis April 1983, verfasst von dem damals 45-jährigen Autor. Die ehrlichen Texte geben dem Leser Einblick in das Seelenleben des in Basel lebenden Exil-Aargauers, zeigen seine Verletzbarkeit, wie er gegen seine Depression ankämpft, wie ihm die Kraft fehlt zu schreiben, wie er sich freut, wenn wieder eines seiner Theaterstücke zur Aufführung gelangt. Und selbstverständlich finden auch die politischen Umstände der Achtzigerjahre ihren Niederschlag. Von Waldsterben ist die Rede, von den Krawallen in den Städten Basel und Zürich. Der eher links stehende Schneider ist indes nicht mit allem einverstanden, was von Seiten der Autonomen kommt. Die differenzierte Betrachtungsweise der Sachlagen ist wohltuend, gerade in heutiger Zeit. Und dann schreibt Schneider Sätze in sein Notizheft, die ich so stark finde, dass ich ein paar davon gerne zitiere:

Dieser Nebel legt sich auf mein Gemüt. Ich bin Aargauer, und die Aargauer sind im November schwermütig. Die Schwermut kriecht aus der Aare und legt sich als nasser Nebel über die Menschen, die in der Nähe des Flusses leben. Das ist wie eine Sucht. Man will in einer Ecke hocken, in den Nebel starren und langsam in sich hineinsinken.

Einmal wieder über Land gehen und einen Nussbaum anschauen.
Einmal wieder im Gras liegen.
Einmal wieder eine frühe Nuss aufklopfen, und ihr Kern schmeckt bitter.
Wieder einmal ans Leben glauben und daran, dass das, was man denkt, dem Tod eine Antwort gibt.

Ich lebe richtig, wenn ich schreibe. Wenn ich nicht schreibe, lebe ich falsch. Aber ich kann nicht immer schreiben, ich brauche auch Krisen. Ich brauche dieses falsche Leben, und ich brauche den November.

Wir leben wieder in einer Zeit, in der die dümmsten Menschen die Macht verlangen und sie vielleicht auch erhalten.

Wer Phantasie hat, gefährdet die Macht, und wir leben in einer Zeit, in der die etablierte Macht ausserordentlich intolerant sein muss, um sich im hereinbrechenden Chaos behaupten zu können.

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