30. August 2013

Fuhrmann Sieber und sein Sohn

Eugen Mattes:
Fuhrmann Sieber und sein Sohn
Benziger, Einsiedeln, 1948
Durch seine zahlreichen Geschichten und Romane hat Sich der Thurgauer Eugen Mattes den Ruf eines begabten Erzählers erworben. In seinem neuen Roman schildert er das Leben eines Zigeunerfindlings, der bei einem währschaften Fuhrmann aus dem Rheintal aufwächst. Auf seinen Fahrten kreuz und quer durch die Schweiz erlebt er zwischen Pferden und Fuhrwerken, bald im Dorf, bald auf den Landstrassen, im einsamen Riet und in den dunklen Wäldern die Schönheit der Welt wie auch die Eigenart ihrer Menschen.

So lässt Mattes eine bunte Welt in köstlichen Bildern und Gestalten aufleben. Der Leser schaut die Schönheit det ziehenden Landstrasse, schaut hinein in manches Dorf, bis in die Stuben und Kammern, und nimmt teil an der eigenartigen Entwicklung des Knaben Mucki, der durch die rätselhafte Unruhe seines Blutes erregt, zwischen der Welt seiner Erziehung und seiner dunkeln Herkunft hin und hergerissen wird – bis er nach wechselnden Schicksalen bei den Zigeunern und auf Gutshöfen den Weg in die geordnete Welt seines Pfegevaters wiederfindet. Es ist ein Buch für jeden Menschen, der Freude an volkstümlichen, aber mit künstlerischen Mitteln gestalteten Stoffen hat. (Klappentext)

Was artig nach kitschigem Heimatroman klingt, entpuppt sich als gekonnte, heimatliche Dichtung. Mattes Sprache ist der damaligen Zeit entsprechend verklärend und es fragt sich, ob dieser knapp 500 Seiten starke Band nicht auch als Jugendbuch tituliert werden könnte. Mattes ist heute völlig in Vergessenheit geraten, obschon er 1943 mit dem Preis der Schweizerischen Schillerstifung und 1948 mit dem C.-F.-Meyer-Preis bedacht worden ist.

SG: Diepoldsau (Hauptschauplatz), Rorschach, St. Gallen, Montlingen, Hirschsprung, Rheintal, Altstätten  AI/AR:  St. Anton, Heiden, Gais, Appenzellerland GR: Splügenpass I: Vatikan A: Feldkirch, Bludenz, Arlberg, Landeck, Innsbruck, Lechtal (Hauptschauplatz), Salzburg, Salzkammergut, Bregenzerwald

15. August 2013

Sieben Jahre

Unter dem Label Schauplätze präsentiere ich in lockerer Folge Schweizer Belletristik mit Schauplätzen, die sich nach der Romanlektüre bestens zu fussgängerischen Vororterkundungen eignen.

Peter Stamm: Sieben Jahre
S. Fischer, Frankfurt, 1998
Ein Mann zwischen zwei Frauen, die eine ist begehrenswert, bei der anderen ist er frei.
Sonja ist schön und intelligent und lebt mit Alex. Eine vorbildliche Ehe, er müsste glücklich sein. Aber wann ist die Liebe schon einfach? Und wie funktioniert das Glück? Iwona wäre neben Sonja fast unsichtbar, sie ist spröde und grau. Aber Alex fühlt sich lebendig bei ihr – und weiß nicht, warum. Sie liebt ihn. Er trifft sie immer wieder, und als sie von ihm schwanger wird und das Kind kriegt, das Sonja sich wünscht, setzt er alles aufs Spiel.
(Klappentext)

Deutschland: München (Hauptschauplatz) mit Olympiadorf und Englischem Garten, Schwabing, Garching, Possenhofen, Tutzing, Perlach, Starnbergersee, Stuttgart, Garmisch Frankreich: Marseille und Cité Radieuse, Château d'If

8. August 2013

Bremer

Bremer nennt Bern sein Bois de Boulogne, den Bremgartenwald im Nordwesten der Stadt. Ich umrundete ihn heute zu zwei Dritteln, lobte innerlich den Regen, selbst wenn mich die hohe Luftfeuchte zum tropischen Schweissbade trieb. Dafür hatte ich die beliebte Naherholungszone für mich alleine. Keine wild gewordenen Biker, bloss ein Jogger sowie drei Hunde in Spielmodus mit Herrchen. Der Bremer weist ein paar hübsche Partien auf. Besonders gut gefiel mir der Glasgrabe. Ein quirliges Bächlein sucht hierbei den kürzesten Weg in den noch jungen Wohlensee. Gegen das Ende der Route wurde es weihnächtlich. Ich überquerte die Autobahn, den Gaza-Streifen quasi - und marschierte im Bethlehem ein. Was fehlte, waren die Bremer Stadtmusikanten. 

Und Ruth

Die Frau auf dem Bahnhof, ist es wirklich Ruth, die geheimnisvolle Freundin eines Mitschülers auf der Klosterschule? Oder nur eine Einbildung? Zögernd erinnert sich der Erzähler: an den ersten Schultag, die strengen Regeln des Zusammenlebens im Internat, die Rivalitäten und Intrigen der Jungen, die Eigenarten der Lehrer, die ersten Erfahrungen mit Liebe und Liebelei. Immer wieder gehen die Erinnerungen zu Erich, dem verletzlichen Zimmergenossen von damals, von den anderen verspottet und – uneingestanden – beneidet. Was waren das für Briefe, die Erich zu seiner Verzweiflungstat trieben? Wer schrieb sie? Und welche Rolle spielte Ruth bei alldem? (Klappentext)

Urs Faes: Und Ruth
Suhrkamp, Frankfurt, 2003
Der Aargauer Urs Faes, Autor dieses tragisch-lustigen Romans, besuchte von 1963–67 das Lehrerseminar im ehemaligen Zisterzienser Kloster Wettingen. In atemberaubender Dichte lässt Faes die Geschichte an eben diesem Ort,  Kantonsschule, spielen. Und natürlich stellt sich die Frage, ob das 2003 veröffentlichte Werk mittlerweile zur Pflichtlektüre der Wettinger Gymeler gehört. Ein fussgängerischer Abstecher an die Flussschleife der Limmat, wo die beeindruckende Klosteranlage eingebettet liegt, lohnt auf alle Fälle. Und ja, die Lektüre des Buches natürlich auch.

Aargau: Ehemaliges Kloster, späteres Lehrerseminar und heutige Kantonsschule in Wettingen

5. August 2013

Was die Welt nicht wissen muss

Heute eingekauft: Gregor Brunold: Traumberuf - Erzählung vom Journalistenleben, Echtzeit Verlag, Basel, 2012. Schnäppchen für vier Franken bei Thalia. Dann: 13 Wanderkarten im Massstab 1:50'000 zum Neupreis. Blatt 222T, 223T, 232T, 233T, 234T, 244T, 253T, 254T, 255T, 262T, 263T, 264T und 265T. Und letztlich noch zwei Schützengarten Bier in der halb Liter-PET-Flasche zum halben Preis. Ablaufdatum 23.08.2013 bzw. 24.08.2013. 

Massimo Marini

Unter dem Label Schauplätze präsentiere ich in lockerer Folge Schweizer Belletristik mit Schauplätzen, die sich nach der Romanlektüre bestens zu fussgängerischen Vororterkundungen eignen.

Rolf Dobelli: Massimo Marini
Diogenes, Zürich, 2010
In einem Koffer wurde er als Säugling in die Schweiz geschmuggelt, acht Jahre lang mussten seine Eltern ihn versteckt halten, um ihre Arbeitsbewilligung nicht zu verlieren, der Vater ein harter Malocher, der es zum erfolgreichen Unternehmer schafft – alles für den Sohn Massimo, der es einmal besser haben soll. Dessen Leben verläuft weniger gradlinig und glänzt mit Dramatik und Höhepunkten. Vom italienischen Immigrantenkind zum Zürcher Gesellschaftslöwen. Vom Opernhausdemonstranten zum Opernhaussponsor. Vom Existenzphilosophen zum Bauunternehmer. Vom Linken zum Rechten. Vom Tiefen zum Hohen. Vom Süden zum Norden. Bis er einer Frau begegnet, die sein Glück krönt – und zerstört. Ein umfassendes Gesellschaftspanorama und das Porträt einer vitalen, schillernden Persönlichkeit. (Klappentext)

GR: Sedrun, Gotthardtunnel  LU: Luzern KKL, Emmenbrücke, Vierwaldstättersee TI: Chiasso UR: Gotthardtunnel ZH: Zürich Stadt, Zürichsee


2. August 2013

Mutz

Meine Inkompatibilität mit diesem Hitzewetter liess mich gestern früh losfahren. Nicht in die Berge, nein, in den Mutzgraben wollte ich. Schattige Morgenfrische und der mit 14 Metern höchste Wasserfall des Oberaargaus lautete der Plan. Von Wynigen nach Riedtwil. Eine wahrlich kurze Route, dafür reichte die Zeit für längere Betrachtungen im «Mutz», wie die Einheimischen das Tobel zwischen Buchsi- und Wynigerberge kurz und schnurz nennen.

Der berndeutsche Begriff «Mutz» hat indes mehrere Bedeutungen. Als Substantiv bezeichnet er das Oberteil der Berner Männertracht und steht gleichsam als Synonym für den Bär. Als «Mutzen» werden denn auch die Spieler des Schlittschuh-Clubs Bern bezeichnet, nicht aber jene des Berner Fussballclubs Young Boys. Bewahre! Adjektivisch gebraucht wird «mutz», wenn eine Person schnöde auf eine Frage antwortet oder sich generell kaltschnäutzig gibt. Jemand, der die Haare sehr kurz trägt, hat einen «mutzen» Schnitt. «Mutz über d Rüebe», lautet in diesem Falle der Auftrag an den Coiffeur. Bleibt freilich noch zu klären, was «Mutz» mit dem üppig bewachsenen Mutzgraben gemein hat.

Mutzbachfall im Mutzgraben (BE), mit 14 Metern Fallhöhe der Rekordhalter im Oberaargau.

1. August 2013

Die Schweiz neu definiert. Oder: meine Rede zum 1. August

Da wird doch immer wieder behauptet, die Schweiz sei eine Wandernation. Seit Jahren hege ich indes eine subtil-gegenteilige Auffassung. Mit Bestimmtheit wird allenthalben gewandert, vor allem dort, wo Bahnen die Bergwelt erschliessen oder einfache Wege zu Alpenclub-Hütten führen. Treibt man sich freilich etwas abseits dieser kanalisierenden Infrastrukturen herum, herrscht Wandererflaute – egal ob in den Alpen oder im Jura. Und im Mittelland erst recht. Statt von einer Wandernation zu sprechen, müsste vielmehr die Rede sein von einer Nation mit dem wohl dichtesten Netz an markierten Wanderrouten. Dies hat mir neulich folgende Spielerei deutlich vor Augen geführt: Auf dem Kartenportal der Schweizerischen Eidgenossenschaft blendete ich die drei offiziellen Wanderweg-Kategorien ein und zog den Zoomregler auf Volltotale.

Die Schweiz der Zukunft: Ein riesiges Wanderparadies und zwischen Neuenburger-
und Genfersee die einzige Stadt mit 7½ Millionen Einwohnern.

Es zeigte sich mir ein Bild, als ob die Schweiz beinahe nur aus Wanderwegen (gelb), Bergwanderwegen (rot),  ein paar wenigen Alpinwanderwegen (blau) sowie Seen und Gletschern bestehen würde. Einzig in den Kantonen Freiburg und Waadt waren grössere Wegnetzlücken ersichtlich. Hier liesse sich eine verdichtete Schweiz mit einer einzigen Gross-Agglomeration, mit Industrie, Strassen, S-Bahn-Linien, einem einzigen Flughafen sowie einem gigantischen unterirdischen Biomassen-Kraftwerk realisieren. Die verhinderte Wandernation würde also räumlich zusammenrücken. Wir Deutschschweizer wüssten endlich, weshalb wir in der Schule Französisch lernen, die Romands, Ticinesi und Grischuns rumantschs natürlich auch. Die Mega-City mit dem klingenden Namen Begebaluchzü (eine aus einem freundeidgenössischen Kompromiss hervorgegangene Wortschöpfung aus den Städtenamen Bern, Genf, Basel, Lugano, Chur und rich) würde zu einem vierlandessprachigen Konglomerat und gleichzeitig zur neuen Landeshauptstadt. Der Trilingueisme mutierte mit der Zeit zum weltweit einmaligen und von der UNESCO zusätzlich gekrönten Kulturstandard.

Der Rest der Schweiz? Ein Wanderland in rot, weiss, gelb und blau! Und weil es die in der 7½-Millionen-Stadt lebende Bevölkerung Wochenende für Wochenende in die von Strassen, Eisenbahnen, Städten, Industriezonen und, und, und befreite Natur zieht, würde die Schweiz doch noch zu einer Wandernation. Endlich.