Ist es zu fassen? Da nimmst du dir eine Auszeit von 31 Tagen, willst dich erholen, dieses und jenes erledigen, unternehmen, verdauen, aufarbeiten, ablegen und loslassen, aber bereits am 6. Tag wachst du morgens mit leichtem Schluckweh auf, das sich bis zum Abend zu einer schmerzhaften Angelegenheit entwickelt, die Nase zu laufen beginnt und die Glieder zu schmerzen, was dir eine halb schlaflose Nacht beschert, in der dich das Fieber heimsucht, sodass du anderntags in den verschwitzten Federn liegen bleibst, nach Erkältungstee, Papiertaschentüchern, Lutschtabletten, Inhalationstabs, Pulmex und Nasentropfen schreist, was tatsächlich alles noch im Hause vorhanden ist, denn die letzte Grippe datiert vom vergangenen Februar, dauerte geschlagene zweieinhalb Wochen, was du im erneut eingetretenen Falle mit all den Mitteln und Mittelchen zu verhindern versuchst, darauf hoffst, nicht zum Arzt gehen zu müssen, der dir dann wegen der Hartnäckigkeit des Käfers gar ein Antibiotikum verschreibt und so weiter und so fort.
Und ja, nach sechs Tagen der Bettlägerigkeit und 37 verbrauchten Päckchen Tempo fühlst du dich immer noch krank, nimmst eine Dusche, fühlst dich hernach schon etwas besser, checkst wieder einmal deine E-Mails, trinkst weiter artig Tee und isst, weil angeblich gesund, einen Apfel, siehst draussen die Welt ergrünen, fragst dich, ob du es trotz heftiger Windböen nach draussen wagen solltest, bejahst dies nach gründlicher Überlegung, packst dich gut ein, schnürst für die halbe Stunde gar die Wanderschuhe – man weiss bekanntlich nie –, nimmst auch noch die im gestrigen Blogeintrag hochgelobte neue Kamera mit und entfernst dich vom trauten Heim.
Das Tageslicht blendet dich ungewohnt stark. Es ist, als ob du sechs Tage in der Höhle zugebracht hättest. Hundert Schritte und es beginnt zu Regnen. Kapuze übers Haupt gestülpt. Zweihundert Schritte und es hört wieder auf. Kapuze vom Haupt genommen. Vierhundert Schritte wieder Regen, Wind dazu. Kapuze auf. Beim Bahnübergang angelangt, Regenstopp, schwache Sonnenstrahlen. Der Griff ans Haupt, an die Kapuze. Runter damit. Zwei Minuten später, ernsthaft grosse Tropfen. Kapuze hoch, Flucht in den Wartesaal des zum Tode geweihten Bahnhofgebäudes. Du fotografierst den ehemaligen Fahrkartenschalter. Obschon der Bahnhof seit den 1990er-Jahren nicht mehr bedient ist, ein Schild mit der Aufschrift Geschlossen, Fermé, Chiuso.
Heftiger Regen draussen. Du stellst dich unter das Vordach und fotografierst den einfahrenden Zug, siehst, wie zwei Personen aussteigen. Der Regen stellt ab und du packst die Gelegenheit beim Schopf, trittst den Heimweg an, der bereits nach einhundert Metern wieder mit Wasser benetzt wird, was dir langsam egal ist, denn mittlerweile sagt dir die zwanzigminütige Erfahrung, dass es in ein bis zwei Minuten vorüber sein wird. Doch keine Erfahrung ist endgültig, du gehst nun zehn Minuten in heftigem Regen über die Ebene und der Hanglehne entlang, begleitet von starken Windstössen. Du spürst, wie die Sturzbäche von deiner Goretex-Jacke abperlen, um anderswo jenen Schaden anzurichten, den sie erfolgreich verhindert hat: auf deiner ungeschützten Baumwollhose, die sich vollsaugt und die darunterliegende Hose, dem Gesetz der Kapilarwirkung gehorchend, ihrerseits das Wasser genüsslich in sich aufnimmt.
Bis auf die Popohaut durchnässt langst du von deinem halbstündigen Gesundheitsspaziergang in deinem Heim an, wo du dich immer noch krank und meteorologisch mies fühlst, immerhin aber ein umwerfendes Foto hast nach Hause mitbringen können und jetzt trockene Beinkleider um deine Lenden gürtest, einen schnellen Blick nach draussen wirfst, wo du beruhigend feststellst, dass die Sonne scheint und der nächste Regenguss selbst nach einer guten Stunde immer noch auf sich warten lässt.
Nein, so etwas ist nicht normal.
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