11. Mai 2013

Ein kleiner analog-digitaler Spaziergang

Aus den Anfangstagen meiner bescheidenen Fotografenlaufbahn besitze ich ein kleines technisches Wunderwerk. Es handelt sich um die Retina IIc von Kodak. Die Kamera wurde von 1954–1957 in einer Stückzahl von 136'000 Exemplaren in Deutschland hergestellt und brillierte in der Standardausführung mit einem 50 mm Objektiv (f/2.8) des Glasveredlers Schneider (Kreuznach). Die IIc war für damalige Verhältnisse eine äusserst handliche Knipse mit einem sehr guten Preis-/Leistungsverhältnis und tollen technischen Raffinessen wie etwa der mechanischen Verkupplung von Blende und Verschlusszeit, was dem heutigen Program-Shift entspricht. Auch die industrielle Verarbeitung liess kaum Wünsche offen. Noch heute funktionieren die massiven Bauteile einwandfrei, sodass das Bijou selbst 55 Jahre nach seiner Herstellung benutzt werden könnte, hätte in der Zwischenzeit das Digitale nicht Einzug gehalten.

Zwischen der Retina IIc von Kodak ...


... und der X100S von Fujifilm liegen 55 Jahre Fotokamera-Technologie.


Dies ist meine neuste Anschaffung. Was auf den ersten Blick wie ein Schnäppchen aus der verstaubten Ecke eines Trödlerladens aussieht, ist in Tat und Wahrheit der neuste Stand der digitalen Kompaktkameratechnologie. Rein optisch hat sich – in der Frontansicht zumindest – nicht viel verändert, was für die Designer der damaligen Zeit spricht. Ganz im Gegensatz zu den ersten digitalen Kameras, die vor gut 15 Jahren auf den Markt gelangten … Die hier abgebildete X100S des japanischen Herstellers Fujifilm übertrifft – mit marginalen Abstrichen im Handling – in vielerlei Hinsicht das bislang auf dem gehobenen Amateur-Fotomarkt Angebotene. Doch davon später mehr.

Die spartanische Rückseite der Retina IIc mit dem damals vielgelobten «grossen, hellen» Sucher.

Der Rücken der X100S ist etwas für Knopf-Fetischisten und High-Tech-Freaks.


Beim Betrachten der Kamerarücken zeigt sich die Evolution von ihrer ungeschminkten Seite. Das x-fache Mehr an Möglichkeiten schlägt sich bei der digitalen Maschine in Form von Tasten, Kippschaltern und Drehrädchen nieder.

Was aber macht die Fujifilm X100S – Nachfolgerin der X100 – so einzigartig? Abgesehen vom stimmigen Retro-Design ist es die geglückte Verquickung von mechanischer Bedienbarkeit und optisch-digitaler Technologie. Von der fest verbauten 23 mm Linse (35 mm KB-Äquivalent) mit f/2.0 und qualitativ hochstehender Vergütung bis zum sensationellen Hybridsucher bietet die Kamera unzählige Möglichkeiten, welche dank ergonomisch gestalteten Menüs schnell und einfach anzuwählen sind. Sowohl Blendenvorwahl als auch Verschlusszeitenvorwahl werden über den Blendenring bzw. das Verschlusszeitendrehrad manuell eingestellt. Wie zu analogen Zeiten eben. Selbstverständlich kann auch vollautomatisch fotografiert werden. Eine echte Invention ist der bereits erwähnte Hybridsucher. Dieser ist nicht nur wirklich gross und hell, er lässt auch zwei verschiedene Betrachtungsmodi zu: rein optisch und digital. Ein Sensor sorgt zudem dafür, dass sich beim Annähern des Auges der Monitor automatisch abschaltet bzw. wieder einschaltet, wenn sich das Auge vom Okular entfernt.

Eine weitere Funktion, die es mir nach ein paar wenigen Versuchen angetan hat, ist die Aufnahme von Panoramabildern. Die Kamera bietet hierfür zwei verschiene Winkel – 120° und 180°. Für die Erstellung eines Panoramas muss die Kamera lediglich in einer nicht zu unterschreitenden Geschwindigkeit in die gewünschte Richtung geschwenkt werden. Das nahtlose Zusammensetzen der automatisch aufgenommenen Bilder besorgt die kamerainterne Software von selber und dies in sensationeller Geschwindigkeit und Qualität. Das schaffte bislang nicht einmal Adobe Photoshop.

Die X100S verfügt über einen 16 Megapixel APS-C X-Trans CMOS II Sensor mit einer etwas anders als üblich gestalteten Farbfilter-Anordnung. Nicht das klassische Bayer-Muster, sondern Fujifilms X-Trans-Sensor der zweiten Generation gelangte zur Anwendung, welcher, ohne in die Details gehen zu wollen, eindeutig der verbesserten Farbwiedergabe dient. Positiv überrascht bin ich von den geringen 16 MP-Dateigrössen. Diese entsprechen etwa jenen meiner 10 MP-Kamera Lumix LX5 von Panasonic.

Blick von oben mit den klassischen Bedienelementen für Blende, Verschlusszeit und Belichtungskorrektur. Der Kipphebel rechts des Objektivs dient zum Ein-/Ausschalten des digitalen Suchers. Der Druckauslöseknopf verfügt über ein Gewinde für Auslösekabel. Auf die unscheinbaren Fn-Taste lässt ich eine benutzerdefinierte Menüfunktion programmieren.


Als letztes Feature erwähne ich den für mich ebenfalls neuen, künstlichen Horizont. In Zusammenarbeit mit dem Gitterraster erleichtert diese Einblendung die Aufnahme von Gebäuden, ebenen Landschaften oder Seeufern enorm und reduziert das Nachbearbeiten am PC auf ein Minimum.

Als weniger erfreulich müssen aus meiner Sicht drei Dinge erwähnt werden. 1. Das in der Regel äusserst praktische Drehrad für die Ansteuerung verschiedenster Funktionen verfügt über keinen Einrastmechanismus. Dies führt dazu, dass nur unpräzise manövriert werden kann. 2. Der ebenfalls in schönem Retrostil gefertigte Objektivdeckel aus Aluminium wird lose geliefert. Ein kleines Schnürchen mit Befestigung am Objektiv oder sonstwo an der Kamerafront würde dem vorprogrammierten Verlust des Deckels effizient entgegen treten. 3. Das Objektiv verfügt über kein Sonnenblendengewinde. Wer eine Sonnenblende haben möchte, erhält dies nur durch den überteuerten Kauf von entsprechendem Zubehör. Eine Kamera dieser Qualitätsklasse hätte dieses Spielchen eigenlich nicht nötig.

Fazit: Die Fujifilm X100S ist für meine Begriffe das Beste, was der Kompaktkameramarkt derzeit zu bieten hat. Die Kamera eignet sich dank der Brennweite hervorragend als Reportage- und/oder Reisekamera. Sowohl Preis-/Leistungs- als auch Gewichts-/Grösse-/Robustheitsverhältnis stimmen für meine Begriffe. Bedienkomfort und Bildqualität sprechen für sich.

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