nun ist es endlich da: Mein zweites Machwerk. Anfang des Jahres habe ich mich ausgeklinkt und bin 1637 Kilometer gelaufen, um endlich meine Sünden zu büßen. Drei Monate zu Fuß von Hamburg über meine Heimat Osnabrück durch das Elsaß, die Schweiz über die Alpen bis nach Canossa. Ich habe mir von einem Orakel die Zukunft vorhersagen lassen, den Fluch meines Ur-Großvaters Heinrich besiegt, geistheilende Fleischereifachverkäuferinnen und die Jeanne d’Arc der Silikomimplantate kennengelernt, in Barschels Genfer Badewanne geplanscht, den Zeugen Jehovas einen Hausbesuch abgestattet und das erste Mal in meinem Leben gebeichtet. Warum ich nach Canossa gegangen bin? Weil die Wulffs und Guttenbergs dieser Welt es nicht tun …
Dennis Gastmann: Gang nach Canossa Rowohlt, Berlin, 2012, 318 Seiten |
Mit diesen Worten warb am 10. November 2012 der deutsche Journalist Dennis Gastmann auf seiner Website für das soeben erschienene Buch Gang nach Canossa. Soeben bin ich mit der Lektüre fertig geworden und selten habe ich mich mit einer Wanderreportage derart heftig amüsiert! Der Autor verfügt nicht nur über den Blick für das Aussergewöhnliche, Skurrile und Absurde, er weiss das Gesehene und Erlebte auch gekonnt in Textform wiederzugeben. Nicht selten schwingen dabei Ironie und auch ein bisschen Zynismus mit, doch Gastmann versteht es, die Grenzen des Zumutbaren nicht zu übertreten. An einer Stelle bezeichnet sich der Norddeutsche selber als Satiriker. Das trifft den Nagel auf den Kopf. Ich bin der Meinung, es sollte im deutschsprachigen Raum mehr Dennis Gastmanns geben; die Reiseliteraturszene würde im positiven Sinne aufgemischt. Hier ein Beispiel, es liest sich auf Seite 69 und spielt in der Touristeninformation in Brilon, am Beginn des Rothaarsteigs im Sauerland :
Sie drückt mir eine Karte und einen Prospekt in die Hand: «110 Qualitätsbetriebe zum Einkehren und Übernachten». Die meisten seien jedoch noch geschlossen. Ausserdem bekomme ich ein hübsches Werbegeschenk: «Mörderisches vom Rothaarsteig». Eine Sammlung von Krimigeschichten, in denen die Autoren ganz unauffällige die «fabelhafte Küche» der Gasthöfe und die «ausgezeichnete Beschilderung» der Pfade loben. Ansonsten liest man, wie die Wanderer auf dem Rothaarsteig erschlagen, erstochen, erschossen, zerstückelt und verscharrt werden. Ob so etwas Touristen anspricht?
Gastmanns Chuzpe und journalistische Ader sind es, die dem Leser eine Welt vor Augen führen, die wir oft als normal hinnehmen. Bei genauerer Betrachtung und Hinterfragung tritt indes eine Welt zu tage, die sich nicht selten in Widersprüchen verstrickt, wie etwa in jener Szene, wo Gastmann in Frankfurt auf einen Mann trifft, der Geld für das Ende des Geldsystems sammelt. Gang nach Canossa ist denn auch ein Sammelsurium an soziologischen Kleinststudien. Und das Schöne daran: Gastmann ist selber Teil davon. Daher: mehr davon, Dennis!
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