11. Februar 2024

Die Spirale – Etappe 18

Die bereits zurückgelegte Route in Grün.
Nicht, dass ich sie vergessen hätte, meine Wanderspirale rund um Bern. Doch wie alles seine Zeit hat, hat auch die Spirale ihre Zeit, und die war am vergangenen Samstag (endlich) gekommen. Bei ziemlicher Düsternis legte ich in Toffen los und machte mich an den Aufstieg zum Längenberg, mit der Absicht gut sechs Stunden später in Thörishaus Dorf einzumarschieren. 

Nebelbänke waberten über dem Aaretal. Im Nordosten das unermüdliche Blinken des Bantigerturms. Die ersten Flugzeuge dröhnten vom Flughafen Belpmoos herüber, auf dass es sie von hier fortspicke in den viel zu lauen Wintermorgen. Auf dem Längenberg angekommen, bemerkte ich an einer Tanne Eingangs Rattenholz – was für ein Name für einen Wald! – ein sonderbares Zeichen in Form eines pinkfarbigen Auges. Spontan kam mir der Experte für ausserirdisches Leben, Erich von Däniken, in den Sinn. Ein paar hundert Meter weiter zeigte mir eine Hinweistafel, dass ich mit meiner Vermutung gar nicht so weit daneben lag. «Space Eye» las ich und wusste sogleich, dass es sich um die 2023 in Betrieb genommene neue Sternwarte in Uecht handeln musste. Das «Weltraum-Auge», das mich dann dort erwartete, ist in der Tat ein abgehobenes, architektonisches Betonwerk, konzipiert vom Master himself, Mario Botta. Der Kontrast zum unmittelbar dahinter gelegenen Bauernhof mit tonnenweise gestapelten Silierballen und den Rindern, die sich an der elektrischen Pendelkratzbürste – so der Fachbegriff – ihr Fell kraulen lassen, hätte grösser nicht sein können. Und zwischen High- und Agrotech entdeckte ich das herzig anmutende alte Gebäude der Sternwarte, von dessen besteigbaren Terrasse ich einen hübschen Überblick des extra terrestrisch wirkenden Botta-Werkes hatte.

Ein paar Höhenmeter näher am Weltall war ich dann mit der Besteigung des Imihubels. Eine kleine, zur Hälfte bewaldete Erhebung, die sogar über einen eigenen, wenn auch etwas dürftigen Wikipedia-Eintrag verfügt. Etwas mehr gibt ein Artikel von 1915 her, erschienen in der Zeitschrift «Pionier», über die Erdburgen im Kanton Bern her. Da schreibt ein namentlich nicht genannter Autor über den 981 Meter über Meer gelegenen Aussichtspunkt:

Nordwestlich der Bütschelegg bei Oberblacken liegt der weithin sichtbare Imihubel, der Hügel des Alamannen Imo, er erhebt sich 20 m über die Ebene und fällt jedermann auf durch die Regelmässigkeit seiner Gestalt. Sein Gipfel ist geebnet, seine Abhänge sind auf drei Seiten steil und schön abgerundet. Auf seinem geebneten Rücken ragen Steinschichten senkrecht empor, aus Muschelsandstein, die Versteinerungen enthalten. Auf dieser kleinen Ebene, wo man eine grosse Fernsicht geniesst, sind vier kreisrunde Vertiefungen von 5 m Durchmesser in die Felsen gehauen, diese Vertiefungen haben die Form und Grösse alemannischer Wohngruben. Da der Name Imihubel zweifellos alemannisch lautet, z.B. Imo von Grerenstein, Urkunde von 1130, Imo von Lyss, 1131, Imo von Ins, 1109, glaube ich nicht zu irren, wenn ich auch den Imihubel als alemannische Erdburg bezeichne. Dieser Hubel ist zwar eine natürliche Anhöhe, sie wurde aber zur Verteidigung künstlich geformt, terrassiert, abgerundet, der obere Wehrgang ist geebnet, der untere dient jetzt als Feldweg, die Höhendistanz zwischen diesen parallelen Wehrgängen, die kreisförmig dem Hügel folgen, ist die gewöhnliche, 20 m. Der Name Imo, welcher bis in das 14. Jahrhundert bei uns gebräuchlich war, wurde im deutschen Sprachgebiet verändert, in Freiburg in Heimoz, in Bern in Heimel oder Heim, im französischen Sprachgebiet in Imer. Die benachbarten Bauernhöfe haben auch althochdeutsche Alemannennamen: Allmend = Gemeinweide, Uecht = Nachtweide, Fuhren = Weide. Berndeutsch haben wir noch «fueren» für füttern, Blacken = Ebene, was auch der Örtlichkeit entspricht, sie liegt auf einer Ebene.

Der Imihubel stellte die höchste Erhebung meiner gut 20 Kilometer langen Route durch das Schwarzenburgerland dar. In Ratzenberg, ein Gehöft am nordwestlichen Fuss des natur- und kulturhistorisch interessanten Hügels, war ein jüngerer Landwirt daran, mit seiner Noriker-Stute Holzstämme vom nahen Waldrand zum Hof zu rücken. Es sei Brennholz, sagte mir der Pferdehalter, den ich spontan begleitete, da die zu rückenden Stämme direkt an meiner Route lagen. Die fünfjährige Stute sei noch in der Ausbildung, verriet er mir. Auf meine Frage, ob ich ihn bei seiner Arbeit mit dem Pferd fotografieren dürfe, willigte er ohne Umschweife ein. Die aus Österreich stammende Norikerin liess das Anhängen der Last noch nicht ohne eine gewisse Nervosität zu. Doch als der Befehl zum Vorwärtsgehen ertönte, brachte die junge Dame den mehrere hundert Kilo schweren Stamm aus dem Stand in Bewegung und ging anständigen und sicheren Schrittes in Richtung Hof.

Ich war nun endgültig in dieses unübersichtliche Wirrwarr von Gräben und Eggen eingetaucht, ging zuerst talwärts, ehe ich, dem Spiralbogen folgend, einen steilen Weidehang zu besteigen hatte, an dessen Stacheldrahtzäunen ich mir beinahe die Zähne ausbiss. Oben angekommen, blickte ich hinüber zum Jura mit dem Chasseral (1607 m) als markanteste und beinahe schneefreie Erhebung. Im Süden zeigte sich die Stockhornkette und im Westen erkannte ich die tief im Freiburgischen gelegenen La Berra und Le Cousimbert. In unmittelbarer Nähe vor mir der Weiler Borisried. Das Ortschäftchen in wunderbarer Lage hat in den letzten Jahren arg gelitten: 2008 wurde die Schule geschlossen und 2017 machte auch das Restaurant dicht. Am 29. Januar 2011 kehrte ich mit Thomas Widmers «Fähnlein Fieselschweif» in der Wirtschaft Borisried ein. Und selbst Widmers tapferes Wandergrüppchen ist seit Ende des vergangenen Jahres bekanntlich Geschichte

Doch ehe ich endgültig Vergangenem nachzutrauern beginne, hier noch ein weiteres Glanzlicht dieser abwechslungsreichen Wanderung. Es geht um zwei alte lokale Wegverbindungen, die auf den neusten 1:25.000er-Karten nicht mehr eingezeichnet sind. Gespannt bewegte ich mich hinter dem Gehöft Fuhren Richtung Schwarzwassergraben zu. Mitten durch die steil abfallenden Sandsteinflühe sollte ein Pfad hinab in den Graben führen. Ich machte mich auf alles gefasst, doch die leise gehegte Befürchtung, schlimmstenfalls umkehren zu müssen, kippte in frohe Begeisterung um, fand ich doch einen in den Sandstein gehauenen Weg vor, der sich in erstaunlich gutem Zustand präsentierte. Einzig zwei umgekippte und ineinander verkeilte Bäume versperrten mir kurz vor dem Talgrund den Weg, was mich zu einer turnerischen Aktion zwang. Unten angelangt, folgte ich den Topografen von Swisstopo und suchte vergeblich den auf meiner Karte eingezeichneten Steg über den Trüebbach. Also hangelte ich mich über angeschwemmtes Holz hinüber, um auf dem Trasse eines kaum mehr sichtbaren Pfades den Gegenanstieg nach der Sollmatt in Angriff nehmen zu können. Auch hier versperrten mir umgekippte Bäume den Weg. Wenige Meter nach der Überwindung dieses Hindernisses stand ich auf einem guten Steig, der sich indes von der anderen Seite des Hangfusses hier hochschlängelte. Auch hier stimmte also die Realität nicht mehr mit der Karte überein … Dieser Weg war zwar nicht so spektakulär wie sein gegenüberliegender Nachbar, aber dennoch erwähnenswert, musste er doch in früherer Zeit eine gewisse Bedeutung gehabt haben, was auch dem Inventar Historischer Verkehrswege (IVS) nicht entgangen ist und beide Abschnitte in ihrem umfangreichen Werk dokumentiert haben. 

Der restliche Verlauf der Etappe war mir aus vorhergehenden Wanderungen zu weiten Teilen bereits vertraut. Beeindruckt war ich indes vom Wanderweg, den die Sense im vergangenen November zwischen dem Heitibüffel und der Sensematt arg malträtiert und teilweise ganz weggeschwemmt hatte. Das Element Wasser wird denn auch auf der 19. Etappe dieser Spiralwanderung ein Thema sein, geht es doch zum zweiten Mal mit dem Packraft über den Wohlensee. Bis es soweit sein wird, dürfte es jedoch Mai werden.

Eine ausführliche Bildstrecke zur Etappe von Toffen nach Thörishaus Dorf gibt es hier.

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