25. März 2019

Wir Menschen

Erwin Heimann: Wir Menschen,
Viktoria-Verlag, Bern, 1959
Paris, seit jeher ein kultureller Anziehungspunkt, hat auf Schweizer Autoren von Bosshart und J.C. Heer über Schaffner, Zollinger und Guido Looser bis hin zu Paul Nizon immer wieder mächtig anregend gewirkt. Keiner aber ist auf eine so direkte und intime Weise an Paris zum Schriftsteller geworden wie der Berner Erwin Heimann. 1932/33 lernte er die Stadt hautnah kennen, aber nicht als Kulturbeflissener, sondern als Mechaniker und arbeitsloser Fremdarbeiter! Um sich Geld zu verschaffen, begann er seine Erfahrungen für Schweizer Zeitungen zu Artikeln zu verarbeiten, ja, als die Kriegerwitwe Monique für ihn eine Rolle zu spielen begann, wagte er sich sogar an einen Roman. Und tatsächlich, Heimann schaffte es! Nach einem Vorabdruck in der «Tagwacht» erschien der Erstling des vierundzwanzigjährigen Arbeiters unter dem Titel «Wir Menschen» 1935 im Berner Feuz-Verlag.

Es ist eine Liebesgeschichte mit unglücklichem Ausgang. Xander, ein junger Arbeiter, verliebt sich in die Pariserin Monique, die wesentlich ältere Witwe eines Weltkriegssoldaten. Nach einer Zeit intimer Gemeinsamkeit lässt Xander die Geliebte sitzen, weil er in der Schweiz wieder Fuss gefasst und eine «gute Partie» gemacht hat. Monique bringt sich um, und Xander, von Schuldgefühlen geplagt, will es ihr nachtun, als die positiven Kräfte in ihm obsiegen und er sich bereit findet, die ideale Liebe einem nüchternen Alltagspragmatismus zu opfern. Wir Menschen ist noch kein Meisterwerk, aber der Roman ist als munterer Einstieg eines strebsamen Autodidakten in die Welt der Literatur nach wie vor ein unterhaltsames Lesevergnügen. Obwohl er politisch viel harmloser ist als Heimanns zweites Buch, die romanhafte Darstellung des Zürcher Heizungsmonteurenstreiks von 1931, die unter dem Titel Hetze 1937, rechtzeitig zum Abschluss des sogenannten Friedensabkommens, erscheinen sollte, wurde Wir Menschen 1935 in Deutschland verboten und im autoritären Österreich gar als unmoralisch auf den Index gesetzt!


Signatur des Autors (1909–91) in meinem Leseexpemlar

Heimanns Autobiographie «Ein Blick» zurück (1974) bietet heute die Möglichkeit, Dichtung und Wahrheit auseinanderzuhalten. Dabei stellt man fest, dass fast alles wirklich erlebt ist – bis auf den tragischen Schluss. Die Kriegerwitwe Monique nahm natürlich die Untreue des wieder solid gewordenen Schweizers mitnichten so tragisch, dass sie deswegen dem angenehmen Pariser Leben adieu gesagt hätte. Sie empfing den schlaksigen Berner Schriftsteller samt Ehefrau und Kindern auch später und bis zu ihrem Tode immer wieder gerne in ihrem gemütlichen Pariser Domizil. Auch die «Rivalin» aber war in Wirklichkeit nicht einfach eine farblose «gute Partie», sondern die phantasiebegabte Kinderschriftstellerin Gertrud Heizmann. Und die beiden Schriftsteller führten in ihrem Bilderbuch-Stöckli im Berner Oberländer Dorf Heiligenschwendi auch mehr als fünfzig Jahre später noch immer eine Ehe miteinander, die bewies, dass es im Leben auch mal besser herauskommen kann als im Roman. (Quelle: Literaturszene Schweiz)

BE: Stadt Bern, Nünenenfluh, Gantrischgebiet F: Paris (Hauptschauplatz), Chamonix, Montblanc, Le Fayet, Dijon, Laroche

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