9. Juli 2015

Mit Nebengeräuschen von Nord nach Süd

Wolfgang Lührs: Vom Wispern der Wälder
und vom Wesen des Wanderns,
Verlag
die Werkstatt, Göttingen, 2011
Besonders abwechslungsreich ist der Rennsteig nicht, denn man geht grösstenteils durch Wald, ohne den Blick in die Ferne richten zu können. Aber nach so vielen Tagen in der Natur schärft sich der Blick fürs Detail. Man nimmt eher die Veränderung im Charakter des Waldes wahr: die unterschiedlichen Stimmungen von Laub- und Nadelwald, die Vielfältigkeit des Waldbodenbewuchses, die kleinen, verwunschenen Lichtungen, den schmaler werdenden Weg, der einen plötzlich tief in den Forst führt, ein Bächlein, das einen eine Weile begleitet. Und plötzlich gibt er dich wieder frei, der Wald, und lässt deine Seele wie einen Adler über das tiefe Land unter dir schweben. All das summiert sich über Zeit zu einem Einklang, bei dem es nichts mehr in Frage zu stellen gibt.

Wolfgang Lührs ging vor ein paar Jahren mit seinem Wanderkumpel knappe 1200 Kilometer durch Deutschland. Von Nord nach Süd. Von der Heide an den Fuss der Alpen. Sechs Wochen brauchten die zwei hierfür auf einer selber zusammengestellten Route. Es flossen Unmengen von Bier, kiloweise Knödel, Spätzle, Würste und dergleichen wurden verdrückt. Und einmal mehr erfährt der geneigte Leser, wie es um die Gastfreundschaft in deutschen Landen steht. Hey, wie geht es da manchmal zu und her! Sture Wirte, rechthaberische Wanderer und keiner nimmt ein Blatt vor den Mund. Eigentlich müsste der deutsche Fremdenverkehrsverband einschreiten, denn was Lührs beinahe täglich zum Besten gibt, macht wenig Lust, Deutschland als Tourist zu erkunden. Der Fairness halber muss auch das Gegenteil erwähnt werden. Es gibt in dem 336 Seiten starken Bericht auch hilfsbereite Wirte und Beherberger, doch leider bilden sie die Ausnahme. Beinahe am Schluss des Werks liest sich folgende, nicht abwegige Utopie:

Zwei Mass Bier, ein köstliches Abendbrot, eine Übernachtung in einem wunderbaren Bett und ein üppiges Frühstück für insgesamt 35 Euro. Bingo – mit diesem Preis plus fünf Euro für eine Mittagssuppe käme man mit 1.200 Euro im Monat gut zurecht und hätte noch einiges übrig, wenn man hin und wieder im Freien schläft. Lasst uns unsere Häuser verkaufen, unsere Mietverträge kündigen und zu einem Wandervolk werden. Jeder ist unterwegs. Die Bayern in Preussen und die Preussen in Bayern. In den Dörfern gibt es wieder genügend Gasthöfe und Geschäfte und an den Rändern der Autobahnen äsen Rehe und Hirsche. Man stelle sich das mal vor!

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