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Rosalia Wenger: Warum hast du dich nicht gewehrt, Zytglogge, Bern, 1982
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Rosalia Wengers grosser Erfolg «Rosalia G. – ein Leben» hat vor allem die Autorin überrascht. Das Echo, das dieses Buch auslöste – sei es als Dokument aus einer Zeit, von der man plötzlich feststellte, dass man fast gar nichts wusste; sei es als Geschichte eines harten Frauenlebens – war überwältigend. Um ein überschaubares Buch zu erhalten, musste man aus dem umfangreichen Manuskript von «Rosalia G.» vieles auf später verschieben. Die Autorin: «Trotzdem wurmte es mich, dass nun so viele Geschichten nicht im Buch standen. Bei Lesungen las ich einige von ihnen immer wieder vor und hatte Erfolg. Diese «verlorenen Geisteskinder» habe ich nun gesammelt, bearbeitet und ergänzt.»
So ist nun ein Buch entstanden, das weiter in die karge Welt in der Lischern hineinleuchtet, das genaue Beschreibungen gibt von der harten Alltagsarbeit, von den Sorgen der kleinen Leute und den Benachteiligungen zuerst des Verdingkindes und später der Frau.
Diese Geschichten können nicht konstruiert werden; sie wurden aufgeschrieben von einer Frau, die das alles selber erlebt hat und im Alter die Kraft fand, Zeugnis abzulegen. Manchmal tagebuchartig, meist in kurzen, einfachen Geschichten treten Augenblicke, Gefühle, Ereignisse hervor, die wohl von einer düsteren Vergangenheit berichten, aber die frohen, ja fröhlichen Momente nicht vergessen. (Klappentext)
Die Autorin
Rosalia Wenger wurde am 5. Juni 1906 als uneheliche Tochter der Dienstmagd Rosina Wenger in Basel geboren. Ihr Vater war der deutsche politische Flüchtling Albin Lessing, der jedoch kurz nach der Geburt seiner Tochter in die USA emigrierte. Sie wuchs bei ihren Grosseltern auf dem Hof Lischern in der Nähe von Schwarzenburg im Kanton Bern auf. Die Grossmutter war ihre Ersatzmutter, da die Mutter über zu geringe finanzielle Mittel verfügte.
Schon als Elfjährige wurde Rosalia Wenger zu Fuhrhaltersleuten in Schwarzenburg verdingt. Als junge Erwachsene hatte sie als Dienstmädchen und Arbeiterin neun verschiedene Stellen in der ganzen Schweiz inne, bevor sie in Bern eine Berufslehre als Glätterin und Wäscherin absolvierte und als solche in Bern tätig war. 1932 heiratete sie den Arbeiter Werner Grützner, mit dem sie zwei Töchter hatte. Die Ehe stand wiederholt kurz vor der Scheidung, da sie ihr Mann zeitweise wie ein Dienstmädchen behandelte und ihr jahrelang Besuche und Reisen verbot.
1960 wurde sie vom Schwiegersohn ermutigt, ihre Zeit als Verdingkind, Arbeiterin, Dienstmädchen und unglückliche Ehefrau erzählerisch aufzuarbeiten. Nach dem Tod ihres Mannes trat Rosalia Wenger der Berner Frauenbefreiungsbewegung (FBB) bei. 1978 erschien ihre Autobiografie «Rosalia G.», die umgehend zu einem viel gelesenen Werk avancierte. Dafür erhielt sie 1979 den Buchpreis der Stadt Bern. Weitere Begebenheiten aus ihrem Leben, die nicht im ersten Buch Platz gefunden hatten, erschienen 1982 unter dem Titel «Warum hast du dich nicht gewehrt.» Rosalia Wenger starb am 5. Dezember 1989 im Alter von 83 Jahren. Nach ihr wurde 2004 bei der S-Bahn-Station Wankdorf in Bern ein Platz benannt.