Auf dem Plain Fayen, hoch über der Klus Tiergarten (JU) werden psychedelische Reize aktiviert. |
Es gibt Tage, da nimmt man sich viel vor, wacht am Morgen auf und dann fehlt auf einmal die Kraft, die Motivation, der Wille. Ein solcher Tag war gestern. Geplant war eine Dreitagestour mit Zelt. Geworden ist eine Tageswanderung. Immerhin blieb ich spurtreu und ging von Corcelles (BE) über den Raimeux ins Val Terbi. Ich ging also nordwärts, nordwärts Richtung Nordkap.
Müden Körpers und Geistes schritt ich in Corcelles den Berg hinan und wurde von der Natur auf eine wundersame Weise wach- und starkgerüttelt. Im Frühlingswald fiel rechter Hand einer der seltenen Jurabäche talwärts. Le Gore Virat nennt er sich. Noch nie davon gehört und doch erregte das Wässerchen meine Aufmerksamkeit. Weiter oben, der Weg führte über einen Holzsteg, kaskadierte der Bach über mehrere Stufen, in der Art einer grandiosen Touristenattraktion. Doch da waren keine Touris – nur ich und der Bach. Der Pfad zickzackte weiter den Steilwald hoch und die pittoreske Szene wollte und wollte kein Ende nehmen. Der krönende Abschluss bildete ein für Jura-Verhältnisse typischer Felsriegel – Wanderpapst Widmer würde von einem «Karl-May-Feeling» sprechen –, wo ich unter einem Überhang Stundenrast hielt.
Nur wenige Höhenmeter später der pure Kontrast. Eine Hochebene mit Wettertannen und weidendem Vieh. Das andere Gesicht des Jura: Viel Weide mit dem Blick auf die verföhnten Alpen und davor die erste Kette mit dem Hinter Weissenstein. Himmel, wie schnell der Wanderer doch vorrückt!
Auf dem höchsten Punkt des Mont Raimeux hielt ich erneut Rast. Immerhin befand ich mich auf über 1300 Metern über Meer und damit auf dem Kulminationspunkt des Schweizer Abschnitts meines gewagten Vorhabens. Daselbst befindet sich ein lächerlich klein scheinender Aussichtsturm, dessen Ersteigung mittels Leiter alles andere als lächerlich ist. In der Tat erweitert sich die Sicht – einmal hochgekraxelt – nicht unerheblich, insbesondere Richtung Westen zum Chasseral hin.
Im langgezogenen Abstieg nach Vermes – ich hatte inzwischen den Kanton Bern endgültig verlassen – erregte das an völlig unerwarteter Stelle gelegene Schloss Raymontpierre* meine Aufmerksamkeit. Ein mystischer Ort! Im Gegensatz dazu das Dorf Vermes – es nennt sich auf Deutsch Pferdmund –, das an diesem Montagnachmittag in Dämmerschlaf verfallen schien. Das Glanzlicht hier: die aus dem 15. Jahrhundert stammenden Freskenmalereien in der Kirche. Der anschliessende Aufstieg zur Erhebung Plain Fayen war geprägt von einem Wald- und Naturlehrpfad, der mit unglaublich viel Herzblut seines Schöpfers entstanden sein muss. Keine kühlen Alutafeln beschreiben die Wunder der Natur, nein, individuell gestaltete Holztafeln und -täfelchen sind es! Und es sind deren viele! Hat man je so etwas im Lande der invasiven Themenwege gesehen? Hat man nicht, bin ich der felsenfesten Überzeugung. Hingehen und staunen!
Was nach Erreichen des Bergplateaus folgte war ein psychedelisches Schaulaufen durch Pink-Floyd'sche Waldpartien. Was die Natur hoch über der Klus mit dem sonderbaren Namen «Tiergarten» inszeniert, gehört eigentlich in jeden Baedecker oder Lonely Planet. Zum Glück verhält sich der Tourismus aber ziemlich mainstreamy, so dass meiner Wander-Trance nichts im Wege stand. Wenn das bis zum Nordkap so weiter geht, werde ich spätestens in Skagen, an der Nordspitze Jütlands, das Nirvana geküsst haben. Ein paar optische Eindrücke dieser Wanderung habe ich hier bereitgestellt.
* Der Nachkomme eines alten Delsberger Geschlechts, Georg Huge (†1608), liess dieses herrschaftliche Haus bauen: Er wollte sich der Verwaltung der Wälder und der umliegenden Weiden widmen, die er als Lehen vom Fürstbischof Jakob Christoph Blarer von Wartensee erhielt und wünschte, sich dem Vergnügen der Jagd widmen zu können. Man muss daran erinnern, dass die Fürstbischöfe aus Basel, die seit der Reform in Exil in Porrentruy lebten, gezwungen waren, ihren Vasallen mit der Pflege um ihre politische und wirtschaftliche Kraft zu betrauen. Somit war der Herr von Raymontpierre beauftragt worden, den guten Verlauf des Baumfällens auf dem Raimeux zu gewährleisten, dessen Holz die Giessereien des Bischofs im Birs- und Sornetal versorgte. In 1609, heiratete Anna Huge, Tochter des obgenannten Georg, Hans Jakob von Staal (1589-1657), ein Ereignis, das den Verkauf der Domäne an die Solothurner Dynastie der von Staal ankündigte. Hans Jakob von Staal, zukünftiger Banneret und Schultheiss, der die bedeutendste Persönlichkeit von Raymontpierre bleiben wird, zog sich viele Feinde in seiner Geburtsstadt Solothurn heran, da er seine feindselige Haltung gegen Frankreich verteidigte, was erklärt, weshalb er sich gerne in seinem Juraschloss oder in Delsberg zurückzog. Der Fürstbischof indes meinte, in Raymontpierre einen vorgeschobenen Posten gefunden zu haben, der bereit war, sich den Expansionisgelüsten des reformierten Bern zu stellen. 1623 gelangte die Gesamtheit des Gebiets an Hans Jakob von Staal und seinem Bruder Justus. Der Name der von Staal blieb mit ihm verbunden bis 1809. Im Jahr 1944 schliesslich, nach mehreren Besitzerwechseln, wurde das Schloss von der Fabrik Dozière AG von Delsberg erworben, die es erneuerte.
Das Schloss setzt sich aus dem herrschaftlichen Haus, der Kapelle und den gemeinsamen Räumen innerhalb eines viereckigen Bereichs zusammen, der an den Ecken durch kleine Rundtürme verteidigt wurde. Durch seine Form verbindet sich Raymontpierre mit den herrschaftlichen Häusern zeitgenössischer Konstruktion – wie z.B. das Schloss A Pro in Seedorf oder Greifenstein im Kanton St. Gallen – bei dem der Verteidigungscharakter weniger Wert zukam als das Symbol der allgemeinen Bekanntheit und des hohen Rufs seines Besitzers. Die zwei Rundtürme, die an den Ecken der Mauer an der Hofeseite stehen, sind ein Wiederaufbau auf alten Grundmauern. Ins Innere gelangt man durch ein gewölbtes Tor, welches das Datum von 1596 trägt sowie die Wappen, die das Symbol des Steinmetzes einrahmen. Man erkennt beim ersten Blick die Kleeblätter und das Band der Familie Huge de Raymontpierre und auf dem anderen die Tanne der Familie Nagel. Beim Eingang bemerkt man zudem links eine kleine durchbrochene Arkadenkonstruktion und rechts in der Ecke der Mauer die kleine zeitgenössische Kapelle mit ihrem Glockenturm. Das Fenster weist einen gotischen Fries auf, denselben Stil der verdoppelten Fenster: die Drillinge wie auch die die Rangfenster, die die südliche Seite des herrschaftlichen Hauses charakterisieren. Zwischen zwei Fenstern des Stockwerkes steht ein Relief von 1623 mit den Wappen der Raymontpierre und der von Staal mit zwei in Latein verfassten Inschriften:
Unser Schicksal ruht in Gotteshand
Die Edelleute, Johann Jakob und Justus Staal, Brüder, Solothurner von Geburt an, wurden Erben und zum Teil die Erwerber von Raymontpierre.
Diese Plakette erinnert an die Übertragung der Herrschaft von Raymontpierre an die Familie von Staal. Ein Korridor geht vom Eingang im Süden weg und führt zur anderen Fassade, wo ein Treppenturm in Hufeisenform zum darüber gelegenen Stockwerk führt. Beiderseits versorgt der Gang im Erdgeschoss die Küche und den Keller und im ersten Stockwerk die Zimmer und die Appartements, die unter anderen Zimmern den «Rittersaal» mit einem geschmückten Kamin von 1595 und doppeltem Wappen des Konstrukteurs und seiner Frau Aloysia Nagel enthalten.
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