26. Januar 2019

Hofstettenvaganten

Lydia Portmann: Hofstettenvaganten,
Zytglogge, Bern, 1992 (vergriffen)
Um den kleinen 3-Zimmer-Wohnungen zu entfliehen, bot sich den «Hofstettenvaganten» – wie die Jugendlichen des Kreises despektierlich genannt wurden – die Strasse, die Aare, die Wälder als Spielplätze an, auch das Städtchen Thun. Im Sommer genossen sie Ellbogenfreiheit draussen in der Natur «wie dem Pferch entsprungene Tiere». Die Hofstettenkinder klauten Früchte, fischten illegal, randalierten, und dies vielmals, um sich für die Entbehrungen im Winter zu entschädigen. Der Wirtschftszusammenbruch von 1929 schleuderte die Familie des Dienstmanns Nr. 1 vom Bahnhof Thun in bittere Not; denn Thun war als feudaler Fremdenverkehrsort passé, die internationalen Gäste blieben aus.

Die Autorin hat die Zeit von 1929–1939 auf einen Jahreszyklus verdichtet. Sie zeigt exemplarisch, wie hilfsbereit die Menschen des Quartiers miteinander umgingen, wie die Krise sie drückte, aus Arbeitslosen Säufer machte und vielen vorzeitig den Tod brachte, so auch ihrem Vater. Wie prägend die Jahreszeiten waren, was Armut bewirkte, vorallem im Winter, vor dem sich ihre Eltern fürchteten, zeigt Lydia Portmann genau auf. Den Luxus der Grand Hotels, des Kursaals, durchschauten die Jugendlichen schnell. Sie wussten, dass sie auf der Kehrseite der Medaille standen.

Vom Proletarierknacks geprägt, nahmen die meisten das Untendurchgehen-Müssen als unabänderlich an. Als jüngstes und einziges der sieben Kinder besuchte die Autorin die Sekundarschule, sie beobachtete in der Folge mit geschärfter Distanz ihre Geschwister, die Mutter und ihre Sippe, eine wilde Emmentalerbande, zu deren Leben Magie ganz selbstverständlich gehörte. Rebellisch lehnte sie sich gegen die Frauenrolle der dreissiger Jahre auf. (Klappentext)

BE: Stadt Thun, insbesondere Hofstettenquartier

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