6. Oktober 2017

Reise in die Steinzeit

Patrice Franceschi: Reise in die Steinzeit,
Bastei-Verlag, Bergisch-Gladbach, 1996,
vergriffen
Patrice Franceschi stellt sich einer ungewöhnlichen physischen und moralischen Herausforderung: Er will ein völlig unerforschtes Gebiet, das indonesische Irian Jaya in der Westhälfte Neuguineas, zu Fuss und ohne technische Hilfsmittel durchqueren. Die erste Etappe führt ihn über 4000 Meter hinauf in die Berge, durch Urwald und Sümpfe, in Kälte, strömenden Regen und dichten Nebel. Dann geht es weiter in die Ebene, zum Fluss Brazza. Hier droht Gefahr durch Insekten, Blutegel, Schlangen, Krokodile und nicht zuletzt durch die Eingeborenen. Hier leben 250 verschiedene Papuastämme – teils noch Kannibalen, teils von Missionaren befriedet –, die sich durch ihre Isolation eine vorgeschichtliche Kultur bewahren konnten. Nach einem Marsch von 500 Kilometern fährt Franceschi mit dem Schlauchboot 200 Kilometer den Brazza hinunter und kehrt nach über fünf Wochen in Jahrtausende alter Flora und Fauna in die Zivilisation zurück.

Der Autor unternahm diese Expedition 1989. Seither hat sich in Papua-Neuguinea einiges verändert zu haben. Das politisch instabile Land ist geprägt von Stammesfehden, weshalb in heutiger Zeit eine Reise in dieses von Mord- und Totschlag geprägte Land mit noch höheren Risiken verbunden ist, als es bei Franceschis Abenteuer der Fall war. Bedenkenswert ist zudem, was der Autor in der Buchmitte über seine Bedürfnisse niedergeschrieben hat:

Meine Prioritäten haben sich denen der primitiven Menschen in meinem derzeitigen Umfeld angenähert. Essen, schlafen, nicht frieren, nicht nass sein. Gibt es etwas Wichtigeres? Wie sollte man hier anders denken? Mein Lebensrhytmus hat sich umgekehrt, meine Sorgen sind dem, was sie früher einmal waren, diametral entgegengesetzt. Mein Leben wird von anderen Dingen beherrscht: Vom Regen, der vom Himmel herabfällt, von Lagerfeuern, die mir ein wenig Trost und Wärme spenden, vom Rauch, der in den Augen brennt, von verschiedenen Geräuschen, vom feuchten Boden, der mir als Lager dient, von frischem, kristallklaren Wasser und von fremden Menschen. Sogar die Erinnerung an die Menschen, die mir nahestehen, ist von einem diffusen Gefühl der Unwirklichkeit getrübt.

Auch meine Werteskala verschiebt sich nach und nach. Der kleinste Bissen der mitgebrachten Nahrung, die ich in meinem Rucksack aufbewahre, ist mir jetzt unbeschreiblich kostbar, während ich dieselben Lebensmittel zu Hause kaum zu würdigen wüsste. Auch messe ich den vertrauten Gegenständen einen unermesslichen Wert bei, der ihnen woanders nicht zukommen würde. Mein Rucksack und mein Messer sind meine treuesten Freunde geworden, und meine Hängematte, meine Hängematte, meine Taschenlampe und meine Machete sind mir ans Herz gewachsen. Diese Kleinigkeiten sind zum Mittelpunkt meines Daseins geworden. Ich lächele, amüsiere mich darüber.

Nur Bücher und Musik bleiben von diesen neuen Wertkriterien verschont. Sie bleiben unveränderliche Fixpunkte, Grundbedürfnisse, in denen ich mein wahres Ich wiederfinde. Einige geliebte Seiten, einige sublimierte Töne geben mir in schweren Augenblicken mehr Kraft als jedes andere Stimulans.

Patrice Franceshi beschreibt hier exakt mein eigenes Empfinden, wenn ich mit dem Zelt – und sei es auch nur für zwei Tage – unterwegs bin. Es begründet indes auch, weshalb ich seit meiner Jugend immer wieder die völlig autarke Form des Wanderns bevorzuge: die Reduktion auf das Wesentliche im Leben eines Menschen. 

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