7. Dezember 2021

Die Spirale – Etappe 9

Die Route der 9. Etappe der Wanderspirale.
18,3 Kilometer lang war sie, diese von etwas Sonne und mehrheitlichem Nassschneefall geprägte Etappe von Bern-Brünnen Westside nach Münchenbuchsee. Und einmal mehr entpuppte sich eine vermeinlich unspektakuläre Wanderung als äusserst zufriedenstellendes, geistiges und körperliches Unterfangen.

Es begann um 8.10 Uhr mit der dadaistischen Düsterstimmung auf dem menschenleeren, mit mickrig wirkenden Designersitzen ausgestatteten Vorplatz des vorweihnächtlich beleuchteten Konsumtempels «Westside». Auf der Westseite von «Westside» wurde die Szenerie noch skurriler: Die Autobahn, die vom Gebäudekoloss verschluckt wurde, daneben quellte aus der Fassade ein dickdarmartiges Röhrengebilde in provozierendem Rot hervor. Der weit und breit einzige Farbtupfer in einer von Menschenhand brutal umgekrempelten Landschaft.

Das Grauen dauerte indes nicht lange. Über eine Hügelkuppe gelangte ich auf den Wohleiberg. Rechterhand ragten die Antennenmasten der 2016 stillgelegten Sendeanlage der einst einzigen Küstenfunkstelle eines Binnenstaates in den Himmel. Auf leicht vereistem Strässchen schritt ich vorsichtig-gemütlich hinab zum Wohlensee, wo urplötzlich die Sonne durch die Wolken schien. Ich frohlockte. Allerdings nur bis etwas oberhalb von Oberwohlen, also eine gute halbe Stunde. Vom inzwischen bleiern gewordenen Himmel fielen die ersten Schneeflocken.

In einem Waldstück setzte ich meinen Regenhut auf, trank einen Schluck und stopfte mir ein paar Datteln in den Mund. Das Schneetreiben wurde dichter. Glücklicherweise blieb es auf der gesamten Etappe windstill, was mir, der perfekten Winterbekleidung sei es gedankt, ein wohliges Voranschreiten ermöglichte. Die Gemütlichkeit erlitt indes einen zeitweiligen Dämpfer, als vor mir ein grösseres Waldstück auftauchte, wo eigentlich kein Waldstück hätte auftauchen sollen. Kurz: Ich hatte in Schüpfenried einen falschen Weg eingeschlagen und ging statt nach Osten Richtung Norden. Der Fehler entpuppte sich jedoch als wenig gravierend. Die «falsche» Route war problemlos zu korrigieren und zudem gänzlich mit einem Naturbelag versehen, was an diesem Tag eher die Ausnahme darstellen sollte.

Im Weiler Weissenstein war ich dann wieder auf Kurs und pflügte mich durch hügeliges Gelände weiter durch den fallenden Nassschnee. Beim Hof Husmatte landete ich mitten in einem Weihnachtsbaumverkauf. Ein etwa sechs Meter hoher, aufgeblasener Samichlaus machte die vorbeifahrenden Fahrzeuge auf den Anlass aufmerksam. Wer kauft denn jetzt schon ein «Bäumli», fragte ich mich. Zum Glück nicht mein Problem, sind wir doch zu Hause seit Jahren mit einem künstlichen Baum zufrieden.

Vom nahen Jetzikofen stieg ich den sanft geneigten Hügel hoch. Oben angekommen verschwand ich für längere Zeit in einen Wald. Auf einer grösseren Waldlichtung gelangte ich am Hof Kohlholz vorbei. Dieser hiess vor ein paar Jahren noch Herrencholholz. Natürlich würde mich interessieren, was es mit dieser Verkürzung auf sich hat, und ob nun auch Flurbezeichnungen gendermässig einer Korrekur – oder, wie im vorliegenden Fall, einer Zensur – unterzogen werden.

Als ich oberhalb von Diemerswil aus dem Wald trat, liess der Schneefall nach und machte innerhalb von zehn Minuten ein paar Sonnenstrahlen Platz. Ich blickte hinab nach Münchenbuchsee und war erstaunt, wie schnell ich die Strecke von Berns Westen in Berns Norden zurückgelegt hatte. Spannend dann auch der Wechsel vom äusserst ländlichen Weiler Diemerswil – Diemerswil bildet mit 203 Einwohnern nach wie vor eine eigene politische Gemeinde, derzeit sind Fusionsverhandlungen mit der Gemeinde Münchenbuchsee im Gange – in das dicht bevölkerte Münchenbuchsee. Dabei beträgt die Distanz zwischen den beiden Siedlungen lediglich 500 Meter. 

Die letzte Viertelstunde ging ich also durch dieses Münchenbuchsee, gelangte am Geburtsort des Malers Paul Klee vorbei, bestaunte die etwas überdimensioniert wirkende Kirche und machte am Ziel eine Foto des im Laubsägelistil gebauten, aber längst nicht mehr mit Bahnpersonal besetzten Bahnhofgebäudes, ehe ich mich – vorfreudig auf die nächste Etappe – mit der Bahn nach Hause chauffieren liess, wo ich mich genüsslich über die geschossenen Fotos hermachte.

Die Wanderspirale von Bern: In Grün die absolvierte und in Rot die geplante Route.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen