20. September 2021

Die Spirale – Etappe 8

In 19,6 km von Belp-Steinbach nach Bern-Brünnen Westside.

Plötzlich knackte es im Unterholz. Es war viertel nach acht und ich im Cholholz oberhalb Belps, als der Orientierungsläufer auftauchte. Ich stand zufälligerweise bei einem Posten, den der Frühsportler nun aus dem Boden zog. Er hätte ihn falsch gesetzt und andere Posten auch. Der Alptraum eines jeden OL-Veranstalters, als den sich der Läufer nun entpuppte, ehe er sich von dannen machte.

Ich ging indes weiter bergan, kämpfte gegen feuchtes Gras und hoffte, bald dem Nebel entkommen zu können. Und in der Tat, bald schon drangen die ersten Sonnenstrahlen durch das Geäst und zauberten ein mystisches Bild in die Landschaft. Im Weiler Englisberg angelangt, wurde ich von freundlicher Wärme empfangen. Doch das Glück dauerte nicht lange. Eine halbe Stunde später erhielt der Wasserdampf wieder die Oberhand; und zwar bis ich kurz nach Mittag an meinem Ziel in Bern-Brünnen Westside eintraf.

Der 918 Meter hohe Zingghöch markierte den höchsten Punkt der knapp 20 Kilometer langen Route. Über eine triefendnasse Weide stieg ich ab in Richtung Schlatt. Meine Leichtwanderschuhe erwiesen sich als nicht mehr so wasserdicht, wie sie es einmal waren. Grummel.

Die unverhofft am Wegrand stehende Kirche der Evangelisch-methodistischen Kirche in Schlatt erinnerte mich daran, dass das in meinem Verlag erschienene «Zu Fuss von Frauenfeld nach London» des Methodisten-Pfarrers Jörg Niederer demnächst eine dritte Auflage erfahren wird. Vom Gotteshaus zum Fussballplatz des FC Sternenberg waren es nur ein paar Schritte. Der Viertligaklub nennt seine schattig gelegene Sportstätte nicht unbescheiden «Schlatt-Arena». Das stirnseitig zum Fussballplatz gelegene Beizli mit grosser gedeckter Terrasse verspricht fröhlichen Kickgenuss. Irritiert hatte mich jedoch ein Plakätlein, das auf ein Zuschauerverbot bei Trainings und Spielen von Kinder- und Jugendmannschaften hinweist. Echt jetzt?

Gasel als nächstes Zwischenziel. Wie an anderen Orten auch, haben hier liebe Menschen einen Bücherschrank aufgestellt. Ich konnte einmal mehr nicht widerstehen und unterbrach meinen Schritt. Die Ausbeute: Alex Capus' «Königskinder» sowie Ingrid Nolls «Hab und Gier» in der gebundenen Ausgabe von Diogenes. Himmlisch!

In Mengesdorf entdeckte ich gleich mehrere schmucke Häuser und Nebengebäude, die nur wenige Jahre vor dem Einmarsch der Franzosen anno 1798 erbaut wurden. Es folgte die Überschreitung des Mengesdorfbergs nach Herzwil und der anschliessende Abstieg ins Wangental. Welch ein Kontrast innerhalb einer halben Stunde! Moosiger Waldboden und landwirtschaftlich geprägtes Ambiente wichen brachialen Industriezonen, einer lärmigen Autobahn und unmittelbar angrenzenden Wohngebieten. Ein lebensfeindliches Revier, garniert mit Bauprofilen, die den letzten Grünflächen unmissverständlich den Kampf ansagen.

Zügigen Schrittes flüchtete ich aus dieser pedestrischen Enge an den scharfen Rand zwischen Urban und Agrar. Am Horizont zeichnete sich bereits mein Ziel ab: Der 2008 eröffnnete und von Daniel Liebeskind entworfene Konsum-, Schwimmbad- und Hoteltempel «Westside». 69 Ladengeschäfte beherbergt die architektonisch bemerkenswerte Baute, der ich einen Besuch nicht verwehren konnte. Mei war das skurril! Wo auf meiner Landkarte noch unverbautes Land eingezeichnet ist, tummelt sich heute das shoppingwütige Volk. Vom Nagelstudio über den Tiershop, den Gameshop, Denner, Migros, Decathlon, SportXX, Restaurants, Dutzende von Kleidergeschäften und -boutiquen bis hin zu Schickimicki-Parfümshops, ist alles da, was auch in der Berner Innenstadt zu haben wäre.

Nachdem ich auf allen vier Etagen meine Runde gedreht hatte, fehlte mir die Orientierung komplett. War ich von Belp bis zur Tempelpforte ohne einen einzigen Kartenlesefehler gelangt, wusste ich nun nicht mehr, wo der für mich relevante Ausgang war. Immerhin schaffte ich es beim zweiten Anlauf, zurück zum Vorplatz zu finden, wo ich mich schleunigst zur abfahrbereiten S-Bahn begab, um dem Grauen so schnell wie möglich den Rücken kehren zu können. Doch keine Angst: Westside, ich werde wiederkommen, und sei es bloss, um die 9. Etappe meiner zirkularen Forschungsreise rund um Bern in Angriff zu nehmen. Fotos zur 8. Etappe gibt es hier.

Der Projektstand (grün) nach 8 Etappen.


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